Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Im Reich der Narren und Skorpione

18. Juni 2019 | von Nina Zacke
Schon die alten Römer waren begeistert: der Blick hinab in die Salvesenklamm. RS-Fotos: Gerrmann
Eine tolle Kneippanlage erfrischt die Wanderer am Mühlsprung bei Nassereith.
Erinnerung an ein tragisches Unglück: das Marterl für Julie Tiefenbrunner.
Galerie Starkenberg Panormaweg Etappe 2. RS-Fotos: Gerrmann

Unterwegs auf dem Starkenberger Panoramaweg (2): Von Nassereith nach Tarrenz


Die erste Etappe war noch relativ gemütlich, es ging nur wenig bergauf und meistens bergab. Doch das soll sich auf dem zweiten Abschnitt des Starkenberger Panoramawegs ändern. Die RUNDSCHAU war für ihre Leser auf diesem herrlichen Fernwanderweg unterwegs.

Von Jürgen Gerrmann

Auch wenn diese Teilstrecke durchaus eine gewisse Kondition erfordert: Bevor man ins Schwitzen kommt, kann man es die ersten beiden Kilometer noch gemütlich angehen lassen.
Wenn man in Nassereith übernachtet, kann man es zum Beispiel so einrichten, dass man am Freitag am Fernpass startet. Dann kann man abends am Ziel noch das Fasnachtsmuseum in Nassereith besuchen und die vielen uralten Masken bewundern, die die närrische Tradition in diesem Dorf am Gurglbach widerspiegeln.
Kirche und See.

Doch egal, an welchen Tag man Etappe 2 unter die Füße nimmt: Vom Start am Postplatz (dort hält auch der Bus, der sich ohnehin zur Anreise empfiehlt) kann man zuerst die den Heiligen Drei Königen geweihte Pfarrkirche ganz in der Nähe besuchen. Die ist zwar nicht uralt, aber dennoch höchst interessant. Denn dort kann man in die Welt der Romantik und des Biedermeiers des 19. Jahrhunderts eintauchen; und das schöne Altarbild mit Kaspar, Melchior und Balthasar hat mit dem in Ried im Oberinntal geborenen Caspar Jele einer der bekanntesten Repräsentanten der Nazarener (die die Kunst im Geiste des Christentums erneuern wollten) geschaffen.
Und dann sollte man auf jeden Fall den ebenfalls am Panoramaweg liegenden Nassereither See umrunden. Es ist einfach toll, den im kris-allklaren Wasser dahingleitenden Fischen zuzuschauen und dabei den Blick auf die Kulisse des Dorfes und die Berge ringsum zu genießen.
Kneippen vor dem Anstieg.

Eine tolle Kneippanlage erfrischt die Wanderer am Mühlsprung bei Nassereith.


Gerade jetzt warten dann noch herrlich blühende Wiesen im Gurgltal auf den Wanderer; sie lassen einem das Herz aufgehen. Und erfrischen kann man sich dann ebenfalls schon nach nicht einmal einer halben Stunde: Die Kneippanlage am Mühlsprung ist einfach fantastisch, auch wenn sie schon manche Jährchen auf dem Buckel hat und das Holz am Tretbecken vielleicht einmal erneuert werden könnte. Aber einen echten Kneipper stört das wenig – das macht das frische Gebirgswasser, das direkt vom danebenliegenden Bach abgezweigt wird, locker wieder wett.
Kurze Zeit später rinnt indes der Schweiß: Es wartet der Anstieg zum höchsten Punkt des gesamten Starkenberger Panoramawegs – der Antelsberg ist zwar „nur“ 1415 Meter hoch, aber Nassereith liegt ja auch auf gerade einmal 838 Metern. Und auch dieser Höhenunterschied will erst einmal geschafft sein.
Und da es sich um einen alpinen Pfad handelt, der einen bei aller Idylle durchaus fordert, empfiehlt es sich auf jeden Fall, die Wanderstöcke nicht zuhause liegen zu lassen, sondern sie hier zum Einsatz zu bringen. Gerade die erste Stunde geht es durchaus steil nach oben – was allerdings auch den Vorteil hat, dass man schnell Höhenmeter gewinnt.
Man sollte sich aber nicht in einem sinnlosen Kampf gegen die Uhr verheddern – auch unser heutiger Abschnitt ist in einem Tag gut zu schaffen. Und es wäre gerade hier jammerschade, vergäße man im Bestreben, die Steigung möglichst rasch hinter sich zu bringen, nach links und rechts zu blicken.
Paradies am Antelsberg.

