Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Erzählung ohne Worte

Mit biblischen Erzählfiguren das Evangelium erforschen

Erzählfiguren können nicht lachen, nicht weinen und streng genommen auch nichts erzählen. Und doch sind die knapp Unterarm-großen Figuren voller Leben. Ursprünglich als Krippenfiguren entwickelt, helfen sie heute vor allem, Bibeltexte besser zu verstehen.
7. Dezember 2020 | von Lia Buchner
Erzählung ohne Worte<br />
Auf dem Weg nach Bethlehem legt Josef fürsorglich seinen Mantel um Marias Schultern. Diese Szene entstand bei einem Figurenkurs für Kindergärtnerinnen in Wängle. Foto: Susanne Pramhaas
Von Lia Buchner

In der religiösen Arbeit werden die Figuren vorwiegend als Impulsgeber verwendet. Stellt man mit ihnen eine biblische Szene dar, beginnt es gleich spannend zu werden. Beispiel Herbergssuche: Schreitet Josef entschlossen voran, legt er den Arm schützend um Maria oder ist er hilflos? Und Maria, ist sie geduldig, verzweifelt oder vielleicht im Innersten zornig über die Abweisungen? Sind die beiden ein Paar oder zwei Menschen einer Notgemeinschaft? All das kann sichtbar werden an der Körperhaltung der Figuren, ihren Gesten, ihrer Zugewandtheit zum anderen. 

Diese intensive Befassung mit der Gefühlstemperatur einer Szene wirkt natürlich auch in die andere Richtung. Wie wäre mir persönlich zumute in dieser Situation? Wie würde ich meine Gefühle äußern? Was erfahre ich dadurch über mich, über diese Bibelszene? Und schon beginnen die Erzählfiguren zu erzählen.

Erfunden hat die Figuren eine Schweizer Ordensfrau Mitte der 60er Jahre, damals noch als bewegliche Krippenfiguren. Schwester Anita Derungs OP baute aus einem Drahtgerüst, einem Kopf aus Hartschaum und ein paar Stoffresten die ersten Erzählfiguren. Schnell fanden sie Anklang auch im deutschsprachigen Raum, in Kursen wurde die Herstellungstechnik weitergegeben und die Einsatzmöglichkeiten im religiösen, pädagogischen und therapeutischen Umfeld erprobt. Im Grunde hat sich an den Figuren nicht viel geändert. Bis heute haben sie typischerweise keine ausmodellierten Gesichter, um für jeden Gefühlsausdruck offen zu sein. Die Bekleidung wird mit viel Liebe und Detailtreue gestaltet und ist immer wieder änderbar. So kann aus einer Maria Magdalena schnell ein Dornröschen werden, denn Erzählfiguren funktionieren natürlich auch in Märchenszenen oder in einem zeitgenössischen Kontext.

Zur Philosophie der Erzählfiguren gehört von Anfang an das Selberbauen, das handwerkliches und geistliches Tun wunderbar verbindet. Während jedes einzelnen Arbeitsschrittes vom Grundgerüst bis zur Gestaltung der Schuhe oder der Haarspange entsteht eine Beziehung zu der Figur. Sie wird zum Symbol des eigenen Selbst und darf stellvertretend handeln. So kann es gelingen, sich über die Figur auf die persönliche Begegnung mit sich selbst, mit anderen und mit Gott einzulassen. 

Auch in Tirol gibt es die Möglichkeit, in angeleiteten Workshops seine eigene Erzählfigur herzustellen. „Ein Wochenende reicht für eine kleine Figurengruppe aus“, erzählt die Telferin Susanne Pramhaas, die diese Kurse leitet. Wer jetzt Lust bekommen hat, setzt sich am besten direkt mit ihr in Verbindung unter www.erzaehlfiguren.jimdofree.com.
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Erzählfiguren passen auch wunderbar in Märchenszenen. Hier – richtig – Rumpelstilzchen mit der Prinzessin am Spinnrad. Foto: Angela Schrems
Erzählung ohne Worte<br />
Liebevolle Details einer Krippenszene: Ein Hirtenjunge bringt dem Heiligen Paar einen Obstkorb.  Foto: Susanne Pramhaas

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