Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Kirchenmusik ist Ökumene“

RUNDSCHAU-Gespräch mit Johannes Stecher, dem musikalischen Leiter der Wiltener Sängerknaben

In der Basilika Wilten brandet Applaus auf an diesem letzten Adventsonntag, als der große Chor der Wiltener Sängerknaben einmarschiert. Voran die Jugendlichen, dann die ganz Kleinen, am Schluss die Solisten und der Chorleiter Johannes Stecher. Jauchzet frohlocket. Schon die ersten Takte von Bachs Weihnachtsoratorium machen Gänsehaut.
20. Dezember 2021 | von Lia Buchner
„Kirchenmusik ist Ökumene“<br />
Die Wiltener Sängerknaben und die Academia Jacobus Stainer musizieren unter der Leitung von Johannes Stecher das Weihnachtsoratorium in der Basilika Wilten. Foto: Reinhold Siegl
Von Lia Buchner

Der Chor hat in den letzten 15 Jahren ein inniges Naheverhältnis zu Johann Sebastian Bach und speziell zum Weihnachtoratorium aufgebaut. „Am Anfang haben es die Buben eben gesungen, aber im Jahr darauf habe ich schon gemerkt, dass sich der eine oder andere auf Bach freut. Und es wurden im Laufe der Zeit immer mehr, weil sie diese Art von Musik zu lieben gelernt haben und sich in ihr zu Hause fühlen“, erzählt Johannes Stecher. Der gebürtige Obsteiger hat lange Jahre die Telfer Musikschule geleitet und die Kulturinitiative „Interregional“ aufgebaut, seit 1991 ist er musikalischer Leiter der Wiltener Sängerknaben.

Musik ist Ökumene. „Mit der Musik versuchen wir, den Buben viel an Bildung und auch an Spiritualität zumindest anzubieten. Wer es annehmen möchte, kann es annehmen“, so Stecher. Im Chor sind die verschiedensten Konfessionen vertreten, die meisten Kinder sind katholisch, aber immer wieder sind auch evangelische, jüdische und muslimische Buben dabei, und natürlich die konfessionslos erzogenen Kinder. Und alle sind willkommen. „Nirgends ist man so weit in der Ökumene, wie in der Musik. Es ist ja völlig egal, ob man Bach in einer katholischen Kirche singt oder Mozart in einer protestantischen. Wir singen Schütz, wir singen Bach, Mendelssohn, alles was in der ursprünglichen Intention nicht katholisch war, im Konzert wie im Gottesdienst“, verdeutlicht Stecher. So bekommen die Kinder ganz Vieles ungezwungen angeboten und können musikalisch wie inhaltlich mitnehmen, was sie anspricht. Ganz nebenbei lernen sie, die Qualität eines Werkes einzuschätzen und ihren Geschmack zu bilden. „Zu erkennen, dass das Populärste nicht zwangsläufig das Beste ist, halte ich für wichtig. Ganz im Gegenteil, sehr selten ist es das Beste“, gibt Stecher zu bdedenken.

Wertschätzung. Jedes Jahr dürfen beim Weihnachtsoratorium  auch einige Kinder-Solisten auftreten. Den Ehrgeiz der Buben lenkt Johannes Stecher in produktive Bahnen: „Am Anfang bekommen die Kinder ganz viel positive Rückmeldung, zunächst ist ja wichtig, dass sie überhaupt singen und mit Freude singen. Später gibt es realistisches Feedback, denn sie merken ja selber, wenn es noch nicht geht oder sie diesen einen Ton noch nicht treffen. Wenn man ihnen mit viel Wertschätzung Perspektiven anbietet, zum Beispiel beim Weihnachtsoratorium noch nicht zu singen, dafür aber bei einem Adventkonzert ein Volkslied oder im Landestheater die dritte Stimme in der Zauberflöte zu übernehmen, dann verstehen sie das sehr gut.“ So lernen die Kinder auch mit Kritik umzugehen, sich realistische Ziele zu setzen und behalten ihre Zeit bei den Sängerknaben in schöner Erinnerung. Oft schicken sie als Erwachsene dann ihre eigenen Söhne wieder in den Chor. „Das ist sehr schön. Kürzlich kam ein neuer Bub und als ich ihn fragte, warum willst du denn Sängerknabe werden, dein Vater war ja auch bei uns, sagte er: ‚Ich möchte so gern, dass der Papa stolz auf mich ist.‘ Das ist doch wunderbar.“

Männerstimmen. Dieses Erfolgsrezept Stechers macht sich auch im Chorklang bemerkbar. „In unserer Ausbildung kommt immer das Individuum zuerst. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich das Gefühl hätte, da wurde die Stimme eines Buben für den Chorklang geopfert oder so manipuliert, dass er in eine abstrakte Vorstellung eines Klangbildes hineinpasst, sich aber nicht richtig entfalten konnte.“ Der Erfolg mit den Männerstimmen gibt Stecher recht. Ganz wenige Kinderchöre bringen so viele hervorragende erwachsene Sänger hervor wie die Wiltener Sängerknaben. Über eine Kooperation mit dem Tiroler Landes-konservatorium und der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien können die jungen Männer bei Johannes Stecher weiter studieren, im Moment sind das sieben Konzertfach-Studenten. „Da haben wir ihnen offensichtlich viel Freude und eine große gesunde Stimme mitgeben können.“ Oliver Sailer, der heuer im Weihnachtsoratorium als Bass singt, ist so einer. Er ist direkt von den Sängerknaben und dem Landeskonservatorium in das Ensemble des Tiroler Landestheaters aufgenommen worden. Oder David Kerber, der heuer leider krankheitsbedingt als Evangelist ausgefallen ist, aber ebenfalls im Landestheater singt und nächstes Jahr in Wien und in Amsterdam den Tamino singen wird. Oder der junge Countertenor Pascal Ladner, heuer ganz wunderbar als Altus zu hören, die beiden Tenöre Matteo Rasic und Samuel Strobl, und und.

Historische Aufführungspraxis. Die Wiltener Sängerknaben singen das Weihnachtsoratorium als einziger europäischer Chor ausschließlich mit Knaben- und Männerstimmen, genauso wie Bach das vorgesehen hatte. Der Unterschied ist frappierend. „Knaben haben einen sehr strahlenden, obertonreichen Klang, aber ein kleineres Vibrato als Erwachsene, da die Körper ja kleiner sind. Und das entspricht genau den alten Instrumenten: eine Barock-Oboe, eine Barockgeige hat weniger Vibrato als ein modernes Instrument“, verdeutlicht Stecher. Viel Anerkennung bei der Musikkritik fanden die Wiltener daher für ihre CD-Aufnahme des Weihnachtsoratoriums, mit dem sie für den Deutschen Schallplattenpreis nominiert wurden, „als eines von zehn Ensembles weltweit, das ist ein wunderbarer Erfolg für uns“.
 
„Kirchenmusik ist Ökumene“<br />
„Die Buben haben Bach zu lieben gelernt“, berichtet Johannes Stecher. Foto: Gerhard Berger

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