Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Bischof mit drei goldenen Äpfeln

Die Kapelle von Gehren ist dem heiligen Nikolaus geweiht

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: Die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s nach Gehren.
4. Juli 2022 | von Jürgen Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Sie liegt direkt am Lechweg – und dennoch nimmt kaum einer Notiz von ihr: Vermutlich kann sich kaum einer vorstellen, welches Kleinod man da in dem kleinen Gotteshaus direkt neben dem Gehrenhof zu bewundern vermag. Und dennoch: Es lohnt sich auf jeden Fall, an und in der Wegkapelle des Steeger Ortsteils einen Zwischenstopp einzulegen. So klein sie ist – so gibt es doch eine Menge zu sehen. Der Namensgeber des Kirchleins ist auf dem herrlichen Altar übrigens eher eine Randfigur neben dem Mariahilf-Motiv. Aber das scheint ihn nicht zu stören: Stolz nimmt er seinen Platz ein, schließlich zählt Nikolaus ja zu den beliebtesten Heiligen schlechthin – vor allem bei Kindern. Und um ihn ranken sich auch jede Menge Legenden um allerlei Wundertaten. Vor allem in der Ostkirche war Bischof Nikolaus von Myra (dem heutigen Demre in der Türkei) schon sehr bald sehr populär. Historische Zeugnisse von ihm gibt es indes sehr spärlich. Man geht davon aus, dass er um 283 in Patara (dort finden sich heute die Ruinen von Kalkan) geboren wurde und etwa 65 Jahre später an seinem Bischofssitz gestorben ist. Und er soll auch an einem der bedeutendsten Ereignisse der frühen Christenheit teilgenommen haben: Dem ersten Konzil von Nicäa.

OHRFEIGE IM KONZIL.
Und in diesem Zusammenhang wird ihm auch eine gewisse Heißblütigkeit nachgesagt: Den Priester Arius, der die Auffassung vertrat, Jesus sei nicht „wesensgleich“ mit Gott, aber dessen „vornehmstes Geschöpf“, soll er sogar geohrfeigt haben, um der Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Dennoch wird er auch als Vermittler gerühmt. „Lassen wir über unseren Zorn die Sonne nicht untergehen“, soll er bei der Verabschiedung des Bekenntnisses von Nicäa gesagt haben. Auf seine Streitbarkeit deutet auch die Geschichte hin, dass er in seiner Heimat mehrere Tempel der antiken Jagdgöttin Diana (respektive Artemis) zerstören ließ. Die galt nämlich dort in jenen  Jahren als Schutzpatronin der Seefahrer – eine Position, die Nikolaus dann selbst einnahm (Freddy Quinns berühmtes Weihnachtslied heißt ja auch „Sankt Niklas war ein Seemann“). Und er übernahm sinnigerweise auch gleich deren „Geburtstag“: Den 6. Dezember. Aus den Legenden um ihn ist durchaus eine Nähe zu Christus zu spüren: So soll er einen heftigen Sturm gestillt und ein Schiff mit heiligem Öl für eine Kapelle höchstpersönlich in den sicheren Hafen gesteuert haben. Und auch drei junge Knaben wieder zum Leben erweckt haben, die von Kannibalen bereits zu Pökelfleisch verarbeitet worden waren. Hintergrund der grauslichen Geschichte dürfte wohl sein, dass damals um den 6. Dezember herum der Schlachttag vor Weihnachten war.

