Von Gebi G. Schnöll
Bis zum verhängnisvollen Tag galt der junge Ötztaler als völlig unauffällig. Er arbeitete in seinem Heimatort in einer Tischlerei als technischer Zeichner, verbrachte seine Freizeit zu Hause mit seiner Familie und als Sanitäter bei der Rot-Kreuz-Ortsstelle Längenfeld. Nach außen hin war der 29-Jährige immer hilfsbereit und freundlich, er liebte seine Frau und seine beiden kleinen Töchterchen (neun Monate bzw. zwei Jahre und neun Monate) abgöttisch. Doch in seinem Innern sah es anders aus. Er litt an Erschöpfungszuständen, die ihm schwer zu schaffen machten. Der 29-Jährige war dem beruflichen und familiären Leistungsdruck kaum mehr gewachsen. Eine Therapie hätte helfen können, den psychischen Stau, der immer mehr zunahm, abzubauen. Doch der Familienvater wählte einen anderen Weg. Ende Jänner 2020 spielte er zum ersten Mal mit dem Gedanken, seine beiden Mädchen und sich selbst umzubringen. Irgendwann legte er dann den 28. Dezember als „Abschiedstag“ fest. So hätten seine Gattin und alle Verwandten die Möglichkeit, über die Weihnachtsfeiertage die beiden Kinder ein letztes Mal zu sehen bzw. zu besuchen.
Zwei tote Kinder und drei gescheiterte Suizidversuche. Dann kam der Tag, der ganz Tirol erschütterte. Die Ehefrau des 29-Jährigen musste am Morgen zur Arbeit, er selbst blieb bei den Kindern zu Hause. Irgendwann am Vormittag erwürgte bzw. erstickte er seine beiden Kinder, dann wollte er sich im Stiegenhaus mit einem Spanngurt erhängen. Doch dieses Vorhaben scheiterte. Also versuchte es der Mann mit einem Mix aus Alkohol und Medikamenten, doch auch dieser Suizidversuch ging daneben. Danach schnitt sich der Ötztaler im Duschraum mit einem Messer die Pulsadern auf, aber seine Schwägerin, die von ihrer Schwester, der Gattin des 29-Jährigen, telefonisch gebeten worden war, im Haus Nachschau zu halten, weil ihr Mann nicht ans Handy ging, kam dazwischen. „Die Kinder sind bereits im Himmel“, erklärte der blutende Mann der Frau gegenüber. Die drei Selbstmordversuche hat er ohne bleibende körperliche Folgeschäden überstanden. Für die beiden Mädchen kam leider jede Hilfe zu spät. „Ich wollte mit meinen Kindern eine stressfreie Zeit im Himmel verbringen“, begründete der Längenfelder bei der Einvernahme das Gewaltverbrechen. Mit der schrecklichen Tat habe er gleichzeitig auch seine Gattin als alleinerziehende Mutter entlasten wollen.
Eingeschränkt Zurechnungsfähig. Dienstag vergangener Woche musste sich der 29-Jährige im Landesgericht
Innsbruck vor einem Schöffensenat – den Vorsitz hatte Richterin Verena Offer inne – für sein Gewaltverbrechen verantworten. Staatsanwalt Florian Oberhofer schilderte den acht Schöffen ausführlich die Vorgänge, die sich am 28. Dezember im Längenfelder Wohnhaus abgespielt hatten, und er merkte auch an, dass der Angeklagte als einzigen Ausweg aus der psychisch angespannten Situation nur mehr Suizid gesehen habe und er seine beiden Kinder mit in den Himmel nehmen wollte. „Die Hauptfrage, ob es Mord war, muss eindeutig bejaht werden, wie hoch das Strafmaß sein soll, ist eine andere Frage“, so Oberhofer. Verteidiger RA Wolfgang Kasseroler stellte zu Verhandlungsbeginn klar, dass es für die Tat keine Rechtfertigung gibt, man könne nur versuchen, eine Erklärung dafür zu finden. Gerichtspsychiater Reinhard Haller attestierte dem Angeklagten eine eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit bei der Tatausführung. Haller zitierte vor Gericht den österreichischen Kriminologen Franz Liszt: „Die Erscheinungen des Lebens spotten den Erklärungen, die wir dafür haben!“ Haller betonte, dass es ein Trugschluss ist, wenn geglaubt wird, dass so eine schreckliche Gewalttat in einem kranken Hirn entstehen müsse. Vielmehr habe der strebsame Familienvater, der zu nichts Nein sagen konnte, in einem extremen Erschöpfungszustand nur noch den Selbstmord als Ausweg gesehen. „In der Schweiz gibt es auffallend viele Selbstmorde von Top-Managern, die völlig erschöpft waren und sich ein Bornout nicht eingestehen wollten. Als gestandener Mann hat auch der Angeklagte keine Schwäche zeigen wollen“, so der Gerichtspsychiater.
20 Jahre Haft. Die Schöffen erkannten nach kurzer Beratung Mord in zwei Fällen. Staatsanwalt Florian Oberhofer verwies in seinem Schlussplädoyer nochmals auf die Schwere der Schuld, RA Wolfgang Kasseroler erbat für seinen Mandanten eine den Umständen angemessene Strafe zwischen zehn und 20 Jahren Haft. Das Urteil lautete schließlich auf 20 Jahre Haft.
RA Wolfgang Kasseroler erbat für seinen Mandanten ein mildes Urteil.
Gerichtsmediziner Peter Rabl (l.) schilderte vor Gericht, wie die Kinder von ihrem Vater getötet wurden. Staatsanwalt Florian Oberhofer forderte ein angemessenes Strafausmaß.