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Kultureller Pendelverkehr

Galerie und Museum in Tannheim ergänzten sich am Sonntag ideal

Finissage hier, Vernissage dort: Anfang und Ende zweier bemerkenswerter Ausstellungen konnte man am Sonntag in Tannheim erleben.
24. Mai 2022 | von Von Jürgen Gerrmann
Doris Pfeifer (hier mit ihrem „Allgäublau“) und Arndt Richter gestalten die aktuelle Ausstellung in der Tannheimer Galerie Augenblick.    RS-Fotos: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

Nein, an der Wiege gesungen war es ihnen nicht, dass sie eines Tages durchaus renommierte Künstler werden sollten. Ihre große Leidenschaft brach sich erst in den späteren Jahren ihres Lebens Bahn: Doris Pfeifer und Arndt Richter haben ihren Weg gefunden. Und durchaus Faszinierendes geschaffen. Davon kann man sich noch bis zum 12. Juni in der Galerie Augenblick in Tannheim überzeugen.

AUFTAKT IN DER GALERIE. Mit ihrer „Sirod-Art“ ist die gebürtige Westfalin Doris Pfeifer dabei vertreten. Im ersten Moment liest und hört sich das zwar ziemlich rätselhaft an, aber die Lösung ist bei genauerem Hinsehen und -hören gar nicht so schwer: Sie hat einfach ihren Vornamen umgedreht. Denn darin sieht die in Sonthofen lebende Künstlerin auch die beiden Seiten ihres Schaffens widergespiegelt: „Bei der Grafik arbeite ich sehr genau, in der Malerei andererseits oft schnell, locker und mit breitem Pinsel, manchmal auch übereinander.“ Bei alledem entstehen ihre Bilder in den seltensten Fällen „auf einen Rutsch“. Sie sind eher Resultat eines Prozesses: „Man probiert aus, legt es wieder weg, verändert Dinge.“ Bei alledem pflegt sie auch den Austausch mit ihren Dozenten, wobei ihr nach eigener Aussage die Europäische Kunstakademie in Trier viel gegeben hat. Einige Lehrkräfte von dort zählen nun auch zum Team der Allgäuer Kunstakademie in Betzigau, so dass der Kontakt leichter fällt. Zwei große Themen prägen Doris Pfeifers Werk – sowohl bei der Grafik (zumeist Siebdruck) als auch in der Malerei (oft Acryl oder Aquarell): der Mensch (häufig abstrahiert) und die Natur, bei der sie auch gerne ins Detail geht. Ein Musterbeispiel für letzteres ist das „Allgäublau“, bei dem sie ihre Faszination für den „im Winter extrem blauen Himmel“ ihrer neuen Heimat (in ihrer Geburtsstadt Hagen sah man wegen der Schwerindustrie die Sonne so gut wie nie) auf die Leinwand überspringen ließ: „Wie das Licht im Wasser der schmelzenden Schneekristalle gebrochen wird – das begeistert mich einfach!“ Und von dieser Begeisterung für die Landschaft und deren Details erzählen all ihre Bilder in dieser Ausstellung, in der man die Welt „mit meinen Augen“ (so der offizielle Titel) sehen kann. Ein eher Spätberufener ist auch der Konstanzer Arndt Richter. „Von Haus aus Biologe“ (wie er sich selbst skizziert), wuchs bei ihm gegen Ende des Berufslebens das Interesse und die Freude an der Bildhauerei mit Holz und Stein. Oft wollte er auch die Orte direkt vor Augen haben, von denen seine Rohmaterialien stammen, und so verschlug es ihn auch ins Maggiatal im Tessin, wo sich der einzige Marmorsteinbruch der Schweiz (ein Ausläufer der berühmten Formation von Carrara in der Toskana) befindet. Aber nicht nur der, sondern auch die traditionsreiche Bildhauerschule von Peccia, die für seine künstlerische Entwicklung prägend wurde. Und eine breite Spur davon ist nun auch in der Galerie Augenblick zu sehen: Denn Richter beschäftigte sich in seiner Ausbildung nicht nur mit Malerei und Aktzeichnen – vor allem das Porträtieren mit Gips schlug ihn in seinen Bann. Wegen er Eiform, die die Basis des künstlerischen Gestaltens des menschlichen Hauptes ist, aber auch wegen der Jugenderinnerungen an die Helme der alten Griechen und Römer, die ihn als Kind begeisterten. Ein Kopf wird dabei immer wieder variiert: sein eigener. „Dieses Selbst“ (so der Titel seiner Ausstellungsabteilung) wird modelliert und dann einem fließenden Gestaltungsprozess unterworfen: „Mal wird es verjüngt, mal verschönt, mal bleibt es 1:1 erhalten.“ Richter sieht „dieses Selbst“ übrigens nur als Beispiel, die Plastiken seien quasi eine „Spielform, die beim Betrachter etwas auslösen kann“. Was konkret, das liege freilich einzig und allein an dem. Die Arbeit an seinen Plastiken ist für den Künstler dabei eine Art Spielwiese. Und dort tummelt er sich ganz offensichtlich nach Herzenslust und lässt sich von seiner Kreativität treiben: „Ich plane die Köpfe nicht im Detail. Da ist viel Spontaneität drin.“ Wenn sein Blick zum Beispiel auf ein paar leere Kunststoff-Mineralwasserflaschen fällt, dann verwandelt er sie schon mal in ein paar Brüste, und ein ausrangiertes T-Shirt seiner Tochter avanciert zur gipsgestärkten Kopfbedeckung. Wobei sich Richter bewusst ist: „Im Spiel ist auch immer Ernst dabei, und manchmal wird es auch Ernst.“ Das blendet er in seinen Werken nicht aus: „Ich befasse mich auch mit den Abgründen in mir – und mit denen der Menschheit allgemein.“ Auch sie schwingen in diesen Kopf-Bildern immer mit.

FINALE IM MUSEUM. Zwischen der Galerie Augenblick und dem Felixè Minas Haus herrschte an diesem Sonntag ein lebhafter kultureller Pendelverkehr. Dort ging nämlich die Ausstellung „Frauenwerk“, zu der sich elf Künstlerinnen zusammengetan hatten (die RUNDSCHAU berichtete), zu Ende. Mit einem bunten Programm: Die Trommelgruppe „Die flotten 3“ aus Pfronten und Lechaschau ließ es gehörig krachen, sodass nicht nur Judith Schmid im Bodypainting von Daniela Eneidi Pahle voller Lebensfreude tanzte, sondern auch viele aus dem Publikum. Eva Maria Kleiner ließ ihre Zuhörerschar an der Sagenwelt des Tannheimer Tals teilhaben. Heimatgefühle kamen auf, als Regina Luttinger Gedichte der verstorbenen Biberwierer Dichterin Milli Wörz rezitierte. Und auch das Handwerk kam nicht zu kurz: Silvia Schennach demonstrierte den richtigen Umgang mit Ton, und gemeinsam mit Michelle Forcher aus Pflach wurde gewebt und gefilzt.
Übrigens: Das Reuttener Gemeinschaftprojekt „Mobilität – bunt gestrickt“ hatte zwischen den beiden Ausstellungsorten eine „Wollspur“ als verbindendes Element gelegt. Auch das begeisterte übrigens viele Besucher: das gute, befruchtende Miteinander zwischen den beiden kulturellen Hotspots.
Kultureller Pendelverkehr
Arndt Richter: „Kopfbilder“.

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