Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Von der Kunst zum Kabarett

Die Lange Nacht der Kirchen stand einmal mehr im Zeichen der Vielfalt

Der Glaube hat viele Facetten: Meditation, Innerlichkeit, Musik, bildende Kunst – ja, und auch Lachen. Diesen wunderschönen Verbindungen vermochte man am Freitagabend, dem 28. Mai, in und um Reutte nachzuspüren – die Lange Nacht der Kirchen war einmal mehr ein beeindruckendes Erlebnis.
31. Mai 2021 | von Jürgen Gerrmann
ore Havemann stellt bis zum 20. Juni ihre Bilder in der evangelischen Dreieinigkeitskirche aus. Pfarrer Mathias Stieger (Mitte) freut sich ebenso darüber wie Michael Haaas, der die Vernissage musikalisch umrahmte.  RS-Fotos: Gerrmann.
Von Jürgen Gerrmann.
Wer als Besucher von außerhalb unbedarft in die Dekanatspfarrkirche in Breitenwang kommt und seinen Blick auf das große Deckenfresko in deren Schiff wendet, der dürfte sich nicht selten denken: „Welch wunderbares Barockgemälde!“ Im ersten Teil („wunderbar“) hat er (oder sie) damit zwar recht, im zweiten aber eben nicht. Es wurde nämlich erst vor 46 Jahren gemalt. Und zwar von Professor Wolfram Köberl aus Innsbruck, der allerdings (wie Dekan Franz Neuner in seiner beeindruckenden Bildmeditation deutlich machte, die von Burgi Urschitz mit Lesungen aus der Bibel und Stephan Wetzel mit seinem unter die Haut gehenden Saxophonspiel ergänzt und bereichert wurde) stark von der Kunst des Barock und nicht zuletzt von der Reuttener Zeiller-Familie beeinflusst wurde. Insofern tradierte Köberl gewissermaßen Außerferner Kunstgeschichte in die Neuzeit hinein.

Juwel des Glaubens.
Für den Dekan ist dieses Gemälde auf einer Ellipse mit einem Durchmesser von zwölf Metern auf der Hauptachse ein „Juwel des Glaubens und ein Geschenk“, das die Botschaft der beiden großen Apostel und Patrone der Breitenwanger Kirche (Petrus, der Fischer vom See Genezareth und „Fels der Kirche“, und Paulus, der die Heilsbotschaft in die Welt der Griechen und Römer hinein geöffnet habe) in einer zeitlosen Dimension den Menschen von heute und morgen weitergebe. Und er vergaß auch nicht, dass Köberl keineswegs mit einem fertigen Konzept ins Außerfern gekommen sei, sondern zunächst eine nackte Fläche vorgefunden habe, dann den Raum und die bis dahin vorhandenen Kunstwerke auf sich wirken ließ und schließlich im Dialog mit dem damaligen Dekan Ernst Pohler Thema und Bildprogramm entwickelt habe: „Petrus und Paulus als Wegbegleiter der Menschen auf ihrem Weg zu Gott.“ Die Symbole für die acht Seligpreisungen, die das Geschehen im Zentrum umrahmen, seien übrigens zunächst nicht vorgesehen gewesen: „Aber im Ringen um die Gestaltung des Bildes waren sie plötzlich da.“ All diese Vorgespräche und Vorbereitungen dauerten mit fast drei Jahren übrigens weitaus länger als die Ausführung selbst, die nur knapp fünf Monate in Anspruch nahm. Und Köberl vergaß dabei übrigens nicht, den Außerferner Maurer Toni Mantl zu verewigen, der ihm damals so prächtig den Putz, auf dem er sein Meisterk aufbringen konnte, angerührt und aufgebracht hatte.

Kunst als Stärkung.
Von pfingstlicher Aufbruchstimmung und Begeisterung erfüllt war Pfarrer Mathias Stieger in der evangelischen Dreieinigkeitskirche. Er freute sich, dass die Kunst sowohl in Lockdown als auch Neubeginn ein solch stärkender Begleiter gewesen sei – und man das auch in den Gemälden von Lore Havemann, die bis zur Finissage am 20. Juni in diesem Gotteshaus zu sehen sein werden, zu spüren vermöge. Und auch die Künstlerin, die lange in Hamburg lebte und seit 20 Jahren in Reutte heimisch geworden ist, war von Freude erfüllt, ihre Bilder in dieser „ganz besonderen Atmosphäre“ präsentieren zu können. Sie ist übrigens gelernte Krankenschwester und als Mensch und Malerin sehr von ihrem Dienst in der Psychiatrie geprägt, wie auch zwei Gedichte deutlich machten, die sich mit der Welt des Vergehens und Vergessens in der Gerontopsychiatrie („Vier Menschen in einem Raum – und alles nur ein Traum?!“) beziehungsweise den im Grunde unaushaltbaren Widerspruch zwischen Kinderlachen auf der einen und Krieg, Vertreibung und Flucht auf der anderen Seite beschäftigten. Auch die Bilder, die sie mitgebracht hat, stehen im Zeichen dieser Ambivalenz, lauten ihre Titel doch „Begrenzt“ auf der einen und „Grenzenlos“ auf der anderen Seite, geht es um „Entstehung“ und „Entfaltung“ ebenso wie um das „Allsehend“ sein – was sowohl für den Betrachtenden wie namentlich für den Betrachteten nicht immer angenehm und erfreulich ist. Daher wirkt das Bild mit den drei Augen für viele auch eher bedrohlich. Auf jeden Fall zauberte Michael Haas mit seinem Gitarrespiel an diesem Abend einen Rahmen voller Harmonie.
Unterwegs sein und lachen.„Der Weg ist das Ziel“ - so lautet eine alte Pilgerweisheit. In der Reuttener Annakirche hatte man bei der Langen Nacht Gelegenheit, über die verschiedensten Aspekte des Wortes „Weg“ zu meditieren und sich inspirieren zu lassen und daraus auch vielleicht Impulse für den Weg durchs eigene Leben zu schöpfen.
Hoher Besuch dann in der Martinskirche zu Wängle: Dort traf Kardinal Piedi Nudi (zu deutsch: „nackte Füße“) ein, um im Auftrag von Papst Franziskus die Eignung der Putzfrau Elvira als Nachfolgerin von dessen Reinemacheexpertin, die sich partout nicht gegen Corona impfen lassen will, zu überprüfen. Und da hatte natürlich Elvira (vulgo Renate Thurner) ihren großen Auftritt und brannte ein Feuerwerk skurriler Szenen ab, in denen sie über ihre Erfahrungen im Lockdown sinnierte. Alles sei eigentlich bestens gewesen, nur als die Tiroler Landesregierung versicherte, „alles richtig gemacht“ zu haben, sei sie langsam skeptisch geworden. Dass die beste Waffe gegen die Pandemie der gesunde Menschenverstand sei, habe sie auch nur begrenzt beruhigt: „Da sind ja eine Menge Leute völlig unbewaffnet.“ Aber immerhin habe sie im Home-Office ja per Videokonferenz ihren Chefs nahe bringen können, wie man selber putzt. Und zum Schluss gab's auch noch eine Hoffnung machende Botschaft: „Wer im Sommer einen hebt, hat Corona überlebt...“
 
Von der Kunst zum Kabarett
Stephan Wetzel umrahmte mit seinem Saxophon die Meditation Dekan Franz Neuners über das Deckenfresko in der Breitenwanger Kirche.

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