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Die Heilige und die Alm

Die Heilige und die Alm

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s nach Tannheim.
17. Jänner 2022 | von Jürgen Gerrmann
Die Heilige Margaretha soll zwar in Kleinasien gelebt haben, wird aber dennoch auch im ländlichen Alpenraum hoch verehrt - zum Beispiel in der Mariahilf-Kapelle von Tannheim. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Es ist wohl der beliebteste Spazierweg im „schönsten Hochtal Europas“ (wie der Alpinschriftsteller Ludwig Steub dereinst schwärmte): Von Oberhöfen hinaus zum Vilsalpsee. Wer dabei über die Vilsalpseestraße Tannheim verlässt, der kommt unweigerlich an einer Kapelle vorbei, deren Zauber man sich schon von außen kaum zu entziehen vermag – und wer hineingeht, findet selbst im größten Trubel der Hauptsaison zur (inneren) Ruhe: Maria Hilf ist ein großes Kleinod des ganzen Tales.

GELÜBDE IN DER PESTZEIT.
Wer die Kapellen im Außerfern mit offenen Sinnen besucht, dem wird dabei unter anderem auffallen, wie sehr eine große Geißel der Menschheit vor knapp 400 Jahren auch diese Region heimgesucht hatte: Die Pest. Im von  Pfarrer Donatus Wagner, einem Sohn des Tales, herausgegebenen und von Alfons Kleiner verfassten (leider vergriffenen) Heftchen über die „Kirchen und Kapellen des Tannheimer Tales“ aus dem Jahr 2003 steht zu lesen, dass die „schwarzen Petetschen“ (wie man damals zu dieser Seuche sagte) der Anlass zum Bau des kleinen Gotteshauses waren – 1635 hatten die Pest im gesamten Tal gewaltig gewütet, und die Menschen von Oberhöfen, Bogen, Geist und Schmieden erhofften sich wohl, mit diesem frommen Werk künftig davon verschont zu bleiben. Sie legten  kurz nach der Katastrophe ein Gelübde ab, eine Kapelle „zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit und der Muttergottes“ zu errichten und setzten ihr Versprechen im Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (also 1649) in die Tat um: Sie ließen das Kirchlein „auferbauen, ziehren und mahlen“. So steht es auf dem Hochaltar, der allerdings (wie auch die Kapelle selbst) erst 1685 offiziell geweiht wurde.
DREI ALTÄRE. Der Hochaltar steht übrigens nicht alleine, er hat zwei gleichartig gestaltete Geschwister: Links steht der Heilige Joseph mit dem Jesuskind im Mittelpunkt – unter ihm liegt Christus im Grab, über ihm ist der Apostel Paulus zu sehen. Auf seinem Pendant rechts nimmt Petrus, der „Gründer der Kirche“, den Platz vis-a-vis seines großen Apostelkollegen ein, während die zentrale Position Maria mit dem Kinde gebührt, die übrigens auch eine wunderschön gestaltete Prozessionsstange ziert. Klar, dass auch der Hochaltar auf dieses in dieser Zeit in der katholischen Kirche so zentrale Motiv ausgerichtet ist: Auf dem Gemälde ganz oben (um 1750 von Balthasar Riepp geschaffen) lehren Anna und Joachim ihrer kleinen Maria das Lesen, die in der großen Nische den kleinen Erlöser auf ihrem Arm hält – wohlwollend betrachtet von Gott, dem Vater unter der Decke. Über das Mariahilf-Motiv und seine Hintergründe hatten wir bereits in der Kapellengeschichte über das Kirchlein am Frauenbrünnele ausführlich berichtet. Aber an diesem Altar gibt es ja noch mehr zu sehen. Er wird zum Beispiel von zwei Heiligen flankiert – rechts von Barbara, links von Margaretha. Und der wollen wir uns heute etwas näher zuwenden. Der Legende nach soll sie in Antiochia,  in der heutigen Türkei, gelebt haben. Vermutlich deswegen wurde sie schon relativ bald nach ihrem Tod (angeblich um 305) in der Ostkirche als Heilige verehrt. Bei uns wurde sie erst ab dem 7. Jahrhundert bekannt und dann im Mittelalter so richtig populär, als sich insbesondere der Orden der Zisterzienser sehr für ihre Verehrung einsetzte.

