Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

Volksmusik ist wie Brot

RUNDSCHAU-Gespräch mit Peter Reitmeir

Peter Reitmeir ist Volksmusiker aus Leidenschaft, sein Instrument ist die Tiroler Volksharfe. Nur wenige haben ein derart umfassendes Wissen über die alpenländische Volksmusik wie er. Die RUNDSCHAU gratulierte ihm zu seinem 75. Geburtstag und sprach mit ihm über – natürlich Volksmusik.
11. April 2022 | von Lia Buchner
Volksmusik ist wie Brot
Peter Reitmeir mit einer seiner Tiroler Volksharfen. Im Hintergrund ist seine Schwegelsammlung zu sehen. RS-Foto: Buchner
Von Lia Buchner

Peter Reitmeir lernte das Harfenspiel auf ganz traditionelle Weise: durch Zuhören und sich Griffe abschauen. Er stammt aus einer sehr musikalischen Familie, zu Hause stand schon lange eine Volksharfe, die seine Mutter während des Krieges im Zillertal gekauft hatte. Dann fing er an zu spielen, seine Mutter machte „ein altes Mandl in Hall ausfindig, der hat mir ein paar Griffe gezeigt. Da bin ich ein paarmal zu Fuß hin und hab mir das abgeschaut“. Später hat ihm der „Höpperger Sepp, der Harfenspieler der ‚Fidelen Inntaler‘, wieder ein paar Stücke gezeigt, so bin ich von einem zum anderen und hab überall etwas mitgenommen. Ich habe mir das alles merken müssen, weil ich als Bub noch nicht Noten schreiben konnte“. Während der Schulzeit litt das Lernen gelegentlich unter der Leidenschaft für die Harfe, doch die Matura gelang, und Peter Reitmeir studierte Schulmusik und wurde – auch das eine Leidenschaft – Lehrer.

Wann ist es Volksmusik? Dieser Zugang zum Instrument war in der Volksmusik lange Zeit der Einzige. Die Menschen lernten Griffmuster auswendig, auf denen dann die Stücke aufbauten. „Mit einer Handvoll Griffe kann man schon recht viele Lieder spielen. Und die Griffmuster geben auch vor, was in den Stücken möglich ist, wodurch die typische alpenländische Dreiklangsmelodik entsteht. Die Melodie wird großteils aus Dreiklang-Zerlegungen gebaut, und mit dem typischen 3/4 oder 4/4 Takt ist der Stil klar festgelegt.“ Der Begriff „Volksmusik“ ist noch gar nicht so alt. Die beiden österreichischen Volksliedforscher Franz Friedrich Kohl – „in Telfs gibt es übrigens einen Franz-Friedrich-Kohl-Straße“ – und Josef Pommer haben den Begriff an der „Produktionstheorie“ festgemacht: Volksmusik ist im Volk entstanden und durch das Volk weitergegeben worden. Die „Rezeptionstheorie“ dagegen vermutet im Volkslied „gesunkenes Kulturgut“, das von Künstlern geschaffen worden ist und dann ins Volk „abgesunken“ und zum Volksgut geworden ist. Wobei Volk zur damaligen Zeit vorwiegend Bauern meinte. „Ich denke, dass beides stimmt. Das Kärntnerlied ist so ein Beispiel. Ursprünglich machte man dort die gleiche Musik wie überall im Alpenraum, dann kam vor reichlich 100 Jahren der Chorleiter Thomas Koschak und hat mit seinen zahlreichen Kompositionen das heute als typisch empfundene, melancholische Kärtnerlieder ‚erfunden‘, das dann als Volksgut weitergegeben wurde.“

Volksmusik lebt vom gespielt werden. „Es gibt den schönen Vergleich mit dem Brot: Brot gibt es seit Jahrtausenden, es wird aber immer wieder frisch gebacken. Es sind zwar die immer wieder ähnlichen Elemente und Wendungen in ihrem engen Stilrahmen, und doch bleibt die Musik beim Spielen lebendig. Andreas Feller aus Kitzbühel hat mir beispielsweise erzählt, dass bei ihnen am Abend nach den Essen, nach dem Rosenkranz, die Familie um den Tisch saß, der Vater hat die Gitarre genommen und dann ist gesungen worden. Das war in vielen Familien so. Norbert Wallner und Adalbert Koch haben in den 30er Jahren allein am Großmooshof in Alpbach über 300 Lieder aufgezeichnet, die die Familie gekonnt hat.“

Missbrauch. Norbert Wallner, der durch die Umbenennung des Norbert-Wallner-Weges in Telfs kürzlich wieder zum Thema geworden war, kannte Peter Reitmeir noch persönlich. „Ja, er war Nazi, und ja, er hat sich noch während des Krieges distanziert. Nach dem Krieg hat er sich als eine Art Wiedergutmachung besonders dem geistlichen Volkslied gewidmet. Er hat viele Lieder aufgezeichnet und auch selbst viel Volksmusik komponiert. Ich habe da eine ganze Schachtel voll Notenblättern, das ist sein Nachlass – und ich weiß nicht so recht, was ich damit tun soll. Allen ist die Sache zu heiß. Leider ist das noch immer ein Problem der Volksmusik, dass man ihr einen irgendwie braunen Touch nachsagt, selbst wenn das heute überhaupt nicht mehr stimmt. Die Nazis haben eben auch die Volksmusik missbraucht.“ Das Beispiel des großen Brixlegger Harfenbauers Franz Bradl – er hat die gedrechselte Säule der Tiroler Volksharfen „erfunden“ – erzählt von den Dimensionen. „Der Gauleiter Franz Hofer hat ihn beauftragt, 1.000 Harfen zu bauen. Ein Mann alleine! Für eine Harfe brauchte er sicher drei Monate, da kann man es sich ausrechnen. Man sagt, er habe 700 Stück fertig bekommen, was ich für eher unwahrscheinlich halte.“

Gelegenheit macht Musik. In vielen Familien wird am Abend nicht mehr gesungen, sondern der Fernseher eingeschaltet. „Heute müssen wir Gelegenheiten zum Singen erst schaffen, wie Stammtische und Singwochen.“ Oder den „alpenländischen Volksmusikwettbewerb“ in Innsbruck, den Reitmeir 20 Jahre lang leitete. „Das ist eigentlich kein Wettbewerb, er soll der Motivation der Musiker dienen und das tut er auch. Da kommen 600, 700 junge Leute aus dem ganzen Alpenraum zusammen, da wird musiziert und getanzt, und sie haben eine so große Freude, sich in einem größeren Forum zu zeigen. Lebendiger kann es kaum sein.“ Frische Hefe für das jahrhundertealte Brot.

 

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben