Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Das nicht so heilige Land „Tarrol“

Menschen, die so schroff sind wie die Landschaft – Tiroler Volksschauspiele zeigten „Fern von Europa“

Zu Beginn gleich die Trigger-Warnung vor Gewalt, Schimpfwörtern, Alkohol und Dummheit. Das Theaterstück „Fern von Europa“ zeigte Sepp Schluiferers Stoff in elf Szenen. Bei der Urauffführung am vergangenen Mittwoch bedienten die acht beteiligten Volksbühnen im Rathaussaal sich „einer Sprechweise, die prinzipiell unerlernbar ist und entfernte Ähnlichkeit mit dem Deutschen hat“. Die satirische, tiefschwarzhumorige Botschaft war hingegen nicht „Lost in Translation“. Die Zuseher wurden in das Jahr 1920 zurückversetzt, in dem der ganze Kontinent auf dem Vulkan tanzt und sich nur eine von unbeugsamen Menschen bevölkerte Bergregion jeder Entwicklung Wiederstand leistet. „Bisch a Tarroler, bisch a Mensch, bisch koaner, bisch a Arsch“, lautet ihr Leitspruch, und zu allem Überfluss raufen und schießen sie ständig.
23. Juli 2024 | von Christina Hötzel
Das nicht so heilige Land „Tarrol“
Die „Bergphilosophie“ mit den Darstellern der Winklbühne Prutz/Faggen hätte sogar Shakespeare neidisch gemacht. RS-Foto: Hötzel
Für allzu sensible Zeitgenossen ist das zu Beginn der „Goldenen Zwanziger“, die überall außer in „Tarrol“  zu herrschen scheinen, angesetzte bissige Stück ein harter Knochen. Der eher derbe Menschenschlag, der dort haust, geht mit Fremden nicht gerade zimperlich um und auch nicht mit den eigenen Leuten. Mehr als das Wort Shakespeares zählt das Wort des Pfarrers, der von der mit dem Hubwagen hinaufgefahrenen Kanzel herunterpredigt. „Weihrauchzinnober
und Glockengebimmel“ – doch sogar während der Predigt wird geschwätzt. Die Jugend habe nur als Sport getarnte Hurerei mit zu kurzem Rock im Sinn. Mit dem Resultat dessen, muss sich die Mutter  einer frühreifen „Gitschn“ auseinandersetzen. Sie hat dem Ungeborenen das Leben genommen, „weil es ja noch nicht ganz Mensch war“. Wegschauen heißt hingegen die Devise des Vaters der Unglücklichen.  „Wir haben alles richtig gemacht“, ist trotzdem das unumstößliche Grundprinzip. „So ist es alle gewest, so wird es immer sein“. Freundlichkeit wird nur in Ansätzen in der Gastronomie-branche gezeigt. Frauen sind aus dem „Identitätskanon“ sowieso herausgestrichen. Ein nur zum Anschein liberaler Politiker proklamiert sehr zweifelhafte Ansichten. Sozis, oder Gott bewahre Lutherische, werden von vornherein nicht toleriert.

AUF DER BÜHNE (DAUER-)PRÄSENT. Die rund 50 Mitwirkenden waren unter der Leitung von Thomas Gassner im Dauereinsatz. Im Vernetzungsprojekt der Tiroler Volksschauspiele mit dem Theater Verband Tirol besetzten die Volksschauspieler, die nicht die jeweilige Szene spielten die  (Kirchen)-Bänke. Das Bühnenbild war von Mirjam Miller detailgetreu ausgestattet. Über den Köpfen der Darsteller hingen ausgestopfte Vögel. Das leicht „angestaubte“, düstere Image schien aber durchaus gewollt. Schluiferers, oder besser Carl Techets, satirisches Werk aus dem Jahr 1909 ist auch heute noch urkomisch und scheint zumindest in Ansätzen nichts von seiner Aktualität verloren zu haben. Der vorgesetzte Spiegel sollte vielleicht den ein oder anderen zum Umdenken anregen. Irrwitzig, aber auch brutal, hielt das Stück auch den heutigen „Tarrolern“ noch den Spiegel vor. Die beteiligten Bühnen: die Kolping-Volksbühne Weißenbach, die Volksbühne Telfs, die Heimatbühne Kirchdorf, der Theaterverein Nikolsdorf, der Theaterverein Silz, das Theater Ohne Vorhang, Innsbruck, die Theatergruppe Stans und die Winklbühne Prutz/Faggen fügten sich perfekt in das Gesamtbild, interpretierten ihre jeweiligen Szenen aber ganz individuell und überzeugend. Zum Schluss bekamen alle Beteiligten stehende Ovationen vom Publikum im nahezu ausverkauften Rathaussaal. Mit einem dicken Fell und einer großen Prise Selbstironie hat der Zuseher auch „Fern von Europa“ viel Spaß!
Das nicht so heilige Land „Tarrol“
„Proditio et Clades“, der präparierte Kopf des Homo Sapiens Tarolensis hat im Labor plötzlich die Augen aufgerissen und zu reden angefangen. Foto: Victor Klein

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