Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Balanceakt

„Lange Nacht der Literatur“ in Axams

Erika Wimmer Mazohl, Valerie Fritsch, Raoul Schrott: Drei große Namen der Gegenwartsliteratur, drei Bücher über das Reisen und drei Texte, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Das war die zweite Auflage der „Langen Nacht der Literatur“ des Kultur.Werk.Axams.
12. Oktober 2020 | von Lia Buchner
Balanceakt
Lesende und Veranstalterin: Erika Wimmer Mazohl, Raoul Schrott, Valerie Fritsch, Dagmar Grohmann (v.l.) RS-Fotos: Buchner
Von Lia Buchner

Heuer standen die ausgewählten Texte für die „Lange Nacht der Literatur“ unter dem Zeichen des Reisens. Alle drei Romane handeln – auch – vom Reisen: durch die Generationen, in die Vergangenheit, über die Kontinente. Und alle drei Autorinnen sind ihren Figuren in die entlegensten Regionen nachgereist.

Illusionen. „Die Löwin auf einem Bein“ ist in der alten asiatischen Kunst ein immer wiederkehrendes Symbol der vollkommenen Balance. Die Südtirolerin Erika Wimmer Mazohl entleiht dieses Bild für den Titel ihres neuen Romans; sie folgt ihren Figuren von Rom nach Indien und Nepal, um in einem entlegenen buddhistischen Kloster zu erkennen: „Vielleicht vernichtet man das Böse durch Balance.“ Das Böse, im konkreten Fall Neofaschismus und Mafia in Italien, begreift sie in seiner die gesamte Gesellschaft durchsetzenden Wirkweise als einzige Verheerung. Ihre analytische, klare Sprache beschreibt Landschaften, Gefühle oder politische Mechanismen wie Naturgesetze und lässt dennoch keinen Zweifel: „Die Linearität von Geschichte ist illusionär.“

Wunden an Körper und Seele. Valerie Fritsch, seit ihrem Debut Shootingstar der österreichischen Literaturszene, erzählt in ihrem neuen 3-Generationen Roman „Herzklappen von Johnson & Johnson“ vom Schmerz einer Familie. Der Großvater der Hauptfigur Alma begräbt seinen Kriegsschmerz unter Schweigen, ihr Sohn kann wegen eines Gendefektes keinen Schmerz empfinden. Zwischen diesen erzählerischen Außengrenzen spannt Valerie Fritsch ihre betörende Sprache auf. Wie mit dem Skalpell schnitzt sie ihre poetischen Sätze. Da wackelt kein Bild, da hinkt keine einzige Metapher. „Man hörte ihre Schmallippigkeit durch die Wände.“ Oder: „Er stolperte durch seine Kinderjahre und keine Erfahrung bewahrte ihn vor der Nächsten.“ Diese Treffsicherheit bei einer 30-Jährigen macht ihre Lesung zum puren Genuss.

Aus Spanien um die Welt. Einen völlig anderen Ton trifft Raoul Schrott auf den Spuren der ersten Weltumseglung 1519. Sein neuer Roman erzählt von einer Randfigur der Weltgeschichte, dem Hans aus Aachen, der als Kanonier an der Magellanschen Expedition beteiligt war. Akribische Recherchearbeit in spanischen Archiven verbindet Schrott mit dem reinen Spaß am Reisen und einer fast biblischen Fabulier-Lust. Seine ausufernd barocke Sprache, breit über die Seiten mäandernde Sätze und gelegentlich sich verlaufende Bilder machen den Roman zu einem prallen, lauten Stück über die Lücken in der Geschichtsschreibung. Der volle Titel des Buches gibt einen Vorgeschmack: „Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal“.

 
Balanceakt
Erika Wimmer Mazohl, „Die Löwin auf einem Bein“.
Balanceakt
Valerie Fritsch, „Herzklappen von Johnson & Johnson“.
Balanceakt
Raoul Schrott, „Eine Geschichte des Windes“.

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