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Flüchtlingsheim wird jetzt doch geschlossen

Oberperfuss gilt in puncto Integration als „Best-Practice-Beispiel“ und dennoch ist das Heim Ende September Geschichte

Das Flüchtlingsheim in Oberperfuss wurde vor fast sechs Jahren eröffnet. Seither hat sich ein überaus engagiertes Team von Freiwilligen rund um Elisabeth Schatz der Menschen und deren Bedürfnissen angenommen. Nicht umsonst gilt das Heim in puncto Integration als „Best-Practice-Beispiel“. 2015 lebten 45 Menschen in dem Oberperfer Heim, mittlerweile waren es nur mehr 14. Aus wirtschaftlichen Gründen wird das erfolgreich geführte Heim nun von Seiten der „Tiroler Sozialen Dienste“ (TSD) geschlossen, was den freiwilligen Helfern widerstrebt. Sie hätten sich mehr Zeit und ein Vorgehen mit „Augenmaß“ gewünscht.
2. August 2021 | von Beatrice Hackl
Flüchtlingsheim wird jetzt doch geschlossen<br />
Das enge Zeitfenster bzw. die Geschwindigkeit, mit der die Schließung vorangetrieben wird, entzieht sich dem Verständnis von Elisabeth Schatz: „Wir, die ehrenamtlichen Helfer, ‚protestieren‘ gegen dieses Vorgehen.“ RS-Archiv-Fotos: Hackl
Von Beatrice Hackl

„Für die geleistete Integrationsarbeit werden wir zwar gelobt, aber trotzdem wird ausgerechnet unser Heim geschlossen. Das kann ich nicht verstehen“, verdeutlicht Elisabeth Schatz. Vergangene Woche wurden die ersten Bewohner des Asylantenheims bereits umgesiedelt – in die Leutasch und nach Zirl. Jetzt leben noch sieben Männer und eine Familie dort. „Die meisten Bewohner sind schon über sechs Jahre bei uns. Viele von ihnen haben all die Jahre gemeinnützig im Dorf gearbeitet. Es gibt viele Kontakte, Arbeitsplätze und eine sehr gute Betreuung seitens der Schule und des Kindergartens. Man kann Menschen nicht wie Möbelstücke herumschieben. Viele im Dorf finden die Auflösung des Heimes mehr als unverständlich“, schildert Schatz.

Mangelnde Kommunikation und Zeitdruck. „Die TSD hat den Mietvertrag gekündigt, und somit läuft dieser Ende September aus. Die Kündigung per Mail kundzutun, finde ich in so einem Fall nicht angemessen. Schnell entstanden Gerüchte, und die Menschen waren extrem verunsichert. Sie fürchten, dass sie ab morgen keinen Schlafplatz mehr haben. Wir ärgern uns einfach, dass mit den Menschen nicht ordentlich geredet wurde. Diese Vorgangsweise ist unmöglich, inbesondere für diese Menschen, da sie sowieso in Unsicherheit leben. Uns wurde am 7. Juli im Rahmen eines Treffens mitgeteilt, dass wir drei Monate Zeit haben, und jetzt ist alles anders. Die TDS muss die Kündigungsfrist ohnehin einhalten, aber die Menschen sollen jetzt in vier Wochen draußen sein. Leider wird nicht wirklich kommuniziert, warum das jetzt alles so schnell gehen muss. Einige der Bewohner haben einen positiven Bescheid erhalten und werden folglich nicht mehr in ein anderes Heim überstellt. Sie sind somit ohnehin auf Wohnungssuche, was in Tirol aber alles andere als leicht ist. Sie hätten dafür einfach noch mehr Zeit benötigt. Sie haben zwar Jobs, verdienen jedoch nicht viel und können auch zu zweit nicht mehr als 500 Euro Miete bezahlen. Wie sollen sie jetzt in so kurzer Zeit eine Wohnung finden? Jeder Tiroler weiß, wie umkämpft der Wohnungsmarkt ist. Die TSD setzt die Menschen zeitlich unter Druck“, bemängelt die ehrenamtliche Helferin.

