Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Schlaglichter auf die dunklen Jahre

26. November 2019 | von Nina Zacke
Ein herzliches Dankeschön sagte Regina Karlen, die Vorsitzende des veranstaltenden Kulturausschusses des Breitenwanger Gemeinderats, dem Referenten Richard Lipp. RS-Fotos: Germann
„Breitenwang in der Nazi-Zeit“ – dieses Thema erwies sich in der vergangenen Woche als wahrer Magnet: Die Stühle im großen Saal des VZ Breitenwang reichten nicht für alle, die Richard Lipps beeindruckenden Vortrag hören wollten. RS-Foto: Gerrmann

Riesiger Ansturm auf den Vortrag von Richard Lipp über den Nationalsozialismus in Breitenwang


Die „braune Zeit“ im Außerfern – sie war gleich im doppelten Sinn dunkel: Zum einen, weil dort viel Schlimmes geschah, zum anderen, weil vieles nach Kriegsende totgeschwiegen, zum Tabu erklärt wurde und daher vieles im Dunklen bleiben sollte und wohl auch blieb. Doch die Sehnsucht, dass Licht ins Dunkel kommt, ist fast 75 Jahre nach Ende der Terror-Herrschaft vielleicht größer denn je. Darauf deutete zumindest der riesige Ansturm auf den Vortrag hin, den Dr. Richard Lipp am Donnerstag im VZ Breitenwang hielt.

Von Jürgen Gerrmann

„Breitenwang in der Nazi-Zeit“ – dieses Thema erwies sich in der vergangenen Woche als wahrer Magnet: Die Stühle im großen Saal des VZ Breitenwang reichten nicht für alle, die Richard Lipps beeindruckenden Vortrag hören wollten.


„Es ist unglaublich, dass das Thema ,Breitenwang in der NS-Zeit so viele interessiert“, staunte Regina Karlen vom Breitenwanger Kulturausschuss, auf dessen Initiative dieser Abend zustande kam. Wobei an diesem Abend kein Platz für Schuldzuweisungen sei. Viel wichtiger sei es zuzuhören: „Es wäre gut für die Menschheit, wenn sie aus diesen Erfahrungen lernen würde.“

„Es geht nicht um Namen, es geht um Strukturen“, merkte auch Richard Lipp während seines Vortrags immer wieder an. Immer wieder spürte man seine Fassungslosigkeit darüber, wie zuvor hoch respektierte jüdische Menschen, wie der kaufmännische Direktor des Metallwerks, Gustav Lenke (der wegen seiner sozialen Gesinnung überaus geachtet war), oder der Korrespondent und Übersetzer Kurt Weinberg (er arbeitete ebenfalls bei Plansee) von einem auf den anderen Tag massiver Aggression ausgesetzt waren.

Die Übergriffe auf die Juden geschahen dabei schon unmittelbar nach dem Anschluss an das Deutsche Reich. Lipp: „In Reutte hat man nicht bis zur ,Reichskristallnacht' am 9. November gewartet, sondern viel früher zugeschlagen.“ Und der Historiker trat auch der Legende entgegen, die Täter seien aus Füssen herbeorderte Schlägertrupps gewesen: „Nein, das waren Einheimische.“

Zur Nazi-Geschichte im Reuttener Becken zählten auch die rund 500 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. Erstere konnten sich frei bewegen und wurden „alle mit Anstand behandelt“, wie Lipp unterstrich: „Das kann man durchaus auch mal mit Stolz erwähnen.“ Von einem der Lager steht noch der Zaun, und nach den Vortrag hörte man mehrmals, dass dort doch eigentlich eine Erinnerungstafel aufgestellt werden müsste.

Zu den ersten Opfern des Nationalsozialismus im Außerfern gehörte auch ein Arzt: Dr. Leo Stecher, der Primar, der das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Kreckelmoos zu einer leistungsfähigen Klinik entwickelt hatte, wurde schon am 14. Mai 1938 abgesetzt. Begründung: Er habe sich „in radikaler Weise gegen die nationalsozialistische Bewegung betätigt“. Im Jahr darauf wurde das Krankenhaus enteignet. Nach dem Abschied der Barmherzigen Brüder ereigneten sich auch dort schlimme Dinge: Von 1942 bis 1945 gab es viele Zwangssterilisierungen und Abtreibungen – aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“.

