Das Kennzeichen jeden Lebens ist, dass es nie still steht. Das scheint derweil ebenso der Anspruch des Imster Konzertvereins zu sein, der dieses Jahr eben diese Ruhelosigkeit von Körper und Geist, Mensch und Gesellschaft aufgreift – und das ziemlich eindrucksvoll, an zwei durchaus ungewöhnlichen Orten.
Von Manuel Matt
Wenn das Leben zum Elend zu werden droht, so muss es eben einen Weg finden – vielleicht sogar nach Konstantinopel, wie im Fall des Vogelhändlers, von dem eine Sage im Imster Geisterbrevier erzählt. Wie jene einst in die Welt hinauszogen, mit ihren gefiederten Gefangenen am Rücken, die obendrein ohne elterliche Lektionen nie ihren natürlichen Gesang erlernten, erzählt am vergangenen Freitagabend mit Willi Pechtl die tiefe Stimme eines Künstlers und Literaten. Das Ausmaß der Sehnsucht nach der fernen Heimat zeigen hingegen zwei gebürtige Imster, die es angesichts ihres Lebenslaufs wohl genau zu fühlen wissen: Choreographin Olivia Hild und Michael Köck, sonst Dirigent, an diesem Abend aber musikalischer Leiter. Als ihr gemeinsames Werk demonstriert „Vom Zwitschern der Zeit“ in der Arena des Agrarzentrums, dass im Heimweh trotz allen Schmerzes unendliche Schönheit innewohnen kann – dank den grazilen Bewegungen der beiden professionellen Tänzerinnen Akino Distelberger und Lina Höhne, deren perfekte Körperbeherrschung in der musikalischen Begleitung seitens der „O! contraire“-Kammermusiker Angela Köck (Vibraphon), Karina Nöbl (Violine), Andreas Kaufmann (Violine & Viola) und Barbara Riccabona (Violoncello) ihre Vollendung findet. Durch Mark und Bein – aber auf schönste Art – gehen derweil der Gesang und die Erzählungen von Maria Zechert. Das Resultat ist schließlich mehr als nur Unterhaltung, sondern schlichtweg Magie. Ein Zauber, der den Vogelhändler ohne einen Groschen in der Tasche beim Engere-Weiher aufwachen und das Publikum sprachlos zurück lässt.
Jenes Abrakadabra löst sich aber nicht einfach in Rauch und Wohlgefallen auf, sondern findet am nächsten Tag seinen Weg in das Kletterzentrum Imst. Denn der Taktstock des dirigierenden Michael Köck könnte nicht nur angesichts filigraner Verarbeitung als Zauberstab missverstanden werden. Mit Leidenschaft führt er das Orchester der Akademie Sankt Blasius durch eine flammend tänzelnde Auseinandersetzung mit dem Flamenco („Trois Danses“ von Frank Martin, 1970) und der Einsamkeit im musikalischen Tango-Gewand („Four Iberian Miniatures“ von Francisco Coll, 2014). Als durchwegs brillante Solistinnen glänzen dabei Martina Rifessser an der Harfe und Stephanie Treichl an der Oboe sowie Violinistin Oberborbeck. Den Schlusspunkt setzt die Klanggewalt der einzigen Symphonie von Juan Crisóstomo de Arriaga, der wie Mozart ein Wunderkind war, sich von ihm und Haydn inspirieren und trotz seines frühen Dahinscheides im Alter von 20 Jahren den Stil eines Franz Schuberts erahnen ließ, dessen Musik er aber nie vernehmen durfte. Der Reigen endet wie am Abend zuvor – in stürmischem Applaus.