Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Schutzpatronin mit vielen Aufgaben

Den Hauptaltar in der Kapelle von Rinnen ziert auch die Heilige Katharina

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht es nach Rinnen.
3. Mai 2021 | von Jürgen Gerrmann
Das (von einem Engel) zerbrochene Rad ist das Symbol der Heiligen Katharina. An ihm erkennt man sie auch in der Sebastianskapelle von Rinnen. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Sie ist nicht zu übersehen, die kleine Kapelle gleich am Ortsbeginn von Rinnen (von Berwang aus gesehen). Dort, wo die Straße hinein ins Rotlechtal einen großen Linksbogen macht, fordert sie einen geradezu auf, sein Auto auf dem Parkplatz gegenüber abzustellen und sich zum Meditieren oder stillen Gebet in das rund 400 Jahre alte Gotteshaus hineinzubegeben. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde es erbaut und dürfte damit das älteste seiner Art im Rotlechtal sein. Seine „Geschwister“ in Anrauth, Brand und Mitteregg entstanden ein paar Jahrzehnte später. Allen gemeinsam ist die Atmosphäre der Innigkeit, die einen dort unweigerlich umfängt.

ZEUGNIS DER PESTZEIT?
Dass die Kapelle den Namen des Heiligen Sebastian trägt, könnte darauf hindeuten, dass deren Erbauer noch unter dem Schock der Pest standen, die auch im Außerfern zu jener Zeit gewaltig wütete. Denn der römische Soldat, der in der Aera des Kaisers Diokletian (eines Christenhassers) um das Jahr 300 lebte und grausam starb (seinen von Pfeilen durchbohrten Körper sieht man auch in Rinnen – die Statue wurde 1637 von der Dorfbevölkerung gestiftet), zählt zu den „Seuchenheiligen“ und wird vor allem seit 680 bei allerlei Pandemien angerufen. Dies nicht zuletzt deswegen, weil in jenem Jahr in Rom und Pavia es ein Ende mit den „schwarzen Petetschen“ (wie man in Tirol früher zu der Krankheit sagte) gehabt haben soll, als man mit Reliquien Sebastians durch die Straßen der beiden Städte zog.
In Rinnen freilich spielt er in der künstlerischen Ausgestaltung eher eine Nebenrolle. Die anrührende Skulptur hängt links neben dem Hauptaltar, auf dem rechten Seitenaltar darf er dann auf Paul Zeillers Gemälde aus dem Jahre 1698 immerhin der Krönung Mariens beiwohnen – gemeinsam mit seinem „Heiligenkollegen“ Rochus, zu dem man ebenfalls in Zeiten der Pest schrie.

MUTTERGOTTES IM MITTELPUNKT.
Die Hauptrolle in dieser Kapelle gebührt indes zweifelsohne der Muttergottes. Links zeigt ein in etwa zur selben Zeit entstandenes Altargemälde sie bei der Beweinung ihres toten Sohnes nach der Kreuzigung, und beim Blick auf den Hauptaltar, der auf die Zeit um 1640 datiert wird, bedauert man, dass es wegen des (aus Gründen der Sicherheit gewiss wichtigen) eisernen Gitters in der Regel kein Weiterkommen gibt.
Wer nämlich schon etwas älter und nicht (mehr) mit Adleraugen gesegnet ist, der vermag ein wunderschönes Detail mehr zu erahnen als wirklich wahrzunehmen: Maria mit dem Jesuskind wird nämlich von Rosenkranzmedaillons umringt – kleinen Bildern, in denen sich ihr Leben widerspiegelt. Die allein schön wären einer näheren Betrachtung wert.
Über das Leben des Namensgebers der Kapelle und die Legenden, die sich um ihn ranken, hatten wir ja schon nach unserem Besuch in der Sebastianskapelle von Berg im Tannheimertal im Januar berichtet. Blicken wir daher jetzt auf die Frau, die auf dem Rinner Hauptaltar unter dem Baldachin links dargestellt ist (ihr gegenüber steht die Heilige Barbara): Katharina von Alexandrien, die wie Barbara, Margareta und Dorothea zu den „quattuor virgines capitales“ zählt – den „vier Hauptjungfrauen“ also.

