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Mit Hang zur Albernheit

Michael Köhlmeier zu Gast in der Bücherei Telfs

Michael Köhlmeier braucht man eigentlich nicht vorzustellen: mehr als 80 Bücher hat er veröffentlicht, darunter so Großartiges wie „Abendland“, „Geschwister Lenobel“ oder jüngst „Matou“. Neben der großen Romanform liebt er auch die kleinen lyrischen Texte, ist ein ausgewiesener Märchenspezialist und Sagenkenner und hat, wie er selbst gesteht, einen kleinen Hang zur Albernheit.
4. Juli 2022 | von Lia Buchner
Mit Hang zur Albernheit
Zu Gast in der Bücherei Telfs (v.l.): Matou, Robert Renk, Michael Köhlmeier.
Von Lia Buchner

Michael Köhlmeier klettert auf die Bühne des großen Rathaussaals in Telfs – und ist leicht verstimmt. Einiges an diesem Leseabend hatte sich anders entwickelt, als erwartet: Lorenz Helfer, sein Sohn, Maler und Illustrator einiger seiner Bücher, konnte ihn unerwartet nicht nach Telfs begleiten. Frajo Köhle, der die Lesung musikalisch veredeln sollte, sagte knapp vor der Veranstaltung wegen eines Trauerfalls ab. Nun also sitzt Köhlmeier mit Robert Renk von der Wagnerschen Buchhandlung allein auf der Bühne. Renk lenkt mit einigen geschickten Fragen die Aufmerksamkeit auf die beiden letzterschienenen Bücher, „Gedankenspiele über das Gelingen“ und „Dr. Melchiors lustige Tiere“, Köhlmeier liest ein, zwei Absätze – und das Wunder geschieht. Die Lust am Text, die Lust am Erzählen wischt die Verstimmung fort, als sei sie nie dagewesen. Köhlmeier beginnt zu erzählen.

Über den Hecht. Wie „Dr. Melchiors lustige Tiere“ als Weihnachtsgeschenk von 100 Vierzeilern für seinen Sohn Lorenz entstanden ist, der einen ähnlichen Humor hat wie er, was dann manchmal zu Albernheiten der beiden und einem strengen Blick von Monika Helfer führt („Wir haben sehr viel gelacht.“). Wie der Reim dieser Kurzgedichte über Tiere („auch unbeliebte wie der Bandwurm“) ihm einen strengen sprachlichen Weg aufzwang und gedankliche Umwege nötig machte („nicht auf jedes Wort reimt sich etwas“). Beispiel? „Warum erscheint uns grad der Hecht / So ehrlich glaubwürdig und echt / Der eine meint, es bleibt geheim / Der andre sagt, es liegt am Reim.“

Über Bob Dylan. Dass der Reim an sich etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint, oder besser: sich in die Songtexte verlagert hat, wo er ja auch herkommt, da Lyrik von Lyra kommt, einem Vorläuferinstrument der Gitarre und folgerichtig Bob Dylan die Urform des Lyrikers darstellt und der Literaturnobelpreis an ihn auf jeden Fall in Ordnung geht.

Über die Erzähllust. Wie er als Kind in einer erzählenden Familie aufgewachsen ist: Die Großmutter erzählte ihm Märchen, bei denen er nie genau wusste, ob sie erfunden sind oder der Nachbarin gerade passiert waren. Der Vater, ein Historiker, erzählte ihm die Weltgeschichte (Achtung: griechische Mythologie), als ob er persönlich dabei gewesen wäre. Die Mutter erzählte gegen ihr Heimweh an, die lesewütige Schwester gab ihm nach jedem Kapitel eine Zusammenfassung. Kurz: Michael Köhlmeier war als Kind zum Zuhören verdammt – und lacht sehr, dass gerade er dann Schriftsteller geworden ist.

Über die kleinen Formen. Apropos Märchen. Märchen sind „wie Schwarzbrot für einen Schriftsteller, wie die Primzahlen der Literatur“. Sie zeigen, wie Texte funktionieren. Allein das einleitende „Es war einmal“ setzt für jegliches Schicksal den Präzedenzfall in der Vergangenheit: jemandem anderen ist es auch schon so ergangen, also bin ich nicht allein mit meinem Erleben. Und erweitert gilt das auch für den Roman: was den Buddenbrocks schon passiert ist, kann für mich also gar nicht mehr völlig neu und gefährlich sein. Oder die zweite, lehrreiche kleine Form, der Witz. „Der Witz ist ein Miniatur-Drama“ mit einer klaren Dreiakter Struktur: Anfang – Höhepunkt – Pointe. Gute Witzeerzähler haben auch immer ein gutes Gespür für Dramaturgie. „Als Autor kann man so viel vom Witz lernen, vor allem, dass es oft weniger auf den Inhalt, als auf die Form ankommt, denn wie schnell ein Witz durch schlechtes Erzählen vergeigt ist, hat jeder schon erlebt.“

Über Matou. Wie die Hauptfigur in Köhlmeiers letztem Roman „Matou“ – ein Kater mit sieben Leben – einen neuen Namen bekam, nämlich Matou. Denn während des vierjährigen Schreibprozesses hieß der Kater „Monsieur Katerchen“, was für Köhlmeier auch immer als Titel des Romans feststand. Bis der Verlag („und diesen Leuten vertraue ich blind“) befand, das klänge einfach zu sehr nach Kinderbuch. Wie nach ein paar Schockminuten die gemeinsame Suche nach einem geeigneten Namen losging, bis irgendwer „Matou“ vorschlug, die familiäre französische Form für Kater. Das Matou-Porträt auf dem Cover des Buches hat übrigens Monika Helfer gezeichnet.

Über Schriftsteller. Köhlmeiers Exkurse zwischen den sehr erheiternden Vierzeiler-Lesungen aus „Dr. Melchiors lustige Tiere“ streifen natürlich auch Schriftstellerkollegen, wenn man das so salopp zu einem wie Thomas Mann sagen darf. Manns legendär straffer Zeitplan – vormittags schreiben, nachmittags Korrespondenz und bitte Stille im Haus – oder Manns Zuneigung zu Kindern, die er so feinfühlig beschreiben konnte. Auch an Monika Helfer, seiner Frau und Autorin der wunderbaren autobiografischen Trilogie „Die Bagage“, „Vati“ und „Löwenherz“, bewundert er diese Fähigkeit, sich in Kinderseelen hineinzuversetzen. Und was man als Schrifstellerpaar voneinander lernen kann. Und warum die „Non-Maigret“-Romane von Georges Simenon so großartig atmosphärisch sind. Und…

Noch ein Vierzeiler. Zum Abschluss noch ein letzter Vierzeiler, der nach einem weiteren namhaften Schriftstellerkollegen klingt:
Bedenke Haifisch, was du tust  / Wenn du nicht rastest und nicht ruhst / Sag, spürst du nicht den Wipfelhauch / Du Mörder, wart, bald ruhst du auch.
Wer Dr. Melchior ist, konnte übrigens nicht aufgeklärt werden.
 
Mit Hang zur Albernheit
100 Vierzeiler über Tiere. „Auch Kalauer dürfen sein.“ RS-Fotos: Buchner

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