Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Ach, diese Lücke

„5. Telfer Poetry Slam“ im RathausSaal

Die Slammer und Slammerinnen hatten sich in der Zeit der Vereinzelung in alle Winde zerstreut, jetzt kommen sie langsam und fast vorsichtig wieder aus ihren Schreibstuben, Küchen und Hinterzimmern. Ein bisschen blass sind sie noch, doch allen steht die Freude des Wiedersehens ins Gesicht geschrieben. Es ist wieder „Poetry Slam“.
7. Juni 2021 | von Lia Buchner
Ach, diese Lücke<br />
Die Slammer Martin Fritz, Katrin ohne H, Roswitha Matt, Moderator Markus Köhle, Tamara Stocker, Henrik Szanto (v.l.). Lokalmatador Haze aus Telfs war gerade wo anders. Fotos: Lia Buchner
Von Lia Buchner

Jeder der Poeten hat seine eigene Zeitrechnung für die große Lücke. 15 Monate seit dem letzten Telfer Slam im Freibad. 231 Tage ohne Bühne. Hendrik Szanto, der aus Hannover angereist war, formuliert es so: „Das letzte Mal ging danach die Welt zu Bruch. Vielleicht können wir sie diesmal heilen.“ 

Zuerst die Spielregeln. Sechs Slammer gehen bei diesem „5. Telfer Poetry Slam“ an den Start, das ist die gefühlte Untergrenze, bei der es gerade noch Spaß macht. Mr. Poetry Slam Markus Köhle moderiert energisch gegen die etwas verhaltene Stimmung an und erklärt den fünf Neulingen im Publikum die Regeln. Denn Poetry Slam ist eine Paar-Disziplin, Poet und Publikum gehen Hand in Hand durch diesen Abend, spontanes Feedback zum Text ist essentieller Bestandteil der literarischen Auseinandersetzung. Nach einer schnellen „Extra-Punkt“ Probe kann es losgehen. 

Dreißig werden. Auch in den Texten schwingt dann etwas von dieser großen Lücke mit, von dem Übermaß an Zeit, das die Gedanken um das eigene Selbst kreisen lässt. Etliche quasi zeitverzögerte „Coming of Age“ Texte beäugen das Alter um die Dreißig. Tamara Stocker, Endzwanzigerin, wundert sich über ihre verspätete TikTok-Phase und appelliert: „Wir dürfen nicht nur Zeuge sein, wir müssen Werkzeuge sein.“ Henrik Szanto, gerade 30, trauert ein wenig der verlorenen Unbeschwertheit nach: „Wir sind Zeitzeugen der #-Taste.“ Natürlich gibt es auch Liebestexte, Katrin ohne H spürt dem Schein und Sein nach: „Du wolltest die beste Version Deiner selbst sein, aber es war nur Sein-Wollen.“ Roswitha Matt verwebt kunstvoll florale Wortspiele um das Liebesthema, sie spricht als Einzige im Teilnehmerfeld frei, was bei dieser Textmenge Respekt abnötigt. 

Krankreich gewinnt. In der zweiten Runde werden die Texte dystopischer: Überwachungsszenarien, die Festung Europa, verschwitzt heiße Sommer in der Klimakatastrophe, ein Suizidtext. Die Trophäe des Abends, die Friedensglocke im Handtaschenformat, gewinnt Tamara Stocker mit einem Märchen über Prinzessin Corönchen in Krankreich. Atmosphärisch konnte der übergroße und abstandsbedingt dünn besetzte Rathaussaal mit einem brechend vollen Noaflsaal früherer Slams nicht mithalten. Wieder die Lücke. Das Publikum braucht eine kritische Masse, um mit einer Stimme, mit einem Herzen in Dialog mit den Poeten zu treten. Diese kritische Masse ist diesmal nur ansatzweise entstanden. Und doch: jeder Einzelne, auf der Bühne und unten im Parkett, war dankbar für die geschenkten zwei Stunden voller Poesie und Inspiration.
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Bei Punktegleichstand wird die Startreihenfolge ausgeschnickschnackschnuckt.
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Publikumsjury: von 1 = „brauchen wir nicht“ bis 5 = „toller Text“.
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Siegerin Tamara Stocker am Weg zur After Show Party in der Bücherei.

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