Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Mit Hilf Gottes und guter Leit“

Die Sebastianskapelle von Grießau erzählt von Zeiten der Not

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s nach Grießau im Lechtal.
29. November 2021 | von Jürgen Gerrmann
Der heilige Sebastian ist der Namensgeber der Kapelle von Grießau im Lechtal. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges war das Dorf schwer von der Pest heimgesucht worden. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Eigentlich ist es ja nicht ganz korrekt: Denn die Kapelle von Grießau steht gar nicht in Grießau, sondern zu Fuß etwa ein Viertelstündchen südlich leicht bergauf vom Häselgehrer Ortsteil. Und das ist auch nicht verwunderlich: Sankt Sebastian ist nämlich eine Pestkapelle. Und die wurden damals verständlicherweise nicht in den Ortschaften, wo diese Seuche wütete und furchtbaren Tribut forderte, sondern möglichst weit draußen errichtet. Dass allzu enge Kontakte im Kampf gegen eine schlimme Krankheit nicht gerade dienlich waren, das wusste man schon damals, auch wenn in diesen Zeiten deren Ursachen im Dunkeln waren und deswegen auch schon vor Jahrhunderten Verschwörungstheorien kursierten, in deren Mittelpunkt nicht zuletzt die Juden standen.

FAST DAS GANZE DORF DAHINGERAFFT.
Während des Dreißigjährigen Krieges plagte diese Geißel die Lechtaler besonders schlimm. Fast ganz Grießau und Grünau sollen ihr 1635 zum Opfer gefallen sein, wie in der Häselgehrer Ortschronik von Werner Kohler aus dem Jahre 2017 zu lesen steht. Der hat auch einen Blick in das vor exakt 400 Jahren vom damaligen Elbigenalper Pfarrer Pfarrer Jakob Mayr begonnene Sterbebuch geworfen und festgestellt, dass am 16. und 17. September „13 bis 14 Personen“ und eine Woche später nochmals dieselbe Anzahl das Zeitliche segnen mussten.
Sie alle brachte man (wie die anderen Seuchenopfer) hinauf zur kleinen Kapelle am Waldrand, wo heute der Wanderweg zur Grießbachalm beginnt.
Wie weit deren Wurzeln historisch zurückreichen, weiß niemand so richtig. Die Schätzungen gehen davon aus, dass schon vor fast 600 Jahren dort ein erstes kleines Kirchlein stand. In der Ortschronik ist auf jeden Fall zitiert, dass der Schwabe Johann Otto von Gemmingen, der seinerzeit Bischof von Augsburg war und zu dessen Gebiet damals fast das ganze Außerfern zählte, am 15. Februar 1596 die Genehmigung erteilt habe, „die Sebastiani-Kapelle zu Griesau zu erneuern, erweitern und mit einem Freithof zu versehen“. Damals muss sie also schon gestanden haben. Und er gab die Empfehlung, dass „alle gutgesinnten Leute“ dieses „fromme Unternehmen“ unterstützen sollten.

