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Aufgezeigte Wege aus dem Pflegenotstand

Pflegezentrum-Leiterin und Sozialsprengel-Geschäftsführerin legen Akut-Maßnahmen vor

Das Thema der Pflege betrifft jeden. Nicht nur, weil jeder altert, sondern auch wegen den vielen Negativ-Schlagzeilen, die jeder kennt. Am Geld allein und den Arbeitsbedingungen liegt’s aber nicht. Zumindest nicht nur, sagen Pflegezentrum-Gurgltal-Leiterin Andrea Jäger und Simona Gritsch, Geschäftsführerin des Imster Sozial- und Gesundheitssprengels. Gemeinsam legen sie Überlegungen zu Maßnahmen vor, die verhindern sollen, was dann wohl auch jeder fürchtet: Nicht gepflegt zu werden.
1. Feber 2022 | von Manuel Matt
Aufgezeigte Wege aus dem Pflegenotstand
Besorgt um die schwerer werdende Suche nach Pflegepersonal: Andrea Jäger (l.), Leiterin des Pflegezentrums Gurgltal, und Simona Gritsch (r.), Geschäftsführerin des Sozial- und Gesundheitssprengels in Imst RS-Fotos: Matt
Von Manuel Matt

„Wir wollen nicht negativ sein. Der Pflegenotstand ist aber schon da“, beginnt Andrea Jäger, Leiterin des Pflegezentrums Gurgltal in Imst. Zwar gebe es begrüßenswerte Maßnahmen, die aber zu kurz greifen würden – und mancher Schuss sei auch einfach nach hinten losgegangen. Etwa bei der Akademisierung des Berufsbildes. „Die gesetzlichen Vorgaben sind sehr streng“, so Jäger, „gerade bei der Ausbildung“ und eben dann in der Praxis, wenn’s darum geht, wer was tun darf. Das alles gehöre „den realen Bedingungen im pflegerischen Alltag“ angepasst, wo’s meist eben um grundlegende Körperpflege gehen würde. Ein gewisser Prozentsatz an un- beziehungsweise angelernten Arbeitskräften – beispielsweise eine Person pro Hausgemeinschaft – wäre da durchaus vertretbar, findet Jäger: Selbstverständlich unter Aufsicht von geschulterem Personal und „bei guter Organisation“ würde auch die Qualität nicht leiden. „Das würde sofort wirken“, sagt Jäger mit Blick auf insgesamt 54 Pflegeplätze sowie 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihrem Haus, die 40 „dringenden Anmeldungen“ gegenüberstehen – und 40 zu besetzende Stellen, sobald die momentan in Umsetzung begriffenen Erweiterung abgeschlossen ist.

„VIEL PAPIERKRAM.“ Beim Warten vor Weihnachten kann statt Vorfreude manchmal auch Hilflosigkeit stehen, verweist Simona Gritsch als Geschäftsführerin des Imster Sozial- und Gesundheitssprengels auf die Warteliste, die sich dort im „Wahnsinn“ vor dem Jahreswechsel ergeben hatte. „Das war dramatisch, einfach nicht helfen zu können“, sagt die Chefin des aktuell 23 Köpfe zählenden Sprengelteams. Zwar hat sich die Warteliste abarbeiten und die Betreuung in die Bahnen der gewohnten Verfügbarkeit lenken lassen. Der „viele Papierkram“ zwischen Dokumentation, Kontrolle und Abrechnungen binde aber dennoch viel von der ohnehin nicht im Übermaß verfügbaren Arbeitskraft, fordert Gritsch eine „Verschlankung des Pflegeapparats“, seien im Monatsschnitt doch 150 Personen zu betreuen und wenn dann heute oftmals auch noch pflegende Angehörige vor Ort fehlen würden, „reicht’s auch nicht, nur dreimal täglich vorbeizukommen“, sagt die Sprengelchefin. Dass „keiner da“ ist bei den Pflegebedürftigen, hänge freilich damit zusammen, dass speziell Frauen heute immer häufiger wie länger arbeiten würden als früher und so keine Zeit mehr bleibe für die innerfamiliäre Pflege. So gehe es in diesen Tagen immer häufiger und schneller ins Pflegeheim. „Da gibt’s schon ein Drängen. Wohl auch, weil’s seit der Abschaffung des Pflegeregresses nichts mehr kostet – und viele Familien darauf bestehen“, macht sich Jäger für ein „neues System“ mit sozialer Staffelung und Anreizen für ein Nachdenken über die Pflege in den eigenen vier Wänden. Gritsch könnte sich dabei auch ein Gehalt für pflegende Angehörige vorstellen, das zusätzlich zum Pflegegeld ausbezahlt werden soll – und, verbunden mit mehr Geld für den Sprengel, könnten so mehr Menschen in ihrem vertrauten Umfeld gepflegt werden, zeigt Jäger den Vorteil auf.

ATTRAKTIVER WERDEN. „Gut gemeint“, aber die realen Auswirkungen nicht mitbedenkend. So seien die „Diskussionen über eine Arbeitszeitreduktion“ zu betrachten: Gemessen am Vollzeitmodell, von 40 auf 37 Wochenstunden in den Pflegeheimen. Gemeinsam mit dem Anrechen der Umkleidezeit würde das für bereits drei weitere offene Stellen im Pflegezentrum Gurgltal bedeuten, die mit Menschen zu besetzen wären, die’s momentan nicht gäbe, sieht’s Jäger in „dieser Notsituation“ als „kontraproduktiv“. Sorgenfalten tragen die Überlegungen auch auf die Stirn der Geschäftsführerin des Sozialsprengels, wo Vollzeit bereits 37 Stunden bedeutet. „Lediglich 35 Stunden wären ein Wahnsinn“, sagt Gritsch, die Arbeitgeber im Pflegebereich ohnehin schon gefordert sieht, den Arbeitsplatz „möglichst attraktiv“ zu gestalten. Das „A und O“ sei aus Personalsicht übrigens auch im Pflegebereich „eine ausgezeichnete Kinderbetreuung“, betonen Jäger und Gritsch, die für den Nachwuchs des Heim- und Sprengelpersonals auch über einen betriebseigenen Kindergarten im Miniformat nachdenken.

Ein gutes Gefühl. Leichtere Berufsfelder mag’s schon geben, doch sei’s im Pflegebereich auch nicht so schlimm und zäh, wie’s in letzter Zeit immer wieder heißt, versprechen die beiden Managerinnen und sehen die vielen Negativ-Pflegeschlagzeilen als einen Mit-Grund für die schwere Suche nach Personal. Dabei seien die Arbeitsbedingungen „besser, viel besser als früher“, sagt Jäger, und die Zufriedenheit unter den Beschäftigten meist sehr hoch. So schlecht sei auch das Gehalt nicht, ergänzt Gritsch – als monetärer Lohn für eine Arbeit, die obendrein noch Sinn schenke. „Ein wunderschöner Beruf, das erleben viele so. Weil’s auch einfach gut tut, zu helfen.“

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