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Nach der Premiere ist vor der Premiere

Margarete Maultasch bei den Volksschauspielen 2022

Thomas Arzt, der Autor des vom Feuilleton hochgelobten Buches „Die Gegenstimme“, beendete mit seiner Lesung den Festspielsommer 2021 – und wird mit einem Auftragswerk über Margarete Maultasch die Spielzeit 2022 prägen.
30. August 2021 | von Lia Buchner
Nach der Premiere ist vor der Premiere<br />
Zum Abschluss der Tiroler Volksschauspiele 2021 las Thomas Arzt aus seinem Buch „Die Gegenstimme“, begleitet von der Hackbrett Solistin Maria Ma. RS-Fotos: Buchner
Von Lia Buchner

Der Roman „Die Gegenstimme“ schildert einen Tag im oberösterreichischen Dorf Schlierbach: den 10. April 1938. An diesem Tag wurde mit einer „Wahl“ der Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland formal besiegelt, weshalb Karl Bleimfeldner als Student in seine Heimatgemeinde zurück kommt, um als Einziger im Dorf gegen Hitler zu stimmen. Die Gegenstimme. Arzt erzählt in starken Bildern, präzisen Beobachtungen und viel Leichtigkeit von dem dörflichen Universum in seiner Normalität am Abgrund des Irrsinns. Er erzählt von Seppl, der auch am heroischen Wahltag heimlich säuft, von Bürgermeisters Töchterchen, die endlich stolz und aufrecht raus will aus dem Muff von Dorf, Arbeitslosigkeit und Kirche. Von Karl Bleimfeldner, der an der Wahlurne tut, was er für das Richtige hält und doch schon ahnt, dass die Meute ihn stellen wird. Von der Hochkoglerin, die sich zuerst heimlich und dann ganz offen hat „eintragen lassen“ in die neue Bewegung, die beim Bratlfettbrote schmieren sinniert, dass der Karl ein anständiger Mann hätte sein können, wenn er nicht zu viel denken tät.

Familiengeschichte. Karl Bleimfeldner war der Großonkel von Thomas Arzt, und eigentlich wollte der Autor sich erstmal nur mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzen. „Ich war dann verblüfft, wie es im Dorf wieder hochgebrodelt ist, als ich meine Fragen gestellt habe“, erzählt Arzt. Karl selbst hat über die Wahl nie gesprochen, seine eigenen Nachkommen wussten im Prinzip nichts darüber. Nur seine Schwester, Arzt‘s Großmutter, hat diese Familienerzählung weitergetragen und bei den Recherchen hat sich vieles bestätigt. Karl war Student, Mitglied einer katholischen Studentenbewegung, es gibt ein Foto von ihm, auf dem er für Schuschnigg Spalier steht. „Karl war kein Widerstandskämpfer, es sind ihm da eher sein Glaube und seine austrofaschistische Überzeugung in die Quere gekommen.“ Erstaunlicherweise hatte die Gegenstimme keine ernsthaften Konsequenzen für Karl. Er hat sein Studium bleiben lassen, nicht weil man ihn gezwungen hat, sondern weil er Vater geworden war, er wurde 1943 eingezogen, und nach dem Krieg hat man im Dorf den Hut vor ihm gezogen. „Diese Frage hat mich bei meinen Recherchen immer wieder eingeholt: Ab wann hätte man es sehen müssen? Ab wann muss man es heute sehen? Denn die Maschinerie ist präzise dieselbe geblieben: es werden Staatsfeinde ausgerufen und irgendwann trägt die Bevölkerung das mit.“

Margarete Maultasch. Thomas Arzt ist an sich Dramatiker – „Die Gegenstimme“ war sein Debüt als Romanautor – und arbeitet bereits an dem Theaterstück über Margarete von Tirol, das als Auftragswerk bei den Tiroler Volksschauspielen 2022 uraufgeführt werden wird. Die Regie verantwortet Susanne Lietzow, eine gebürtige Tirolerin, die vorwiegend in Wien und Deutschland als Regisseurin arbeitet. Die beiden haben von Anfang an in einem engen Austausch gestanden, „schon die Stoffwahl haben wir im Prinzip gemeinsam entschieden“, erzählt Susanne Lietzow. „Mich interessiert an Margarete der Wirkmechanismus von etwas, das wir heute ‚Hasspostings‘ nennen würden. Margarete von Tirol war laut Zeitzeugen eine schöne, mutige Frau, die entschlossen ihr Erbe Tirol gegen mächtige – männliche – Gegner verteidigen wollte. Der Beiname Maultasch, bis heute ein Schimpfwort, kam in klar diffamierender Absicht auf. Wenn eine Frau mit nichts anderem angreifbar ist, wird sie eben wahlweise als hässliches Mannsweib oder als Schlampe abgewertet. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.“

Großproduktion. Die Margarete von Tirol – „der Titel steht noch nicht fest“, erzählt Autor Thomas Arzt – wird das Hauptstück der nächsten Volksschauspiele-Saison und wahrlich eine Großproduktion: 40 Personen auf der Bühne, Laiendarsteller, ein Frauenchor, zehn bis 15 Profischauspielerinnen. Der Spielort wurden vor wenigen Tagen gefunden, die Besetzung ist so gut wie fixiert, beides bleibt allerdings noch Verschluss-Sache. „Wir werden mit sehr viel Musik arbeiten, die Schauspieler können alle singen.“ Gilbert Handler, Theater- und Filmkomponist aus Wien, schreibt die Musik und wird als musikalischer Leiter fungieren. Auch das zweite Stück befasst sich mit der Geschichte Tirols: „Resto qui“, Ich bleibe hier, erzählt von Tina und Erich, die durch das Staudammprojekt von Reschen Heimat, Dorf und Existenzgrundlage verlieren. Die Regie wird die Entdeckung des heurigen Festivals, Lorenz Leander Haas (Kreisler Liederabend) übernehmen. Für die dritte Produktion läuft noch bis Ende November ein Stückewettbewerb über den vom Telfer Historiker Stefan Dietrich aufbereiteten Stoff der Constanze Manziarly, Hitlers letzter Diätköchin. „Das Interesse der Autoren ist groß“, erzählt Volksschauspiel-Geschäftsführerin Verena Covi. „Eine Jury wird noch vor Weihnachten entscheiden, welche Dramatisierung wir dann in das Programm nehmen.“ Das Rahmenprogramm soll die Wiederaufnahme des Georg Kreisler Abends bringen, die weiteren Programmpunkte sind gerade in Ausarbeitung. Denn: Nach den Festspielen ist vor den Festspielen.

 
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Erfolgreicher Dramatiker: Thomas Arzt schreibt für die Spielzeit 2022 ein Theaterstück über Margarete von Tirol.
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Die Regisseurin Susanne Lietzow wird das noch namenlose Stück inszenieren.
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Für die reiche musikalische Gestaltung des Stücks ist der Theater- und Filmkomponist Gilbert Handler verantwortlich.

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