Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Ein Leben am und für den Campingplatz Reutte

Frau Helgit Lechner hat den über ein halbes Jahrhundert bestehenden Campingplatz in Reutte geschlossen.

Nach 57 erfolgreichen Jahren wird es den beliebten Campingplatz in der Ehrenbergstraße nicht mehr geben. Die Dauercamper, für die inzwischen Reutte zur zweiten Heimat avancierte, müssen diese leider traurig verlassen und sich auf die Suche nach einer neuen „Bleibe“ machen.
18. Dezember 2023 | von Bruno Dengg
Ein Leben am und für den Campingplatz Reutte
Stolz sitzen Erika und Josef Lechner Anfang der siebziger Jahre vor dem in Eigenregie neu errichteten Gebäude am Campingplatz. Foto: Heiligt Lechner
VON DER GRÜNDUNG BIS HEUTE – EINE BEWEGENDE GESCHICHTE.
Drei Brüder mit einer guten Nase für Unternehmen haben in und für Reutte unternehmerisch Großes geleistet. Erich Lechner machte sich einen Namen als Brennstofflieferant („Kohlen-Lechner“), sein Bruder Edi gründete eine Textilreinigungsfirma und Josef Lechner, vor 57 Jahren Landwirt mit Wohnsitz in Ehenbichl, war im Jahre 1966 der Gründer des Campingplatzes am derzeitigen Standort in der Ehrenbergstraße. Im Gründungsjahr übersiedelte er mit seiner Familie, d. h. mit seiner Ehefrau Erika und Tochter Helgit nach Reutte. Letztere erzählte mir, dass alle in der Familie viel arbeiten, großen Einsatz bringen und auch sparen mussten, um das Vorhaben Campingplatz verwirklichen zu können, das dann über die Jahre hinweg ständig erweitert und ausgebaut wurde. Schon zu Beginn hatte der Campingplatz eine Größe von 22 000 m2 und war ausschließlich ein Familienbetrieb ohne Angestellte. Gäste aus Deutschland und Holland, die meisten mit Motorrädern angereist, „bevölkerten“ als Erste mit ihren Zelten das schöne Areal. Für Tochter Helgit stellten die Gründungsjahre wahrlich keine leichte Angelegenheit dar. Neben der Handelsschule, die es galt erfolgreich abzuschließen, war auch an vielen Nachmittagen, Wochenenden und in den Ferienzeiten die Mithilfe im elterlichen Betrieb notwendig. Dies bedeutete für sie Doppelbelastung über drei Jahre hinweg. Gleichzeitig war nach dem Abschluss der Handelsschule ihre zukünftige berufliche Laufbahn auch schon „vorprogrammiert“ – nämlich Mitarbeit am Campingplatz, der inzwischen immer bekannter wurde, was für sie lange Arbeitstage das ganze Jahr hindurch bedeutete. Zufriedene und freundliche Gäste entschädigten sie jedoch für so manchen – heute würde man sagen stressigen – ausgefüllten Arbeitstag. 1972 wurde ein neues Gebäude errichtet, in dem im Erdgeschoß ein Kiosk und ein Aufenthaltsraum für die Camper zur Verfügung stand. Der erste Stock diente Familie Lechner als Wohnung. 1979/80 wurde neu gebaut bzw. auch umgebaut und es entstand das Camping-Stüberl, das sich nicht nur bei Gästen, sondern auch bei den Einheimischen großer Beliebtheit erfreute. Mutter Erika Lechner kochte sehr gut und somit war jeden Tag das Lokal voll. Im Hauptgebäude waren die Dusch- und Waschräumlichkeiten, die Rezeption, eine Sauna sowie ein Trocken- und Skiraum untergebracht. Ab 1980 kamen vermehrt Gäste mit Wohnwagen aller Nationalitäten aufgrund der Mund-zu-Mund-Propaganda und der Einschaltungen im Campingführer, die den Familienbetrieb Lechner mit 4 Sternen auszeichneten, auf Urlaub. Im Jahre 1988 gingen die Eltern von Helgit Lechner in Pension und sie verpachtete die gesamte Anlage an Klaus Bentschitsch aus Ehenbichl, der langjährig den Campingplatz betrieb. Von 2012 bis 2023 waren verschiedene Pächterinnen und Pächter mit unterschiedlicher Verweildauer zuständig, bis sich letztendlich Frau Helgit Lechner schweren Herzens dazu durchrang, ihr „Familienwerk“ aufzulassen. Wie Helgit mir berichtete, gab es natürlich nicht nur Arbeit, sondern auch schöne Erlebnisse, es wurden viele Bekanntschaften geschlossen, die Familien aus der Gründerzeit brachten ihre Kinder und später ihre Enkelkinder mit nach Reutte und fühlten sich hier bestens betreut. Zwei total nette Geschichten erzählt sie heute noch gerne. Helgit erwartete Gäste aus Deutschland, die allerdings nicht wie geplant am Campingplatz eintrafen. Die deutsche Familie hatte nämlich ihr Zelt in einem schönen Garten aufgestellt, da sie der Meinung war, dass dies der tolle Campingplatz Lechner sei. Leider war dem nicht so, denn dieses Grundstück gehörte Steuerberater Nagele, der dann die Gäste am nächsten Tag zum richtigen Ort begleitete. Bei der zweiten Episode waren junge Skandinavier aus Finnland Hauptakteure. Diese genossen den für sie in Österreich günstigen Alkohol ausgiebigst, waren nur nachts unterwegs, verschliefen den ganzen Tag und kamen des Öfteren nicht mehr ganz ins Zelt, sodass ihre Füße tagsüber ins Freie „schauten“,zum Erstaunen und Gelächter so mancher Camper.