LEGENDE MIT VARIANTEN.
Ihre Legende wurde in zwei Varianten überliefert. Die erste: Sie war Tochter eines heidnischen Priesters, ihre Amme erzog sie zu deren Glauben, was zur Folge hatte, dass sich ihr Vater von ihr lossagte und sie sogar beim römischen Stadtpräfekten anzeigte. Ihre Flucht war nicht von Erfolg gekrönt, die Richter, vor die sie gezerrt wurde, begehrten die schöne junge Frau, und als die Nein sagte, übten sie schlimme Rache und ließen Margaretha mit Flammen ansengen und in siedendem Öl kochen – was ihr nichts anhaben konnte. Das wiederum führte dazu, dass viele nun ebenfalls Christen werden wollten. Sie mussten deswegen dasselbe Schicksal wie Margaretha erleiden – Enthauptung. In der zweiten Ausführung war der Präfekt Olybrius selbst der Lüstling, dessen Anbiederungsversuche erfolglos blieben, nachdem er die junge Frau beim Schafehüten beobachtet hatte. Dass sie ihn abwies, ärgerte ihn so sehr, dass er sie mit eisernen Kämmen und ebenfalls Fackeln traktieren und schließlich ins Gefängnis bringen ließ. Dort machte sich dann der Satan persönlich an sie heran – in Gestalt eines riesigen Drachens, der ihr den Garaus zu machen versuchte, aber scheiterte, als sein Opfer das Kreuzzeichen schlug. Auch sein zweiter Anlauf (diesmal in Menschengestalt) scheiterte. Als auch weitere Marter vergeblich waren und der Präfekt sein Ziel nicht erreichte, sollen sich 5.000 Menschen zum christlichen Glauben bekannt haben. Ihr Schicksal blieb auch in dieser Version der Geschichte dasselbe: Sie wurde enthauptet. Petrus de Natalibus, ein Schriftsteller, der auch Bischof von Equilio (dem heutigen Jesolo) war, überlieferte in seinem „Katalog der Heiligen und ihrer Taten“ zudem, dass sie vor ihrer Ermordung nicht nur für ihre Verfolger, sondern auch für „Frauen in Kindsnöten“ gebetet habe, und deshalb gilt sie als Schutzpatronin der Gebärenden, aber auch der unfruchtbaren Frauen. Sie ist ebenfalls für die Bauern und Hirten, Jungfrauen und Ammen zuständig und soll helfen, wenn man sie bei Gesichtskrankheiten und Wunden anruft.
Margaretha (im Griechischen heißt sie übrigens Marina, viele Reliquien von ihr werden in der Mönchsrepublik Athos verehrt) ging übrigens sogar in Frankreichs Geschichte ein: Jeanne d’Arc sagte, sie sei unter anderem von deren Stimme in ihrem Kampf gegen die Engländer geleitet worden. In der katholischen, evangelischen und anglikanischen Kirche wird ihrer am 20. Juli gedacht, in der orthodoxen am 17.  In älteren Kalendern ist derweil der 13. Juli mit ihrem Namen versehen, und damals besaß die Heilige nicht zuletzt für die Landwirtschaft große Bedeutung: An Margaretha begannen die Bauern mit der Ernte.

GESCHWÄTZIGER HIRTENJUNGE.
Auch in den Alpen hatte sie stets große Bedeutung (weswegen es kein Wunder ist, dass sie auch auf dem Hochaltar von Mariahilf vertreten ist): Das Canzun de Sontga Margriata (Lied von der Heiligen Margaretha) zählt zu den ältesten Liedern, die in der wunderbaren rätoromanischen Sprache (sie lebt gottseidank noch in Graubünden) erhalten geblieben sind. Noch vor gut 150 Jahren soll es von den Bäuerinnen im Engadin bei der Feldarbeit gesungen worden sein. Darin wird eine wahrlich verwegene Geschichte erzählt: Die Heilige soll als Mann verkleidet auf einer Alm gearbeitet haben. Erst im siebten Sommer kam ein Hirtenknabe per Zufall hinter ihre wahre Identität. Margriata wollte indes auf keinen Fall verraten werden und bot dem Burschen allerlei schöne Gaben an, damit er seinen Mund halte – vergeblich. Was ihm nicht zum Besten gereichen sollte: Er wurde verflucht und drei Klafter tief in die Erde versenkt. Und die Schöne nahm ihren Abschied von der Alm, worauf die Quellen vertrockneten und die Wiesen verdorrten. Übrigens: Man geht davon aus, dass Margaretha im Alpenraum quasi eine vorchristliche Fruchtbarkeitsgöttin ersetzt: Der katholische Bischof von Chur, Christian Caminada (der auch Volskundler war), sah in ihr Parallelen zur germanischen Göttin Freyia.

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