Samstagskultur des Museumsvereins Reutte: ein Ausflug nach Gramais
Die kleinste Gemeinde Österreichs hat eine große Geschichte. Das spürte man beim Ausflug des Museumsvereins Reutte nach Gramais im Rahmen der Samstagskultur ganz intensiv.
Von Jürgen Gerrmann
Ein überaus kundiger Führer war dabei Werner Friedle. Streng genommen ist der zwar ein Häselgehrer, aber als früherer Lehrer und Bürgermeister (für 20 Jahre) und Chronist (seit 52 Jahren) dennoch ein wandelndes Gramaiser Lexikon. Er gibt wohl nichts, was er nicht wüsste.
So staunte mancher, dass das 1370 erstmals erwähnte Gramais „über Jahrhunderte hinweg gar nichts mit dem Lechtal zu tun hatte.“ Bis 1911 gab es lediglich einen gefährlichen Saumpfad, der danach auf Karrenmaße verbreitert wurde, und bis 1938 gehörte man zum Bezirk Imst. Von dort aus war die einstige Alm ja auch über das Hahntennjoch und das Sattele besiedelt worden. Seit rund einem halben Jahrtausend hat das Dorf rund 20 Häuser, und während früher 66 Kühe auf den Wiesen grasten, sind es nun nur mehr 18. Die Einwohnerzahl hat sich vom Höchststand im Jahre 1880 (120) auf nun 40 gedrittelt. Aber dafür bieten man stolze 170 Fremdenbetten an. Etwa 11 000 Nächtigungen (die weitaus meisten im Sommer) weist die touristische Statistik aus.
Des Kaisers Jägermeister.
Eine Holzfigur im Treppenhaus des Gemeindeamtes erinnert an den berühmtesten Sohn des Ortes: Kaspar Gramaiser, dereinst Kaiser Maximilians „Oberster Gebirgs- und Gämsenjägermeister“. Er entwickelte ein besonderes Näheverhältnis zum Kaiser, der ihn sogar in den Adelsstand erhob und vor dessen Augen er 1514 auf der Jagd in den Hohen Tauern zu Tode stürzte. Der Kaiser nahm sogar an seinem Begräbnis teil. Kein Wunder also, dass die Gramaiser Jagdpächter die Schnitzerei, die an ihr Vorbild erinnert, finanzierten.
Reuttes Historiker Richard Lipp hat Kaspar Gramaiser (genannt Lechtaler) übrigens einen ausführlichen und mit vielen Detailinformationen aufwartenden Absatz in seinem Buch „Maximilian und das Außerfern“ gewidmet, das am 27. Juni erscheinen wird.
Der letzte Bär.
Und da passt natürlich auch noch eine weitere Jagdgeschichte, mit der Werner Friedle aufwartete: Am Gramaiser Bärenschröfle wurde 1859 der (bislang) letzte Bär im Außerfern erschossen. Er hatte den Aufzeichnungen zufolge „dem Pfarrer ein Kalb erschlagen“. Und das sollte ihm nicht gut bekommen: Sein Schicksal ereilte ihn per Vorderlader. Was laut dem Dorfchronisten nicht ohne Gefahr für den Schützen war: „Der erste Schuss musste sitzen, sonst hätte es ihn vermutlich selbst erwischt.“
Aber auch in eine Atmosphäre der Innigkeit konnte man bei der Samstagkultur eintauchen: Das dem heiligen Johannes dem Täufer geweihte kleine Kirchlein ist schon etwas ganz Besonderes. Mag nun der kunsthistorische Rang des Nazarenerstils umstritten sein – man fühlt sich darin einfach wohl und geborgen. Vier Messen und ein Wortgottesdienst werden dort noch jeden Monat gefeiert, obwohl Gramais' letzter eigener Pfarrer Josef Amann das Dorf schon 1958 gen Pinswang verließ – zum Marienmonat Mai war es ganz besonders festlich geschmückt. Und so konnte Friedle, der auch Mesner ist, im Grunde gar nicht anders, als sich an die Orgel zu setzen und in seiner Eigenschaft als Organist „Maria, Dich lieben, ist allzeit mein Sinn“ zu intonieren. Und die Gäste vom Museumsverein stimmten ein.
Ein mutiger Pfarrer.
Auch um die Pfarrer von Gramais rankt sich so manche Geschichte. Hermann Knabl etwa, der von 1917 bis 1940 amtierte, war (wie viele seiner Kollegen in der Dorfgeschichte) auch Wirt: „Der hatte eine Weinkarte, die sich mit den besten Hotels messen konnte“, hat Friedle herausgefunden. Und da Gramais an der Aufstiegsroute zur Hanauer Hütte lag (und liegt), kehrten viele Bergwanderer ein. Knabl reinvestierte deren offenkundig nicht zu knappe Zeche sinnvoll und nachhaltig: Er ließ die erste Hochdruckwasserleitung installieren, ein erstes E-Werk bauen sowie Kirchendach, -fenster und -uhr erneuern. Herausragend bei ihm, der auch Bauer, Imker, Notarzt und Käfersammler war, ist auch, dass er 1938 als Einziger im Dorf gegen Hitler und den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich stimmte.
Abschluss im Huamhaus.
Der Schlusspunkt der Samstagskultur wurde dann in einer weiteren Schatzkammer der Heimatgeschichte gesetzt: dem Huamhaus, einem auf Initiative von Gerd Kipping (einem gebürtigen Hamburger) ins Leben gerufenen Heimatmuseum, für das lange eifrig gesammelt wurde und das 2011 in einer früheren Holzer-Hütte der Bundesforste aus Steinberg am Rofan eröffnet werden konnte. Die Tür stammt übrigens vom Gasthaus „Guter Tropfen“ in Kaisers. Der Schwerpunkt dort liegt naturgemäß beim Bergbauernleben, und – bei Herrgottswinkel und Schulbank, Herd und Werkbank, Bettstatt und Bügeleisen, Nachttöpfen und Nähmaschinen, Pfeifen und Figl (Abkürzung für hölzerne Firngleiter oder Kurz-Ski, wie man heute sagen würde) – wusste das Auge kaum mehr, wo es zuerst hinschauen sollte.
Und so störte das miese Wetter die Ausflügler kein bisschen. Denn wohl jeder spürte: Gramais ist ein Kleinod fernab vom Trubel der Zeit. Und es hat viel zu erzählen: Vom Leben in den Bergen. Von dessen Kargheit (1981 war man mal zehn Wochen von der Zivilisation abgeschnitten). Aber auch von dessen Schönheit.