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Ein Schwert für den gordischen Knoten

Wiederkauf gefordert: „Haiminger Rechtsnachfolger“ erwägen Klage gegen Tiroler Wasserkraft AG

Seit einer gefühlten Ewigkeit zieht sich der Konflikt um die Flächen in Haiming, die örtlichen Bauernfamilien einst unter nationalsozialistischer Herrschaft für einen geplanten Kraftwerksbau abgekauft wurden – oder teilweise eben auch einfach abgepresst, wie’s heißt. Gebaut wurde das Kraftwerk aber nie und für diesen Fall sei jenen, die verkauft hatten, ein Wiederkaufsrecht auf ihre einstigen Flächen zugesichert worden. Das sagen zumindest ihre Erben, während die Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) als spätere Eigentümerin mit den vorliegenden Gutachten keine derartigen Rechtsansprüche ortet – und zuletzt fachte noch die geplante Expansion des Haiminger Handl-Werks die Diskussionen an. Ein ziemliches Kuddelmuddel, würde Thomas Mann sagen. Oder eben ein gordischer Knoten. Wie sich’s lösen lässt, da haben beide Seiten ihre eigenen Vorstellungen: Die „Haiminger Rechtsnachfolger“ kündigen an, vor Gericht ziehen zu wollen. Gegen die Tiwag, die darüber nachdenkt, sich von sämtlichem Grundbesitz im Gebiet zu trennen.
30. November 2021 | von Manuel Matt
Ein Schwert für den gordischen Knoten
Mit der Umwidmung für die Erweiterung des Haiminger Werks rechnet der Handl-Chef nicht mehr vor den Wahlen. RS-Foto: Matt
Von Manuel Matt

Wirklich ungewöhnlich sind sie ja nicht. Seltsam ist’s trotzdem, wenn innerhalb kürzester Zeit zwei Flugblätter per Postwurfsendung ins Haus flattern, noch dazu mit eher aufsehenerregendem Inhalt. Wie zuletzt bei der „Bürgerbewegung Haiming“ steht auch im Schreiben der „Haiminger Rechtsnachfolger“ ebenso die örtliche Niederlassung von Handl Tyrol im Fokus. Dafür hat der Produzent von Speck und anderen Fleischprodukten 2015 rund acht Hektar an Fläche von der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) gekauft: Ohne dass ihnen die Flächen zuvor zum Rückkauf angeboten worden seien, sagen 37 Rechtsnachfolger der einstigen Grund- und Waldbesitzer, denen dieses Recht zugesichert worden sei, sollte das auf ihren verkauften Flächen geplante Kraftwerk nicht gebaut werden. Eine öffentliche Ausschreibung hätte es ebenso wenig gegeben – und auch kein Einholen einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung, welche die „Erben“ als notwendig erachten. Weil’s sich bei den Flächen großteils um die „Beinkorbwiesen“ handelt – „und damit um den Verkauf von ausschließlich landwirtschaftlichen Grundstücken im Freiland“, heißt’s im Flugblatt. 

GENEHMIGT. Eine solche Genehmigung hätte ohne „entsprechende Flächenwidmung“ ohnehin nicht erteilt werden können, sagen die Rechtsnachfolger. Insgesamt „ein falscher Vorwurf“, gibt Tiwag-Vorstandsvorsitzender Erich Entstrasser auf Anfrage zu Protokoll: „Wie wir alle wissen, kann ein Verkauf nur ins Grundbuch eingetragen werden, wenn vorher die Grundverkehrsbehörde die rechtlichen Fragen geklärt und ihre Zustimmung erteilt hat. Das hat sie in diesem Fall getan.“ Übrigens auch woanders, nämlich hinsichtlich des ehemaligen Campingplatzes, den sich Handl per Kaufoption östlich vom bestehenden Werk gesichert hat. Diesbezüglich hatten die Rechtsnachfolger ebenso Zweifel angemeldet. Warum’s die Behörde als gewöhnlichen Bauland- und nicht als landwirtschaftlichen Grundverkehr sieht, erklärte in der RS-Ausgabe vom 6./7. Oktober dieses Jahres die Bezirkshauptfrau Eva Loidhold. Zwischenzeitlich sei das Verfahren abgeschlossen und das Grundgeschäft genehmigt worden, erklärt Daniel Raffl, Leiter der Abteilung für Polizei-, Verkehr- und Grundverkehrsrecht an der Bezirkshauptmannschaft Imst. Der Grund: Es gebe sowohl eine Widmung als auch eine Ausweisung im örtlichen Raumordnungskonzept, sagt Raffl und verweist darauf, dass es sich nicht zwangsläufig um landwirtschaftlichen Grundverkehr handeln müsse, nur weil’s „auf den Blick eine grüne Wiese“ sei. 

