Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Das Lamm und der gute Hirte

In der Stegmühlkapelle in Gaicht lohnt sich ein Blick aufs Detail

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s wieder zum Gaichtpass.
11. April 2022 | von Jürgen Gerrmann
Eines der ältesten Symbole der Christenheit ist auch in der Stegmühlkapelle zu finden: der gute Hirte mit dem Lamm. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Wer nicht aufpasst, der ist schnell vorbeigefahren: Die Stegmühlkapelle neben dem Klause-Stüberl an der Gaichtpassstraße kann man leicht übersehen, wenn man im Tempo unserer Tage mit dem Auto auf dem Weg ins oder vom Tannheimertal unterwegs ist. Aber es lohnt sich, auch mal aufs Bremspedal zu drücken und an- und danach innezuhalten. Auch wenn Kunstgeschichtler das kleine Kirchlein vermutlich nicht in die höchste Kategorie einstufen dürften, so ist es doch ein wunderschönes Zeugnis der Tiroler Volksfrömmigkeit.

EIN MÜLLER ALS BAUHERR.
Als „schlichten turmlosen Bau über rechteckigem Grundriss, mit steilem Satteldach und Apsis, die Wandöffnungen rundbogig geschlossen“, beschreibt sie das Tiroler Kunstkataster unter der Inventarnummer 28630. Und dem kann man ja durchaus zustimmen. Ein Müller hatte sie 1889 erbauen lassen: Johann Osterried. Und 1947 wurde sie dann (so das Kunstkataster) „aufgrund eines Gelübdes neu errichtet“. Die Dankbarkeit, dass die Schrecken der Nazi-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges ein Ende gefunden hatten, dürften da eine große Rolle gespielt haben. So mancher wird wohl das Interieur unter die Rubrik „Kitsch“ einsortieren, aber für andere wiederum macht gerade dies den Zauber dieses kleinen Gotteshauses aus. Sie fühlen sich vielleicht gerade deswegen dort in dem Ambiente, das die Denkmalschützer als „originelle Wanddekoration mit bemalten Laubsägearbeiten“ beschreiben, so geborgen und zuhause. Und dafür verantwortlich ist ein Pädagoge: „Ihr heutiges byzantinisches Aussehen verdankt sie dem Lehrer Josef Babl“, schreibt Alfons Kleiner in der von ihm verfassten und von Pfarrer Donatus Wagner herausgegebenen Broschüre über die „Kirchen und Kapellen des Tannheimer Tales“ (leider inzwischen vergriffen). Und in der Tat: Betritt man das kleine Gotteshaus kommt man sich fast wie in einem Andachtsraum der orthodoxen Kirchen vor. Das Altarbild ist stark im Stil einer Ikone gehalten.

FARBENPRACHT.
Obwohl die Kapelle nur ein paar Quadratmeter groß ist, gibt es dort eine Menge zu sehen: Der Blick aufs Detail lohnt sich auf jeden Fall – zum einen wegen der farbenprächtigen Ornamente, die einen zuweilen an den Wiener Jugendstil erinnern, zum anderen auch wegen der kleinen Figuren, die einen in ihrer Symbolik dennoch auf zentrale Botschaften des christlichen Glaubens hinweisen. Und da wir uns in der Karwoche befinden, wenden wir uns heute mal dem Hirten zu, der ein Lämmchen auf den Armen trägt. Denn das Lamm ist im Grunde das älteste Symbol der Christen für ihren Erlöser schlechthin. enn wie der Schriftsteller und Literaturkritiker Wolfang Menzel in seinem Standardwerk über die „Christliche Symbolik“ schon 1854 schrieb, wurde von den Urchristen der Heiland nie selbst am Kreuz dargestellt – sondern nur statt ihm das Lamm als Symbol der sich selbst hingebenden Liebe. Erst im 8. Jahrhundert taucht dann erstmals die Darstellung von Christus am Kreuz auf. Allerdings zunächst als „Christkönig“, dem noch kein Leid anzusehen ist, der leidende Christus wurde erst später abgebildet. Dieser Wandel beruht übrigens auf einem Beschluss der „Trullanischen Synode“, die 691 in Byzanz (also dem heutigen Instanbul) stattfand. Dort beschloss man dies: „Auf gewissen heiligen Bildern ist der Vorläufer (Johannes der Täufer)  abgebildet, wie er mit dem Finger auf das Lamm zeigt. Diese Darstellung wurde als Symbol der Gnade gedeutet. Sie war ein verborgenes Sinnbild des wahren Lammes, das Christus ist, unser Gott, der uns offenbart wird gemäß dem Gesetz. Da wir nun diese Sinnbilder und Schatten als Symbole der uns von der Kirche übermittelten Wahrheit übernommen haben, bevorzugen wir heute die Gnade und die Wahrheit selbst als Erfüllung dieses Gesetzes. Daher, um mit Hilfe der Bilder das Vollkommene aufzuzeigen, setzen wir fest, dass von nun an Christus, unser Gott, in seiner menschlichen Gestalt dargestellt werde und nicht mehr in der des Lammes.“ Menzel verweist auch auf die Heilige Hildegard von Bingen, die auf die hypothetische Frage, von welchem Tier denn die ersten Felle waren, die Gott Adam und Eva als Kleider gab, geantwortet habe: „Vom Lamm, das sich zuerst opferte.“ „Siehe, das ist das Lamm Gottes!“ - mit diesem Worten hatte ja schon Johannes der Täufer auf Jesus hingewiesen. Und auch auf den ältesten christlichen Grabdenkmalen in den Katakomben Roms sieht man dieses „Lamm Gottes“ auch unter zwölf anderen Lämmern, die die Apostel versinnbildlichen sollen. In den frühesten Kirchenmalereien wurde übrigens immer nur das Lamm oder Christus selbst abgebildet – niemals aber beide miteinander. Der Heilige Franz von Assisi, der ohnehin eine besondere Nähe zu Tieren hatte, soll der Legende zufolge übrigens ein Lamm um sich gehabt haben, das sich niedergelegt habe, wenn es eine Hostie gesehen habe.
Es gibt übrigens auch einen Bezug zu Österreich: laut Menzel wurde das Bistum Lavant dort gegründet, „wo Schafe im Wald ein Muttergottesbild gefunden und andächtig umkniet haben“. Das war vor knapp 800 Jahren. Die kleine Figur in der Stegmühlkapelle vereint übrigens gleich zwei zentrale Christussymbole in sich: Denn Jesus wird ja nicht nur mit dem Opferlamm, sondern auch mit dem guten Hirten gleichgesetzt, der das verlorene Schaf zurückbringt – und genau dieser Moment wurde wohl hier in der Stegmühlkapelle dargestellt. Auf Jesu Auftrag an Petrus wird sogar das Papsttum zurückgeführt. „Weide meine Lämmer!“ In den katholischen Bischofsstäben ist der Verweis auf den Hirten selbst im High-Tech-Zeitalter noch erkennbar. Und auch in so manchen evangelischen Landeskirchen nennt man ja den Geistlichen nicht Pfarrer, sondern Pastor (also Hirte).
Der gute Hirte ist übrigens in den Katakomben und in der Urchristenheit das bei weitem am meisten verwendete Sinnbild für den Erlöser. Menzel erklärt sich das so: „Darin lag für die Verstorbenen die Verheissung, Christus werde ihre verlorene Seele suchen wie der gute Hirt das verlorene Schaf gesucht hat.“ Und das ist ja gerade in der Karwoche  eine Botschaft voller Hoffnung.

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