Für die Gemeinde Breitenwang bedeutete die Nazi-Herrschaft eine Einschränkung der Selbstständigkeit: Man wurde 1939 zwar nicht eingemeindet, aber immerhin gemeinsam mit Lechaschau der Marktgemeinde Reutte unterstellt. Nach dem „Endsieg“ sollte dann eine Großgemeinde im Reuttener Becken entstehen. Den damaligen Reuttener Bürgermeister Lothar Kelz (auch ein Parteigenosse) bezeichnete der Historiker als „Glücksfall“: „Er war kein Scharfmacher und hat dann am Ende des Krieges unter Einsatz seines Lebens Reutte den Amerikanern übergeben.“

Schlimm traf es auch die katholische Kirchengemeinde: Der Kooperator Jakob Gapp, der dem Orden der Marianisten angehörte, verweigerte in Graz den Hitler-Gruß und wurde (so Lipp) „nach Reutte abgeschoben“. Dort missbrauchte man Schulkinder für eine Falle, sein Fall ging an die Gestapo, wobei es seinem Orden indes gelang, ihn nach Spanien auszuschleusen. Von dort wurde er jedoch nach Frankreich entführt und dann in Plötzensee hingerichtet. 1996 wurde er seliggesprochen.

Dekan Alois Mauracher, dem unter anderem vorgeworfen wurde, „im Beichtstuhl aus einem Parteigenossen einen Schwarzen gemacht zu haben“, kam mit einem Gauverweis davon. Wobei der Bischof eine elegante Lösung fand – er versetzte ihn nach Jungholz, das damals nicht zum Gau Tirol-Vorarlberg, sondern zu Schwaben gehörte. Am Rande des Abgrunds wandelte auch Karl Ruepp, der im Rahmen seiner erfolgreichen Jugendarbeit eine „riskante Seelsorge“ betrieb.

Die letzten Schlaglichter auf eine dunkle Zeit beleuchteten dann die KZ-Außenlager in der „Forelle“ am Plansee und dem Hotel Ammerwald, wo in erster Linie Prominente (französische Generäle hie, Familien der Widerständler vom 20. Juli 1944 da) festgehalten wurden.

Es gab aber auch nicht nur Täter, sondern auch Widerstand in Reutte: Die Gruppe um Reuttes ersten Nachkriegs-Bürgermeister Florian Kerber behinderte im Metallwerk die Kriegsproduktion, die um den Schmiedemeister Johann Pacher verübte kurz vor Eintreffen der US-Truppen ein Attentat auf den Kreisleiter Erwin Höllwarth.

Schon zu Beginn seines Vortrags hatte Richard Lipp darauf hingewiesen, nicht alle Fragen beantworten zu können. Dazu zählte auch die eines jungen Mannes, der wissen wollte, wie viel Nationalsozialisten es denn im Bezirk Reutte denn nun gegeben habe.

Im Internet sind dazu zwei Hinweise zu finden: In seiner 1983 erschienenen und für das Ludwig Boltzmann-Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung von Harald Walser erarbeiteten Studie über „Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg“ wird auf die (lückenhafte) Meldung der Gendarmerieposten an die (austrofaschistische) Regierung Dollfuß über die Stärke der jeweiligen Ortsgruppen verwiesen: Die Stärke der Nazis schätzte man da in Häselgehr und Stanzach auf 13, in Pinswang auf 14, in Holzgau auf 15 und in Bichlbach auf 26. In Reutte traten am 1. Mai 1933 spontan 40 Leute ein. Die Gesamt-Mitgliederzahl dort wurde auf 94 beziffert.

In der 2004 vom Archiv der Stadt Linz veröffentlichten Untersuchung über „Entnazifizierung im regionalen Vergleich“, die von Walter Schuster und Wolfgang Weber herausgegeben wurde, ist zudem zu lesen, dass 1946 im Bezirk Reutte ein Anteil der registrierten Nationalisten an der Wohnbevölkerung von 16,8 Prozent festgestellt wurde – es war der höchste von ganz Tirol.

Seither ist viel Wasser den Lech hinunter geflossen. Und jetzt ist nicht die Zeit des Verurteilens, sondern des Verstehens. Oder, wie es Richard Lipp formulierte: „Wir sind nicht verantwortlich für das, was geschah – aber dafür, dass es nie wieder geschieht!“

 

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