KEINE WIDMUNG OHNE WAHLEN? „Grundsätzlich seh’ ich es als Wahnsinn“, urteilt Karl Christian Handl über das Flugblatt und sieht ebenso Punkte, die „definitiv falsch“ seien. Etwa die Behauptung, dass das Unternehmen ein Vorkaufsrecht auf etwas mehr als zwölf Hektar im Süden besitzen würde. „Ein Teil des Waldgrundstücks“ würde aber in eine hauptsächlich westlich vom Werk gelegene Fläche hineinreichen, auf die Handl tatsächlich ein Vorkaufsrecht besitzt. „Weil Handl über das gesamte Areal sämtliche Erschließungskosten bezahlt hat“, erklärt der Firmenchef, wie’s dazu gekommen sei, und verweist darauf, dass nicht nur von der Tiwag einst Flächen gekauft wurden. Sondern auch von der Gemeinde sowie von zwei Familien, die vom NS-Staat „anscheinend nicht erpresst worden sind“. Warum’s für den ersten Kauf von der Tiwag keine öffentliche Ausschreibung gebraucht habe? Weil das eigentlich im Forchetwald vorgesehene Projekt nach Diskussionen an den jetzigen Standort verlagert wurde, in Abstimmung mit der Landesraumordnung und der Gemeinde, die ihre Zustimmung für eine dortige Ansiedlung signalisiert habe. Käme es nun zu einem Kauf der Westfläche, hat Handl signalisiert, der Gemeinde die Möglichkeit zu geben, jene Flächen zu erwerben, die’s für eine Werkserweiterung nicht brauchen würde. Aus gutem Willen heraus, ohne etwas verdienen zu wollen, verspricht der Handl-Chef – aber doch auch in der Erwartung, dass der Gemeinderat der gewünschten Umwidmung des Campingplatzes als Gewerbegebiet zustimmt. „Die Vereinbarung mit der Gemeinde steht“, erklärt Handl: „Wie genau, wie’s abzuwickeln ist, ist mit dem Gemeinderat zu besprechen. Es wurde aber vorbesprochen.“ Angesichts des ganzen „Wirbels“ rechne er allerdings nicht mehr mit einer Entscheidung vor den Wahlen. Mit Buhlen um Wählergunst wolle er nichts zu tun haben, „aber ich bin gerne bereit, mit jeder Fraktion auch diese Thematik zu diskutieren“, bietet Handl an und sieht nur ein Ziel: „Den zentralen Produktionsstandort des Unternehmens in Haiming zu errichten.“

ZWISCHEN DEN STÜHLEN. Auf Initiative der Rechtsnachfolger habe sich die Landwirtschaftskammer als Vermittler zwischen den Seiten eingeschalten, erklärt Kammerdirektor Ferdinand Grüner. Das Flugblatt sei „nicht förderlich“ gewesen, so Grüner, der die Sache aber von Beginn an als „schwierig“ erlebt hat. Auf der Suche nach einem Kompromiss biete das Land als Tiwag-Eigentümerin, wie berichtet, den Rechtsnachfolgern die erwähnten Flächen im Süden an. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen.  „Nicht so attraktiv“, räumt auch Grüner nach Begutachtung durch die Kammer ein: „Ein schlechterer Wald und wenig landwirtschaftliche Fläche“, geschätzt auf einen Wert pro Quadratmeter zwischen 50 bis 80 Cent beziehungsweise fünf Euro. „Wir sind gerade dabei, alle Mitglieder dieser Erbengruppe aktiv anzuschreiben, aktiv zu informieren“, meint Grüner – doch bis letzten Freitag hätte noch niemand Interesse bekundet. 

JUSTITIA ENTSCHEIDET. „Wir wollen uns da überhaupt nicht wichtig machen“, sondern nur zu vermitteln versuchen, schließt Grüner. Wo die Landwirtschaftskammer aber ausscheide, sei, wenn’s in einen handfesten Rechtsstreit mündet. Das scheint sich anzubahnen: Jedenfalls wäre eine Klage gegen die Tiwag in Vorbereitung, sagt „Erben“-Sprecher Anton Raffl und hofft, dass sich die Klage noch vor Weihnachten einbringen lässt. „Ganz neutral“ will’s die Gegenseite sehen und lässt in Person ihres Vorstandsvorsitzenden wissen: „Das Rechtsgutachten als auch das Historikergutachten“, deren Rechercheergebnisse übrigens 2018 öffentlich in Haiming präsentiert wurden, „haben ganz klar ergeben, dass es hier weder ein rechtliches noch ein historisches Problem gibt. Das wird immer nur konstruiert“, sagt Entstrasser. Raffl versteht das Gutachten anders: Nämlich, dass alles möglich sei, ein Ja oder ein Nein. Darüber müsse ein Richter entscheiden, sagt Raffl. 

URSACHE & WIRKUNG. Bereits „ein Ausfluss aus diesen Diskussionen, die da wieder angezettelt wurden“, so der Tiwag-Vorstandsvorsitzende, sei die Überlegung, sämtliche noch im Besitz befindliche Grundstücke im betreffenden Gebiet zum Kauf anzubieten, freilich unter Berücksichtigung des Handl-Vorkaufsrechts. Endgültig gefallen sei die Entscheidung noch nicht, so Entstrasser: „Nachdem die Gründe betrieblich nicht notwendig sind, gibt’s auch keinen Grund, die Gründe nicht zu verkaufen.“ Dass es nun womöglich so rasch zugeht, sei für ihn ein Glücksfall, sagt der Handl-Chef, der damit in eher fernerer Zukunft gerechnet habe. Immerhin zieht ein Vorkaufsrecht doch erst dann, wenn tatsächlich verkauft wird, wobei der einst vereinbarte Kaufpreis für die Westfläche weiter Jahr für Jahr gestiegen wäre, wegen der Koppelung an den Verbraucherpreisindex. Sollten auch die Südflächen ausgeschrieben werden, werde er ebenso ein Angebot abgeben, sagt Handl – um bei Interesse, zum selben Preis, an etwaige Rechtsnachfolger zu verkaufen, die sich nicht so schnell entscheiden haben können. Weil er nicht streiten, sondern Frieden in Haiming wolle, schließt Karl Christian Handl.

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