WER WAR KATHARINA?
In der Legenda Aurea des Jacobus von Voraigne (dem beliebtesten volkstümlichen Heiligenbuch des Mittelalters) wird ihr Name auf „Katha“ (für gänzlich) und „ruina“ (für Sturz) zurückgeführt: „Ein gänzlicher Sturz, denn alles Gebäude des Teufels brach in ihr zusammen.“ Modernere Übersetzungen entschieden sich indes für „die Reine“. Die Legende schildert sie als Tochter des heidnischen Königs Costus und dessen Frau Sabinella aus Zypern, die in Alexandrien gelebt habe und von einem Eremiten zum christlichen Glauben bekehrt worden sei. Sie war demnach eine Zeitgenossin Sebastians, denn ihre Geschichte spielt ebenso um das Jahr 300 herum. Der damalige Kaiser Maxentius war wie sein Vorgänger Diokletian nicht gerade ein großer Freund der Christen und wollte in der ägyptischen Metropole diejenigen mit dem Tode bestrafen, die nicht den von ihm favorisierten Göttern opferten. Das empörte die Prinzessin, die buchstäblich ihr Kreuz nahm, vor den Kaiser trat und ihn zum Übertritt zum Christentum bewegen wollte. Der war davon freilich alles andere als erbaut, ließ seine 50 besten Philosophen und Gelehrten herbeirufen, deren Argumente gegen die junge Frau indes keinerlei Wirkung zeitigten. Ganz im Gegenteil: Alle bekannten sich nach dem Disput zum neuen Glauben. Das sollte ihnen nicht gut bekommen: Der Imperator ließ sie allesamt auf den Scheiterhaufen bringen und Katharina in den Kerker werfen. Als die gebildete Kaiserin Faustina dorthin ging, erlitt sie dasselbe Schicksal wie die Philosophen: Ihr Bekehrungsversuch blieb ebenfalls erfolglos, die Gefangene begeisterte auch sie für das Christentum, doch Maxentius übereignete sogar seine Gattin den Flammen. Katharina ließ er zwölf Tage lang hungern und auspeitschen, doch eine Taube brachte ihr immer wieder Essen und Engel salbten ihre Wunden. Sogar Christus soll ihr vor ihrem Martyrium beigestanden sein. Sie erlitt dann ein grausames Ende: Der Versuch, sie zu rädern, schlug fehl, weil ein Engel die Folterinstrumente in Stücke schlug. Deswegen wird sie auch in Rinnen mit einem Rad abgebildet. Die folgende Enthauptung überlebte sie doch nicht – allerdings floss aus ihren Wunden Milch statt Blut. Engel sollen ihren Leichnam zum Berg Sinai gebracht haben, wo man ein halbes Jahrtausend später auf ihre Reliquien stieß und das Katharinenkloster erbaute.

HISTORISCHE ZWEIFEL.
Historisch ist diese Geschichte indes mit äußerster Vorsicht zu genießen. Geschichtswissenschaftler haben bislang keinerlei Belege dafür gefunden und gehen stattdessen gar davon aus, dass die historische Wurzel genau andersrum aussehe: Bei Bei Katharina handle es sich vermutlich um die spätantike Mathematikerin, Astronomin und Philosophin Hypatia, die auf Geheiß des Patriarchen Kyrill von Alexandrien zu Beginn des 5. Jahrhunderts umgebracht worden sei. In der Legende seien dann die Rollen von Christen und Heiden vertauscht worden, lautet heute eine weitverbreitete Meinung. Auf Grund dieser Zweifel strich man sie 1969 sogar aus dem Allgemeinen Römischen Kalender, aber sie war und ist wohl so beliebt, dass man sie 35 Jahre später wieder darin aufnahm.
Nichtsdestotrotz ist sie als Schutzpatronin sehr gefragt: Sie soll Mädchen, Jung- und Ehefrauen, Philosophen, Theologen, Gelehrte, Lehrer, Studenten, Anwälte und Notare, aber auch Wagner, Müller, Bäcker, Töpfer, Gerber, Spinner, Tuchhändler, Seiler, Schiffer, Buchdrucker, Waffenschmiede, Schumacher, Friseure, Näherinnen und Scherenschleifer beschützen. Doch damit nicht genug: Auch Kirchen, Universitäten, Bibliotheken und Krankenhäuser vertrauen sich ihrem Schutz an. Wer seine Feldfrüchte beschützen will, von Migräne oder Zungenleiden geplagt wird oder nach einem Ertrunkenen sucht, soll sie anrufen. Da man ihrer am 25. November gedenkt, lautet ein Merkspruch übrigens: „Kathrein stellt den Tanz ein.“ Kurz nach ihrem Namenstag beginnt nämlich der Advent. Und der war früher keine Zeit der Partys und Weihnachtsessen – striktes Fasten war angesagt.

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