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„Gebrüder Grimm“ gegen „Donald Trump“

Haiming: Jüngst gegründete Bürgerinitiative übt Kritik am Bürgermeister und seinem „System“ – speziell am Beispiel Handl

Ob’s doch noch zur Kandidatur im Februar kommt, da wolle man sich noch alles offen halten. Gegründet hat sich die neueste Haiminger Bürgerinitiative aber schon. Öffentlich hinter ihr steht auch Manuel Neurauter, der sich schon vor einigen Wochen der RUNDSCHAU vorgestellt hat – und seine kritische Sicht auf das Wachsen der Niederlassung des Tiroler Speckproduzenten Handl wie überhaupt auf die Amtsführung von Bürgermeisters Josef Leitner. Dementsprechende Vorwürfe (oder auch Anliegen), garniert mit Auszügen aus dem Gemeinderatsprotokoll, flatterten dann eben vergangene Woche in die Apfeldorf-Haushalte: Als Flugblatt, unterzeichnet von der „Bürgerbewegung Haiming“. Den Inhalt findet Karl Christian Handl „nicht fair“ – und der Dorfoberste, der sieht überhaupt „alles frei erfunden“.
2. November 2021 | von Manuel Matt
„Gebrüder Grimm“ gegen „Donald Trump“
Das Haiminger Werk von Handl Tyrol: Dessen Flächenverbrauch sieht eine neue Bürgerinitiative kritisch. RS-Foto: Dorn
Von Manuel Matt

„Zitat aus dem Gemeinderat“: Das lässt – wie auch ein „System Leitner“-Stempel – gleich mehrfach im vier Seiten zählenden Flugblatt der „Bürgerbewegung Haiming“ finden. „Wir wollen mit Fakten argumentieren“, sagt Manuel Neurauter, der wie Thomas Praxmarer öffentlich hinter der jungen Initiative steht. Die Zitate selbst beziehen sich auf das Protokoll der Sitzung vom 3. Juni 2015: Als im Haiminger Gemeinderat erstmals öffentlich über die Ansiedlung des Tiroler Fleischwarenfabrikanten Handl gesprochen worden sei. Darüber solle eine Volksbefragung kommen, wird da Bürgermeister Josef Leitner zitiert, und auch festgehalten, dass mit Vorständen der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) Gespräche geführt worden seien bezüglich Ankaufs einer zwölf Hektar großen Fläche, die später zum Handl-Firmenareal werden wird. Dass die Gemeinde da nicht zugegriffen hat, wertet Neurauter als „verpasste Jahrhundertchance“ – würde Grund doch rarer und große, zusammenhängende Flächen immer seltener werden. „Das war ein Schnäppchen“, sagt Neurauter und will’s dem Handl nicht übel nehmen, hätte da doch jeder zugeschlagen. Überhaupt solle das Unternehmen nicht primär „im Kreuzfeuer“ stehen, sagt Neurauter, dessen Flugblatt Hoffnung äußert auf dieselben „Spielregeln“ für den Konzern aus Pians wie für „unsere Klein- und Mittelbetriebe“ – und dass die „bäuerlichen Erbfolger“ eine Abfindung erhalten. Gemeint sind damit die Nachkommen jener, die einst unter dem Hakenkreuz (teils ohne echte Wahl) ihre Flächen verkauft haben. Zugunsten eines nie realisierten Kraftwerksbaus der Westtiroler Kraftwerke AG, die nach dem Krieg zur Tiwag wurde.

ARBEITSPLÄTZE. Mit dieser Geschichte hätte er sich eingehend befasst, sagt Karl Christian Handl. Auch juristisch – und was den Erben fehlen würde, sei ein Rechtsanspruch, ohne den es keine Abfertigung geben könne. Das hätten auch die Gutachter im Auftrag des Landes als Tiwag-Eigentümerin zu Tage gefördert, sagt Handl, der sich zwar für die Erben mit seiner Stimme einsetzen wolle, die Causa aber allgemein zwischen ihnen, dem Land und der vermittelnden Landwirtschaftskammer sieht. Was ihm „irgendwelche Leute“ vorhalten würden, sei vielfach „nicht fair“, sagt Handl – und nennt den Vorwurf, dass das Haiming-Werk gemessen an der Größe relativ wenige Arbeitsplätze biete. Die von der Initiative angeführte Zahl von aktuell 60 stimme „und ja, man hat damals von 150 gesprochen. Da wäre aber auch die Verpackung mitgedacht gewesen, was sich nicht mehr ausgegangen ist“, sagt Handl. Nach „Konsolidierung“ soll aber ab Frühjahr 2023 kräftig ausgebaut werden – und die Pläne gehen weit über eine geplante Verpackungsstraße am bestehenden Areal hinaus. Denn auf der östlichen Fläche gegenüber, die sich Handl wie berichtet via gezogener Kaufoption gesichert hat, soll bis 2024 nämlich zusätzlich Platz geschaffen werden für Logistik, Büro und Parkplätze. Haiming sei generell künftig als zentraler Produktionsstandort geplant – samt Garantie von mindestens 300 Arbeitsplätzen, erklärt Handl, der den Hauptsitz in Pians schon aus allen Nähten platzen sieht. Nur übertroffen vom Standort in Schönwies, der umstrukturiert und dessen Belegschaft (etwa 350 Personen) zu weiten Teilen künftig in Haiming zum Einsatz kommen soll. „Eine Verlagerung, ja“, räumt Handl ein, verspricht aber auch „neue“ Arbeitsplätze – unter anderem mittels Überführung in „eigene Kompetenz“, was zuvor extern abgewickelt wurde: Etwa im Baubereich, sagt der Konzernchef, dem ein kleiner, interner Sanierungstrupp vorschwebt.

GROSSE INVESTITIONEN. 100 Millionen Euro sollen so am Haiminger Standort in den nächsten Jahren investiert werden, erklärt Handl – und auch, dass der Plan sich prinzipiell an die Konzeption von 2015 hält. Was noch fehlt, ist die nötige Umwidmung des jüngst erworbenen Grundstücks, das teils als Camping-Sonderfläche, teils als landwirtschaftliches Mischgebiet ausgewiesen ist. Darüber wird der Gemeinderat noch entscheiden – wohl auch unter dem Gesichtspunkt der diesbezüglich versprochenen Arbeitsplätze. Gespräche mit Gemeindeführung und Bauausschuss seien bisher „sehr sachlich“ verlaufen, betont Handl und bezweifelt, dass Haiming hinsichtlich eines Flächenkaufs eine „Jahrhundertchance“ verabsäumt hat: Einerseits ob der nötigen Finanzen für den Kauf von 18 Hektar, andererseits wegen dem zu erwartenden Njet des Landes angesichts der in Gemeindebesitz stehenden Rückhalteflächen. Ganz zu schweigen von hohen Erschließungskosten und dem Willen der Tiwag als Verkäuferin.

„GEMEINSAMER DEAL.“ Jene wird auch anderswo das letzte Wort haben: Auf der Nachbarfläche im Westen. Dort hält Handl ein Vorkaufsrecht, um dessen Ablöse sich die Politik „aktiv bemühen“ zugunsten der „Zukunft für Haiminger Unternehmer“, fordert die Bürgerbewegung. Da scheint sich schon etwas zu tun und ein entsprechendes Kaufangebot wurde der Tiwag bereits übermittelt, so Handl. Denn auf sein Vorkaufsrecht wolle er zwar nicht verzichten, im Vorfeld aber eine Vereinbarung mit der Gemeinde schließen: Über den anschließenden Weiterverkauf von nicht benötigten Flächenteilen ohne Preisaufschlag. Im Gegenzug erhofft sich Handl das Wohlwollen der Gemeinde, wenn’s dann wieder um die Widmung geht. „Eine Erpressung oder sonst was“ sei das aber nicht, sagt der Fabrikant: Sondern ein „gemeinsamer Deal“, wo alle Seiten profitieren würden. „Ich will in Haiming einfach ein tolles Projekt realisieren. Aber auch meine Ruhe und einen guten Konsens mit der Bevölkerung“, schließt Handl, signalisiert Gesprächsbereitschaft in Richtung der Bürgerbewegung, der er aber politische Ambitionen vorwirft.

GRIMM & TRUMP. Wenn’s um ein Aufstellen für die Gemeinderatswahl geht, sei noch nichts entschieden, erklärt Neurauter. Momentan sei das oberste Ziel, Ideen mitsamt „Lösungen im Ärmel“ einzubringen: „Wir wollen Veränderung und sind keine aufmüpfigen Quertreiber“, so Neurauter, der sich dem Gespräch mit Handle nicht abgeneigt zeigt. Der Bürgermeister sieht derweil das Volksbefragung-Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Jene sei 2015 wegen einer Unterschriftenaktion der Initiative „Schützt das Forchet“ im Raum gestanden, als die Handl-Pläne noch im Föhrenwald angesiedelt waren. Nach Gesprächen mit den Kritikern hätte das Unternehmen von diesem Platz abgesehen und sich eben um das südlich gelegene Tiwag-Areal bemüht. Der Antrag zur Volksbefragung sei dann nie eingebracht worden „und wurde von mir auch nie propagiert oder besprochen“, sagt Leitner. Dessen „System“ sieht die Bürgerbewegung übrigens in einem Vertrag belegt, der schon einmal Thema in der RUNDSCHAU war: Vorgeschrieben wird darin einem Jungunternehmer eine Mindestmitarbeiterzahl relativ zur Betriebsfläche, was auf Handl-Verhältnisse hochgerechnet 300 Arbeitskräfte bedeuten würde. So etwas habe die Gemeinde nie vorgeschrieben, sondern „nur Vorschläge zu einer günstigen Startfinanzierung gemacht“, so Leitner, der schon beim ersten Aufkommen entgegnet hat, dass vorliegender Vertrag so letztlich nicht abgeschlossen worden sei. „Eine faule Ausrede“, verweist Neurauter auf die Unterschrift Leitners und amtlichen Stempel. Den vom Bürgermeister angestellten Vergleich des Flugblatts mit den „Märchen der Brüder Grimm, von denen wir wissen, dass alles frei erfunden ist“, will Neurauter nicht auf sich sitzen lassen: „Ein eigenartiger Spruch. Aber wenn der Bürgermeister nicht mehr zu seiner eigenen Unterschrift stehen kann, ist das ein Politniveau à la Donald Trump.“

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