MAUER ERINNERT AN VIELE OPFER.
Knapp vier Jahrzehnte später sollte man diesen „Freithof“ bitter nötig haben. Denn Johann Anton Falger, der „Vater des Lechtals“ notierte in seinen Aufzeichnungen zur Geschichte seiner Heimat für die Jahre 1633 bis 1635 folgendes: „Die Pest in Lechthal, besonders am rechten Lechufer; in Griessau und Grünau soll die Bevölkerung nahezu ausgestorben sein. In Grünau sollen neun Marien über einander in dasselbe Grab gelegt worden sein.“
Noch heute erinnert die Mauer neben der Sebastianskapelle an diese Zeit. Wie schön, dass man sie nicht dem Verfall überließ, sondern immer wieder erneuerte (unter anderem 1938)! Man kann dies durchaus als Zeichen der Verbundenheit mit den Menschen werten, die in uralter Zeit hier lebten, hart arbeiten und viel durchleiden mussten.
Zu ihnen zählte auch eine Caterina Pissebergerin, die schwer erkrankte und quasi schon aufgegeben war, nachdem alle damalige ärztliche Kunst vergebens zu sein schien: „Kein Doctor oder Arzt hat mer helfen kenden“, steht auf einer alten Votivtafel. Sie überlebte dennoch, finanzierte daher 1696 die Rettung der wohl ziemlich derangierten Kapelle, die sie „mit Hilf Gottes und guter Leit“ wieder „aufbauen und zieren“ ließ. Nicht zuletzt ihr, aber auch denen, die sich bei den diversen Ausbauten engagierten – 1832 (unter dem Pfarrer Josef Leimgruber), 1927 (die Gemeinde Häselgehr stiftete ein Blechdach), 1937 (Ernst und Anton Knittel malten das Innere neu aus), 1976 (neue Fenster wurden eingesetzt) und 1983 bis 1985 (die Grießauer Bevölkerung sorgte für eine grundlegende Renovierung) – ist diese Idylle am Waldrand zu verdanken.

DAS GERETTETE GLÖCKLEIN.
Die innige Verbindung der Grießauer zu dem kleinen Kirchlein spiegelt auch eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg wider: Wie überall im Deutschen Reich sollte auch das Glöcklein der Sebastianskapelle abgehängt und eingeschmolzen werden, um mit dem „Sekundärrohstoff“ Kanonen oder andere Waffen zu gießen. Zu ersterem kam es, zu letzterem nicht. Ein paar „beherzte Männer“ (so Kohler) nutzten den nächtlichen Schlaf der „Glockenabnahmekommission“ und vergruben es „irgendwo“. Erst nach dem Krieg tauchte es dann zur großen Freude aller wieder auf.

VIELE PESTHEILIGE.
Der Namensgeber der Grießauer Kapelle ist einer von zwei Haupt-Pestheiligen im Außerfern: Über die Legende des heiligen Sebastian hatten wir bereits im Zusammenhang mit dem Kirchlein von Berg im Tannheimer Tal berichtet, vom heiligen Rochus (der auch in Grießau mit einer Skulptur vertreten ist), soll in einer späteren Folge die Rede sein.
Aber wie sehr die Pest dereinst in ganz Europa wütete, lässt sich auch daran ablesen, wie viele Heilige auf dem ganzen Kontinent angerufen und bei ihnen Hilfe beim Kampf gegen die Seuche erfleht wurde.
Ägidius (einer der 14 Nothelfer), der als Einsiedler an der Mündung der Rhone ins Mittelmeer lebte, zählt ebenso dazu wie Alexius von Edessa (in der heutigen Türkei), Aloisius von Gonzaga (aus der Nähe von Mantua), Jesu Großmutter Anna, Antonius von Padua, Benno von Meißen (in Sachsen), Blasius von Sebaste (im früheren Klein-Armenien), der in allen wilden Flusstälern sehr beliebte Chris-tophorus, die syrischen Zwillinge Kosmas und Damian, die Heilige Dreifaltigkeit, Franz von Paola (der an der Loire lebende Ordensgründer der Paulaner), Genoveva von Paris, der Drachenbezwinger Georg, der Papst und Kirchenvater Gregor der Große (ein Römer), der Nordfranzose Jodok, Johannes der Täufer, Juvenalis von Benevent in Kampanien, der Mailänder Kardinal Karl Borromäus, der gebürtige Ire Koloman, die Muttergottes Maria, der Schotte Oswald, der in der Pfalz gestorbene Pirminius, Quirinius von Neuss am Nieder-rhein, Rosalia aus Siziliens Metropole Palermo und Spyridon, der Schutzpatron Korfus. Und der Reigen schließt sich mit Torpes aus Pisa. Der ist heute freilich weniger als Heiliger bekannt denn als Namensgeber eines der Hotspots des internationalen Jet-Sets: Saint-Tropez.

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