Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Wie Parzival

Tiroler Volksschauspiele-Intendant Christoph Nix im RUNDSCHAU-Gespräch

Christoph Nix sprüht vor Energie. In einem Alter, in dem andere in Pension gehen, möchte er in Telfs Theater noch einmal neu erfinden. In einem sehr persönlichen Gespräch mit der RUNDSCHAU-Journalistin Lia Buchner erzählt er, was ihn antreibt.
22. Feber 2021 | von Lia Buchner
Wie Parzival<br />
Christoph Nix möchte Theater nochmal neu erfinden. RS-Foto: Beatrice Hackl
Von Lia Buchner

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Christoph Nix erzählt als erstes von einer kleinen Begegnung eben beim Fotoshooting auf dem Wallnöferplatz. Ein paar türkische Kinder waren neugierig, er hat sie angelacht und sie fragten, ob sie im Sommer bei ihm mitspielen können. „Im Moment darf ich wie Parzival sein. Ich komme als Fremder mit hehren Zielen hier an und schaue mich um, wo ich eigentlich bin. Noch darf ich mich überraschen lassen.“ 
Der Spielplan für die Festivalsaison 2021 liegt nun am Tisch, mit Themen „die tiefer gehen als lustig, lustig“: Die liebende Begegnung von Menschen unterschiedlicher Ethnien in „Türkisch Gold“, die innige Abneigung zweier Männer, die in „Indien“ ihre Liebe entdecken, biblische Grundwerte versus heutige Mainstream Flüchtlingspolitik in „Rut“. An die skandalträchtigen Anfangsjahre der Tiroler Volksschauspiele möchte Nix dennoch nicht anknüpfen, obwohl auch er Erfahrung mit Tabubrüchen hat. Unter seiner Intendanz in Konstanz hatte der Regisseur Sedar Somuncu mit dem Tabori Stück „Mein Kampf“ für hellste Aufregung im Feuilleton gesorgt. 

Von unten denken. Nix geht es eher darum, das Volkstheater neu zu denken, von unten zu denken. „Jesus triffst Du nur im Staub. Und für das Volkstheater würde ich formulieren, dass wir in diesen fetten Verhältnissen hier nicht wirklich wissen, wo der Staub ist. Natürlich ist mir klar, dass die Sozialhilfe-Empfängerin oder der nach Identität suchende islamische junge Mann eher nicht ins Theater kommen werden.“ Dennoch glaubt Christoph Nix an die emanzipatorische Kraft des Theaters, an den spielerischen Prozess. „Wer auf der Bühne gemordet hat, muss im wirklichen Leben nicht mehr morden. Wer auf der Bühne das Gefühl erlebt hat, gedemütigt zu werden, der entwickelt eine Resistenz gegen Demütigung im Alltag.“ Als Intendant hat er die Erfahrung gemacht, dass jeden Abend Menschen im Publikum sitzen, die nur einen einzigen Satz hören: Du bist nicht allein. „Und das reicht mir.“

Linkes Glück. Denn Ohnmachtsgefühle sind ihm nicht fremd. Sein Vater starb früh, seine Mutter war völlig hilflos einer Kleinstadtgesellschaft ausgeliefert „und hat um Sozialhilfe gebettelt. Ich hatte alle Voraussetzungen, um eher im Jugendstrafvollzug zu enden denn als Professor“. Er hatte das Glück, mit 15 über seinen Deutschlehrer mit der jung entstehenden linken Bewegung in Berührung zu kommen. Er hörte sich „mit unglaublicher Verliebtheit“ Daniel Cohn-Bendit, Herbert Marcuse an, das war plötzlich wie eine Befreiung. „Ich werde nie vergessen, wie ich die Bilder aus Vietnam gesehen habe. Und ich frage mich heute, wieso wir diese Empörung nicht mehr haben.“ Gleichzeitig hat Nix eine starke christliche Prägung, die Telfer Franziskaner rühren ihn an und er hat entschieden, während seiner Telfer Zeit im Kloster zu wohnen. 

Die Verlierer. Immer wieder geht es dem im zweiten Beruf als Strafverteidiger praktizierenden Juristen um Gerechtigkeit. „Es sind die Grenzgänger, bei denen ich zu Hause bin, die nicht dazugehören, die nicht gewinnen. Und wenn wir im Theater schon nicht die Welt retten können, dann ist es mir lieber, nicht resigniert und zynisch zu werden, sondern mal mehr mal weniger mutig weiter Theater zu machen.“  Und immer wieder geht es ihm um Afrika. Er hat Theater gemacht in Dörfern in Togo, in denen es nichts gibt, keinen Strom, kein abendliches Zusammensitzen mehr, keine Volkskultur. „Wenn wir dort anfangen zu spielen und der Erste bleibt stehen, und eine Frau mit 40 Kilo am Kopf bleibt auch stehen, und plötzlich sind es 100, 200 Menschen, dann können wir nur staunen, welche Kraft eine menschliche, spielerische Begegnung hat. An diese Kraft glaube ich.“ Später hat Nix regelmäßig afrikanische Schauspieler an seine Theater geholt, „die dann nicht mal nur den 'Neger' spielen – bewusst so formuliert – sondern fester Bestandteil des Ensembles sind“. 

Wer ist das Volk? Auch in der Telfer Festspielsaison 2021 werden zwei afrikanische Schauspieler im Ensemble sein. Sie sind Teil der Internationalität, die sich Nix für die Tiroler Volksschauspiele wünscht. „Ich möchte den Begriff des Volkes weiter fassen. 'Heimatliche' Menschen, mit ihrer Tracht, mit ihrer Musik, egal wo auf der Welt, haben doch viel mehr mit meiner eigenen Kultur zu tun, als der Banker in Lomé mit dem Banker in Innsbruck.“ Nix versucht das Theater konsequent vom Volk aus zu denken. Denn die Antwort auf die Frage „Wer ist das Volk“ möchte er auf keinen Fall den chauvinistischen Patrioten überlassen. 

Besser scheitern. Christoph Nix zitiert gerne und häufig Samuel Beckett: Wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern. „Natürlich rechne ich mit Gegenwind. Es wird Menschen geben, die sagen, der verrät unsere Vergangenheit, oder wäre ich es doch nur geworden.“ Gegen die Besserwisser, die Kleinmütigen, die Eitlen und den Spätkapitalismus setzt er: auf die Kraft des Theaters.

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