Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

Der Heilige mit dem Hahn

Die Kapelle von Oberletzen ist Sankt Vitus geweiht

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt.
1. Dezember 2020 | von Von Jürgen Gerrmann
Gerti Kröner betreut in der dritten Generation die Vituskapelle von Oberletzen. Ganz besonders stolz ist sie auf das Altarbild mit der Muttergottes.   RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

Dem, der auf dem Lechradweg von Musau gen Lechaschau in einem Tempo strampelt, das einem noch erlaubt, nach links und rechts zu blicken, dem sticht sie unweigerlich ins Auge – die kleine Kapelle von Oberletzen. Rund 300 Jahre alt ist sie, hatte aber vielleicht schon einen Vorgängerbau, wie Astrid Kröll in ihrer „Chronik der Gemeinde Pflach“ aus dem Jahr 2007 darlegt.

EINST HALB ZERFALLEN. Astrid Kröll vermutet, dass die jetzige Kapelle kurz nach 1700 errichtet wurde. Auf jeden Fall hieß sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts anders als heute – nämlich zur „Heiligen Dreifaltigkeit Jesu, Maria und Joseph“. Der Einfachheit halber sagte man früher „Marienkapelle“ dazu, und manche verwenden wohl auch heute noch diesen Namen. Vor 160 Jahren machte das Kirchlein indes einen bei weitem nicht so schmucken Anblick wie heute. Als der Wängler Pfarrer Josef Weishammer den Breitenwanger Dekan Schneller bat, die Kapelle renovieren und erweitern zu dürfen, da stufte er sie schon als „halb zerfallen“ ein. Aber da das Baumaterial schon bereitstand und auch der Kreuzweg aus herrlichen Hinterglasmalereien schon angekauft war, gab auch der Bischof von Brixen seinen Segen, zumal viele „Privatwohltäter“ bereitstanden. Das ist ohnehin die große Konstante in der Geschichte der  Kapelle von Oberletzen: dass sich so viele für sie begeisterten und selbst ehrenamtlich Hand anlegten. Das gilt auch für die Mitglieder der Augsburger Betriebssportgemeinschaft Messerschmitt-Bölkow-Blohm, die in der Nachkriegszeit das Haus gegenüber erwarben und ehrenamtlich mit dafür sorgten, dass es wieder zu einem Schmuckstück wurde, das der damalige Dekan Ernst Pohler nach der Renovierung 1982 einweihte.

„DIE SCHÖNSTE MARIA“. Gerti Kröner betreut (gemeinsam mit ihrem Mann Josef) nun in dritter Generation die Kapelle. Mit strahlenden Augen steht sie vor dem Altar: „Es gibt viele Marien. Aber unsere ist die schönste, davon bin ich überzeugt – egal, wo in der Kapelle man steht, sie schaut einem immer an!“ Und voller Freude blickt sie auch auf den Kreuzweg aus Hinterglasbildern. Woher der kommt und wer ihn gemalt hat, weiß auch sie nicht, auch in Astrid Krölls Buch steht nichts darüber. Aber, jetzt mal ohne jedes Fachwissen geschrieben: Wer einmal auf dem Nordwaldkammweg durchs Mühlviertel gewandert ist und dort das Hinterglasmuseum von Sandl besucht hat, kann es sich kaum anders vorstellen, als dass die Bilder zumindest stark von der Sandler Schule beeinflusst wurden, zumal die „Sandlbilder“ just dann ihre Blütezeit erlebten, als die Kapelle das erste Mal saniert wurde.

DIE LEGENDE. Um diese Zeit herum wechselte sie dann auch das Patrozinium – von der Heiligen Dreifaltigkeit zu den „Heiligen Vitus und Kreszentia“, wie es in der offiziellen Liste des Seelsorgeraums Reutte heißt. Astrid Kröll nennt in ihrem Buch sogar noch Modestus, der als Erzieher mit der Amme Crescentia den kleinen Vitus (den Sohn des heidnischen Senators Hylas) zum christlichen Glauben bekehrt haben soll. Das passierte der Legende nach in Mazara auf Sizilien – und deshalb ist San Vito, wie er in Italien genannt wird, heute noch Schutzpatron der größten Mittelmeerinsel. Schon als Siebenjähriger soll Vitus Wunder gewirkt haben, was jedoch seinem Vater gar nicht passte und er ihn sogar dem Richter des Christen hassenden Kaisers Diokletian übereignete. Der wollte ihn schlagen, doch ihm und seinen Knechten verdorrten die Arme. Vitus freilich hielt sich an das Jesus-Wort „Liebet Eure Feinde“ und heilte sie wieder. Der Gemeinheit des Vaters nicht genug: Nun ließ er ihn mit jungen Verführerinnen in ein Zimmer sperren, doch der Blick durchs Schlüsselloch brachte nicht das erwünschte Ergebnis. Nicht die holden Tänzerinnen umgaben Vitus, sondern sieben Engel. Zudem wurde er ob seines Voyeurismus auch noch blind. Und ebenfalls durch das Gebet des Sohns geheilt. Trotzdem mussten Vitus, Modestus und Crescentia auf den dringenden Rat eines Engels hin fliehen – in Lukanien brachte ihnen ein Adler Brot. Und dennoch wurden sie entdeckt und zum Kaiser nach Rom gebracht. Dass er dessen vermutlich an Epilepsie erkrankten Sohn heilte, nutzte ihm nichts. Der Herrscher ließ ihn samt Amme und Lehrer ins Gefängnis bringen und ihnen schwere Eisenplatten hinterherwerfen, die sie erdrücken sollten. Aber auch hier verhinderten Engel den Erfolg. Der Tod in einem heißen Ölkessel trat ebenfalls nicht ein, der Löwe, dem sie zum Frass vorgeworfen wurden, leckte ihnen die Füße; als man sie auf die Folterbank spannte, zerschlugen Blitze das Martergerät und ein Erdbeben vernichtete den Tempel. Aber vielleicht war das letztendlich dann doch zu viel – Engel brachten die drei an das Ufer des Flusses Sele in Lukanien, wo sie dann im Jahre 304 sanft entschliefen. Wegen seiner (hier aus dem Ökumenischen Heiligenlexikon zusammengefassten) Lebens- und Leidensgeschichte wird er oft im Ölkessel, mit dem Löwen und dem Adler dargestellt. Der Augsburger Maler Wolfgang Kolonko hat für sein wunderschönes Gemälde über der Eingangstür, das die Blicke anzieht, indes den Hahn als Attribut gewählt. Angeblich soll nämlich Bischof Otto von Bamberg vor rund 900 Jahren den Pommern bei deren Bekehrung ein silbernes Reliquiar, das von einem Hahn gekrönt war, geschenkt haben – worauf sich die, die dieses Tier zuvor heilig hielten, sofort vom neuen Glauben überzeugen ließen. Auch in die Medizingeschichte ist Veit (so der deutsche Name Vitus) eingegangen. Allerdings in schlimmem Zusammenhang: Dem „Veitstanz“ (einer der Epilepsie ähnlichen Krankheit, die auch als „Tanzwut“ bezeichnet wurde) fielen im Mittelalter zahllose Menschen zum Opfer, die Ursache ist noch umstritten. Den heiligen Vitus rief man an, weil er ja den Verführungen der Tänzerinnen widerstanden hatte. Auch die Monarchen hielten viel von ihm: Der Sachsenkaiser Otto I. machte ihn schon im 10. Jahrhundert zum Reichsheiligen. Vitus gehört zu den 14 Nothelfern und ist auch Schutzpatron der Jugendlichen, Epileptiker, aber auch der Gastwirte, Apotheker, Tänzer, Schauspieler, Bierbrauer, Küfer, Bergleute, Kupferschmiede, der Stummmen und Tauben und der Haustiere. Er steht sowohl für Keuschheit als auch für gute Saat und Ernte (und noch viel mehr) ein. Man könnte noch viel über den Vitus erzählen. Aber dafür reicht der Platz hier nicht. Zum Schluss nur noch ein Wunsch für Leute, die keine Wecker mögen: „Heiliger Sankt Veit, wecke mich zur rechten Zeit. Nicht zu früh und nicht zu spät, bis die Glocke ??? Uhr schlägt!“

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben