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Das Timmelsjoch und seine Missverständnisse

Facebook-Bitte erzürnt Radfahrer und Grüne, Reaktionen zum „dietiwag.org“-Beitrag hinsichtlich der Straßenhöhe

„Passo del Rombo“ heißt das Timmelsjoch auf italienischer Seite. Übersetzen lässt sich das mit „Pass des Donners“, was dieser Tage wohl durchaus für sich selbst spricht: Denn angesichts der Bitte an Radfahrer, vom Bezwingen der Hochalpenstraße zur Stoßzeit am Wochenende möglichst abzusehen, war die Facebook-Seite der dahinterstehenden Betreibergesellschaft doch eher von dunklen Wolken des Unmuts gekennzeichnet als von verständnisvollem Sonnenschein. Nicht angenehmer dürfte derweil das Fragen nach dem höchsten Punkt der Hochalpenstraße sein, angezweifelt von Markus Wilhelm auf seiner Internet-Plattform „dietiwag.org“: Der Ötztaler Publizist ortet „touristische Hochstaplerei“, die Betreiber sprechen von einer „unleidigen Diskussion“ – räumen aber ein, dass es tatsächlich keine 2509 Höhenmeter am Scheitelpunkt sind, wie das Logo der Hochalpenstraße vermuten lässt.
20. Juli 2021 | von Manuel Matt
Das Timmelsjoch und seine Missverständnisse
Der Blick richtet sich auf’s Timmelsjoch: Einerseits ob einer Bitte an Radfahrer, die in sozialen Medien für Unmut gesorgt hat, und andererseits hinsichtlich eines Beitrags von Markus Wilhelm aus Sölden über den höchsten Punkt der Hochalpenstraße. Foto: Castelli Cycling
Von Manuel Matt

„Damit laute Motorräder und Autos noch schneller fahren können und das ganze Ötztal den Krawall und Verkehr hat. Von Umdenken hin zu sanften Tourismus kann ich da wieder einmal nichts erkennen. Sehr entlarvend“, urteilt Dorothea Schumacher, Sprecherin der Grünen im Bezirk Imst – und auch der grüne Mobilitätssprecher im Landtag, Michael Mingler, spricht von einer „Zumutung“ und einem Leben „im vergangenen Jahrhundert“. Die über 1500 Kommentare unter dem Facebook-Beitrag, auf den sich beide beziehen, sind da nicht selten etwas weniger zurückhaltend. Dabei sei’s „gut gemeint“ gewesen, wenn auch „vielleicht unglücklich formuliert“ so die Erklärung der Timmelsjoch Hochalpenstraße AG auf ihren Kanälen in den sozialen Medien einen Tag später, nachdem Radfahrer ebendort darum gebeten wurden, die Straße an Samstagen und Sonntagen zur Hauptverkehrszeit zwischen 10 bis 16 Uhr „aus Sicherheitsgründen möglichst nicht zu befahren“. Als Verbot sei das aber keinesfalls zu verstehen gewesen, betonen die Betreiber. Grund für die Bitte sei vielmehr die Suche nach einer Möglichkeit gewesen, „die Verkehrssituation ein wenig zu entzerren“, könne die Kapazitätsgrenze der Straße zu Stoßzeiten doch „schnell überschritten“ werden, wobei es speziell an den Wochenenden zu „wiederholten gefährlichen Zwischenfällen mit Radfahrern gekommen“ sei. Für das „größte Missverständnis“ entschuldigen sich die Betreiber: Nämlich, „dass die Gefahr einseitig“ von Radfahrerinnen und Radfahrer ausgehe, die letztlich aber „das größte Risiko“ tragen würden. „Gegenseitige Rücksichtnahme und Verständnis“ seien so unerlässlich, weshalb man auch weiterhin „auf die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und Abstandsregeln sowie aller weiteren Verkehrsregeln“ hinweise, verspricht die Timmelsjoch Hochalpenstraße AG – und auch, dass „die Kritik und die vielen konstruktiven Vorschläge“ ernst genommen werden würden. Verbesserungspotential in der Kommunikation ortet auch Oliver Schwarz als Geschäftsführer des Ötztal Tourismus, wird das Tal doch seit Jahren als radfreundliche Destination beworben. Hintergrund sei sicher gewesen, die schwächsten Verkehrsteilnehmer schützen zu wollen, gesteht Schwarz zu – und grundsätzlich mache es Sinn, darauf hinzuweisen, dass es zu gewissen Zeiten Sicherheitsprobleme geben könne: „Allerdings wie man das gemacht hat, die Art und Weise der Kommunikation, war sicher nicht so, wie’s sein sollte. Da gibt’s professionellere Möglichkeiten.“

DER HÖCHSTE PUNKT DER HOCHALPENSTRASSE. Landesweite Fernsehsender wie Servus TV oder die Süddeutsche Zeitung haben das Kommentar-Donnerwetter bislang nicht aufgegriffen. Sehr wohl aber die Geschichte von Markus Wilhelm. Auf seiner Internetseite „dietiwag.org“ nimmt der Publizist aus Sölden die 2509 Meter ins Visier, mit denen die Timmelsjoch Hochalpenstraße AG im Logo werben und die online unter anderem bei den Straßendaten aufscheinen. Eine „bewusste Irreführung, Lüge, wo nicht Betrug“, schreibt Wilhelm – sei doch das Joch und somit die Straße an ihrer höchsten Stelle, dem Scheitelpunkt, höchstens 2474 Meter hoch. Als Beleg veröffentlicht Wilhelm altes wie aktuelleres Kartenmaterial, unter anderem vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. Antworten, warum diese Meter so wichtig seien, liefert er ebenso: „Zahlen, Höhen, Längen, Größen“ seien „enorm wichtig“ im Tourismus, der ein „Geschäft mit Emotionen“ darstelle. Und: „Nur damit liegt man höher als die Großglockner-Hochalpenstraße, die es am höchsten Punkt, am Hochtor, nur auf 2504 Meter bringt.“

„IST SELBSTVERSTÄNDLICH BEKANNT“. Den „Anlass zu einer unleidigen Diskussion“ sehen die Betreiber der Hochalpenstraße in der „Höhenangabe von 2509 Metern“ im „historischen Logo“, das seit den 1960er Jahren in „bis heute in unveränderter Form“ verwendet werde und sich „großer Beliebtheit bei unseren Straßenbesuchern“ erfreue. Seitens der Timmelsjoch Hochalpenstraße AG sei aber „niemals behauptet“ worden, dass auf dieser Höhe der höchste Punkt der Straße verortet sei: „Uns ist selbstverständlich bekannt, dass sich die Straße am höchsten Punkt auf einer Höhe von 2474 Metern befindet“, erklärt das Schreiben von Vorstand und Aufsichtsrat. Nach „Recherchen“ gebe es eine Erklärung für die Höhenangabe im Logo: Die ersten Planungen für die Straße würden in die Zwischenkriegszeit zurückreichen, wobei eine Alpenvereinskarte aus dem Jahr 1897 als Vorlage gedient habe. Dort sei – „wie auch in zahlreichen anderen damaligen Karten“ – der Passübergang mit 2509 Metern angegeben gewesen. Diese Höhe sei „auch heute noch in unmittelbarer Nähe“ der Straße „als reeller Punkt verortet und repräsentiert einen Höhenpunkt des Timmelsjochs als solches“. Jedoch sei „zur Klarstellung“ geplant, am Straßenübergang, der Staatsgrenze, ein Schild mit Angabe von 2474 Metern zu errichten.

EINSPRUCH. „Die Planung für die Straße auf der Ötztaler Seite geht keineswegs in die Zwischenkriegszeit zurück“, legt Wilhelm am vergangenen Wochenende nach: Vielmehr sei 1934/35 von den faschistischen Machthabern in Italien eine Militärstraße „bis auf zwei Kilometer unterhalb des Timmelsjochs errichtet worden. Kein Mensch in Nordtirol hat damals an die Herstellung einer Verbindung gedacht“. Konkrete Planungen hätten dann erst nach einem Landtagsbeschluss Ende 1954 eingesetzt. Ebenso würde das zugrundeliegende Kartenmaterial nicht von 1897, sondern aus den 1940er Jahren stammen. „Das lässt sich sogar beweisen“, betont Wilhelm: Anhand der Präsentationsmappe zum Projekt von 1956. Die darin abgebildete Karte vermerke das Joch auf 2497 Metern, noch vor dem späteren Abgraben. Dass die 2509 Meter als „reeller Punkt“ irgendwo existieren würden, sei derweil logisch: „Ein Joch zeichnet sich immer dadurch aus, dass es der tiefste Punkt ist. Dass es daneben – naturgemäß – immer höher ist, liegt an der Geografie.“ Das Angebot, auf den neuerlichen Wilhelm-Beitrag zu reagieren, lehnte ein Sprecher der Betreibergesellschaft am Montagmorgen dankend ab.

RESULTATE. „Auf entsprechende mediale Berichterstattung“ reagiert hat die Tirol Werbung, die online zuvor das Timmelsjoch auf 2509 Metern beschrieben hatte. Mittlerweile sind’s nach „eigenständiger Recherche“ nun 2478 Meter: „Da sowohl die zuständige Straßenmeisterei als auch die offizielle Karte des Landes (Tiris) die Höhe bestätigte, wurde der entsprechende Eintrag auf unserer Website angepasst“, erklärt eine Sprecherin. 2509 Meter, „über 2500 Höhenmeter“ und „der höchste Passübergang der Ostalpen“ werden hingegen noch auf oetztal.com und obergurgl.com beworben. Oliver Schwarz als Geschäftsführer des Ötztal Tourismus, der beide Seiten betreibt: „Wir werden das prüfen. Es hat aber nicht unbedingt Priorität eins, dass wir das von heute auf morgen ändern.“ Ob die Straßenhöhe letztlich „so ein großes Thema für die Menschen, die da drüberfahren“ sei, „wage ich aber zu bezweifeln“, schließt Schwarz. 
Eine Stellungnahme vom Land Tirol finden Sie auf Seite 13.a

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