Wirtschaftliche Gründe und Vorgehensweise. Florian Stolz, Teamleiter Integration und Prokurist der „Tiroler Sozialen Dienste“ (TSD), ist voll des Lobes für die Ehrenamtlichen und die dort lebenden Asylwerber: „Das Heim in Oberperfuss ist ein ganz Besonderes. Es ist sicher als ‚Best-Practice-Beispiel‘ zu sehen. Wir können lediglich die Basisstruktur schaffen, sind aber in weiterer Folge auf engagierte Menschen vor Ort angewiesen. Wir sind den Freiwilligen – dem Freundeskreis – für ihren unermüdlichen Einsatz sehr dankbar. In dieser Gemeinde erhalten die Klienten extrem viel Unterstützung, und es wurde wirklich auf allen Ebenen nachhaltige Integrationsarbeit geleitet. Die Schließung löst jetzt natürlich viele Emotionen aus, was ich sehr gut verstehe.“ Die Schließung sei aber dennoch nicht zu vermeiden: „Leider mussten wir aufgrund der Umstände bereits vor 1,5 Jahren über eine Schließung nachdenken. Wir sind damals mit der Bürgermeisterin Johanna Obojes-Rubatscher, der Schule und dem Freundeskreis übereingekommen, noch etwas länger zu warten. Dennoch wurde bereits damals 2021 für die Schließung anvisiert. Die Situation hat sich wie erwartet entwickelt und aufgrund der tirolweit geringen Zuteilung neuer Klienten müssen wir das Heim nun aus finanziellen, vertraglichen und rechtlichen Gründen schließen. Vielerorts haben wir noch laufende Verträge, an die wir gebunden sind. Jener in Oberperfuss war mittlerweile jedoch kündbar. Mit den Freiwilligen waren wir laufend in Kontakt, sei es telefonisch oder auch per E-Mail, und als die Schließung konkreter wurde, haben wir ihnen einen offiziellen Brief geschickt und uns vor einigen Wochen in dieser Angelegenheit mit der Bürgermeisterin und dem Freundeskreis besprochen. Demzufolge ist es aus unserer Sicht nicht wahr, dass die Schließung abrupt kam – wie vom Freundeskreis nun angekreidet. Die Schließung ist bedauerlich, aber aus unserer Sicht unumgänglich, und wir sind auf jeden Fall bemüht, diese so gut es geht über die Bühne zu bringen.“ Schatz zeigt sich enttäuscht: „Es ist nicht richtig, nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Es wurde immer wieder betont, dass die Integration bei kleinen Heimen wie dem unseren besser funktioniere, aber das wiegt im Gegensatz zu finanziellen Gesichtspunkten offenbar nichts. Es wird völlig außer Acht gelassen, wo etwas gut läuft. Das ist eine traurige Erkenntnis.“

Minimale Rückstellungsarbeiten. „Der Zeitdruck habe angeblich zum Teil mit Rückstellungsarbeiten zu tun. Man müsse die restliche Zeit bis Ende September für Renovierungsarbeiten verwenden. Das ist aber nur eine Annahme, denn die Wohnungen in Oberperfuss sind in einem guten Zustand, die Leute haben auf alles wirklich gut aufgepasst. Hätten sich die TSD rechtzeitig mit dem Vermieter in Verbindung gesetzt und sich nach den notwendigen Renovierungsarbeiten erkundigt, hätte sich der zeitliche Druck auf die Bewohner vermeiden lassen“, erklärt Schatz. Den guten Zustand des Heimes bestätigt nun auch Stolz im Gespräch gegenüber der RUNDSCHAU. Somit scheint sich der zeitliche Druck etwas verringert zu haben, wie der Mitarbeiter der TSD einräumt: „Die Verlegung von Familien treiben wir des Öfteren schnell voran, damit sich schulpflichtige Kinder über die Sommerferien bereits im neuen Ort einleben können. Die notwendigen Rückstellungsarbeiten sind in Oberperfuss sehr gering. Die Klienten haben auf alles sehr gut aufgepasst. Wir müssen nicht groß renovieren, es geht nur um Kleinigkeiten wie beispielsweise das Ausmalen der Räume. Deshalb muss der Auszug der verbleibenden Bewohner nicht sofort über die Bühne gehen und uns bleibt noch etwas Zeit. Ich hoffe, dass wir mit der Schließung die Tür nicht für immer zugeschlagen haben. Sollte sich die Situation wieder ändern und wir wären auf der Suche nach einem Standort, würden wir als erstes in Oberperfuss nachfragen. Das Engagement und die Strukturen sind dort wirklich ideal.“
 
Flüchtlingsheim wird jetzt doch geschlossen<br />
Entsetzt: Die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Elisabeth Schatz.

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