SPÄTE POPULARITÄT.
Nikolaus’ Popularität nahm indes erst rund zwei Jahrhunderte nach seinem Tod so richtige Fahrt auf. Dank Kaiser Justinian, der ihm eine Kirche in Konstantinopel (heute Istanbul) weihen ließ, in der auch Reliquien aufbewahrt wurden. Von dort aus sprang der „heilige Funke“ nach Griechenland über, wo Nikolaus heute noch als „Hyperhagios“ („Überheiliger“) gilt. Und von Byzanz breitete sich die Verehrung dann in die slawischen Länder aus, wo er unter den orthodoxen Christen in Sachen Verehrung bis heute nur von der Jungfrau Maria übertroffen wird. Vor allem seine Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit werden in zahllosen Legenden gerühmt. Wohl nicht ohne Grund hieß der letzte russische Zar Nikolaus – ein großer Schutz scheint dieser Name allen Geschichten zum Trotz indes nicht gewesen zu sein: Die Bolschewiki liquidierten ihn dennoch mitsamt seiner Familie. Bis Nikolaus auch in der Westkirche Beliebtheit erlangte, dauerte es indes nochmal rund 400 Jahre. Zwar soll Liudger, der das Land der Friesen missionierte, schon im 8. Jahrhundert in Billerbeck im Münsterland die erste Nikolauskapelle im deutschen Sprachraum habe bauen lassen. Aber der richtige Durchbruch kam erst 972 mit der Hochzeit des Kaisers Otto II: Seine Gattin, die  byzantinische Prinzessin Theophanu, brachte nämlich  eine Reliquie (vermutlich einen Fingerknochen) mit in ihre neue Heimat, die in einer Seitenkapelle des Wormser Domes aufbewahrt, aber dann im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges 1688 verschwand.

LANGE „AUFGABENLISTE“.
Aufgrund der zahllosen Legenden hat wohl kaum ein Heiliger ein derart großes „Aufgabengebiet“ wie Nikolaus. Im Ökumenische Heiligenlexikon findet sich eine stattliche Liste: Für die Kinder, die  Schüler, Mädchen, Jungfrauen, Frauen mit Kinderwunsch, Gebärende und alte Menschen soll er ebenso zuständig sein wie für die Ministranten, die Feuerwehr, die Pilger und Reisenden. Aber auch  Sinti und Roma, Gefangene, Diebe und Verbrecher, Eigentümer und Bettler können sich an ihn wenden. Nicht zu vergessen natürlich Seeleute, Schiffer, Fischer, Flößer, Schiffsbauer, Matrosen und Fährleute, Kaufleute, Bankiers, Pfandleiher, Richter, Rechtsanwälte und Notare, Apotheker, Bauern, Bäcker, Müller, Korn- und Samenhändler, Metzger, Bierbrauer, Schnapsbrenner, Wirte, Weinhändler, Fassbinder, Parfümhersteller und -händler, Schneider, Weber, Spitzen- und Tuchhändler, Knopfmacher, Brückenbauer, Steinmetze, Steinbrucharbeiter sowie Kerzenzieher. Für glückliche Heirat und Wiedererlangung gestohlener Gegenstände soll er ebenso sorgen, wie man sich Hilfe gegen Wassergefahren, Seenot und Diebe von ihm erhoffte. Selbst der große Reformator Martin Luther konnte sich wohl der Faszination Nikolaus’ nicht entziehen. Zwar bezeichnete er in einer Predigt vom Nikolaustag 1527 die Legenden um den Heiligen als „kyndisch Ding“, aber wenn man sich seine Haushaltsrechnungen etwas näher betrachtet, dann sieht man, dass er noch acht Jahre später 135 Nikolausgeschenke für sein Gesinde sowie von ihm und seiner Frau Katharina betreute Kinder kaufen ließ. Erst danach ersetzte er den bärtigen Mann durch das Christkind, und auch viele katholische Länder folgten ihm und legten die Bescherung weg von Nikolaus auf Weihnachten.
Die schöne Skulptur in der Nikolauskapelle zeigt den Heiligen übrigens mit seinen berühmtesten Symbolen: Das rot-weiße Bischofsgewand, bei dem erstere Farbe in der Liturgie ein Sinnbild für Liebe, Feuer, Blut und den Heiligen Geist ist, letztere wiederum Licht, Freude und Reinheit symbolisiert. An sein Amt erinnern auch die Mitra (die traditionelle Kopfbedeckung) und der Krummstab, dessen Vorbild der Hirtenstab ist. Ja, und dann wären da noch die goldenen Äpfel in seiner Rechten: Mit ihnen soll Nikolaus drei arme Mädchen vor der Sklaverei gerettet haben. Eine der populärsten Nikolauslegenden.

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