IDEALER STANDORT – CAMPER AUS NAH UND FERN KAMEN NACH REUTTE.
Es gibt ganz viele Gründe, warum der Campingplatz Lechner bei den Gästen so beliebt war. Ihnen waren die persönliche Atmosphäre, das Schließen von Campergemeinschaften, aber auch der schön gelegene Platz am Ortsrand von Reutte mit dem beeindruckenden Bergpanorama sowohl im Sommer als auch im Winter wichtig. Ein Vorteil war sicherlich auch, dass das Zentrum von Reutte leicht zu Fuß zu erreichen war und im Winter die Langlaufloipe direkt vorbeiführte. In den letzten Jahren kamen noch weitere Annehmlichkeiten bzw. Sehenswürdigkeiten und Freizeitaktivitäten dazu, wie z. B. die Alpentherme, die Burgenwelt Ehrenberg, die highline179, der Lechtal Rad- und Wanderweg bis Steeg, aber auch Ausflugsmöglichkeiten ins Tann-heimer Tal und zu den Königsschlössern.

NICHT WENIGE CAMPER VERLIEREN IHRE ZWEITE HEIMAT.
Nicht nur für die Camperinnen und Camper, auch für die Tourismusregion Reutte ist die Schließung des Campingplatzes Lechner mit Ende 2023 ein herber Verlust. Dauercamper, für die Reutte inzwischen zur zweiten Heimat geworden ist, verlieren ihre Bleibe, ihre Camperfreunde und Bekanntschaften, die sie auch mit Einheimischen geschlossen haben, berichtet Alexandra Posch vom TVB. Laut Geschäftsführer Roland Petrini wird die Region viele Dauercamper verlieren, da die übrigen Campingplätze in der Umgebung an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. Ebenso wird es für „Einnächtler“ schwieriger, freie Plätze bei der Durchreise zu finden. Ich bedanke mich bei Frau Helgit Lechner recht herzlich für die ausführlichen und interessanten Informationen über 57 Jahre „Institution Campingplatz Lechner Reutte“. Die Rundschau wünscht Gesundheit und viele schöne Jahre.
Ein Leben am und für den Campingplatz Reutte
Schade, dass Weihnachten 2023 nicht in Reutte gefeiert werden kann. Die „frohe Botschaft“: Die Camper müssen erst bis Ende Juni 2024 abreisen. RS-Foto: Dengg

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