Denn der Antelsberg ist ein Paradies für Flora und Fauna: Die Lechtaler Alpen bewahren das Gurgltal vor den kalten Winden aus dem Norden und auch der lichte Rotföhrenwald sorgt für optimale Bedingungen für Pflanzen, die mit Trockenheit und Nährstoffarmut keine Probleme haben. Da gedeihen dann Orchideen, wie die Mücken-Händelwurz, aber auch der Blutrote Storchschnabel, die hellvioletten Herbstastern oder auch der creme-weiße Deutsche Backenklee. Und im Frühling malt das Rosa der Schneeheide ein romantisches Bild auf die Waldwiesen.
Der absolute Star am Antelsberg ist jedoch Euscorpius germanus – der Deutsche Skorpion. Was eigentlich irreführend ist, denn in Deutschland kommt das höchstens 30 Millimeter lange Spinnentierchen überhaupt nicht vor. Es findet sich nur noch im Münstertal in der Schweiz, östlich der Etsch in Südtirol und Friaul, in den Julischen Alpen in Slowenien, in Osttirol und dem westlichen Kärnten sowie im Westen Nordtirols. In Österreich gilt der Alpenskorpion (wie er auch genannt wird) als „stark gefährdet“.
Er ist übrigens auch ein Zeuge – und zwar einer nacheiszeitlichen Warmzeit. Als die riesigen Gletscher verschwanden, wanderten die Tierchen aus südlichen Gefilden ins heutige Tirol, aber als es wieder kälter wurde, wurden sie brutal von ihren Verwandten getrennt.
Als Wanderer braucht man übrigens keine Sorge zu haben: Sein Stich tut zwar den Beutetieren (wohl hauptsächlich Waldameisen) überhaupt nicht gut, der Mensch braucht indes nichts Schlimmes zu befürchten. Der Stich von Euscorpius germanus wird vom Schmerz her ähnlich wie der einer Wespe beschrieben.
Während heute die Bodenverdichtung, die Entfernung von Alt- und Totholz sowie Insektizide ihm am meisten zusetzen, so tat das zu Zeiten der Starkenberger wohl der Mensch: Das „Oleum Scorpionis“ galt im Mittelalter als harntreibend und sollte sogar die Pest besiegen. Aus heutiger Sicht war das nicht nur Quatsch, sondern auch Tierquälerei: Man steckte nämlich 100 lebende dieser Skorpione in einen Liter Olivenöl, damit sie im Todeskampf ihr Gift verspritzten. Gottlob ist das passé: Es gilt ein strenges Stör- und Sammelverbot.
Weitaus besser haben es da die Kühe, die am Antelsberg noch mitten im Wald grasen dürfen. Auch da kommt einem ein Bezug zur Zeit der Starkenberger in den Sinn: Denn im Mittelalter stellte die Waldweide des Viehs oft sogar die Hauptnutzung des Forstes dar (sieht man einmal von den Banngebieten ab, in denen der Adel der Jagd frönte). Dies heute zu erleben, ist fast kitschig schön. Und auch solchen Kitsch-Gefühlen kann man sich als Wanderer (Computerzeitalter hin oder her) schon einmal hingeben.
Im Lauf dieses Jahres wird die nun auf einem Forstweg verlaufende Wanderstrecke im Bereich der „Waldrast“ (wo zurzeit fleißig gearbeitet wird, um wieder eine Jausenstation mit Schutzhütte – oder umgekehrt – zu etablieren) noch auf einen Waldpfad verlegt und die Route hinab nach Obtarrenz dadurch noch attraktiver.
Ein Besuch beim Nepomuk.

Erinnerung an ein tragisches Unglück: das Marterl für Julie Tiefenbrunner.


Gleich am Beginn des kleinen Dorfes sollte man unbedingt einen Blick in die kleine Kapelle zum heiligen Johannes Nepomuk werfen. Nicht, weil es kunsthistorisch herausragend wäre, nicht, weil es schon verwundert, dass weit und breit keine Brücke über einen großen Fluss zu sehen ist, über den der heilige Nepomuk sonst wacht, nicht nur, weil seine Ausstattung mit berührenden Schnitzereien ein wunderschönes Zeugnis der Tiroler Volksfrömmigkeit darstellt, sondern weil dort auch heute noch eines Unglücks gedacht wird, das Obtarrenz vor fast 200 Jahren ereilte: am 20. Februar 1720 sauste eine Lawine zu Tal und riss neun Menschen in den Tod. Und es rührt einen schon an, dass Michael Gapp, Barbara Maria Conrad, Johannes Dablander, Dominikus Anig, Catharina Zoz, Martin Waibl und seine zwei Söhne sowie Barbara Perham bis heute unvergessen sind. Diese außergewöhnliche Tarrenzer Gedenk-Kultur zeigt sich ja auch schon beim Abstieg von der „Waldrast“ am Gedenkkreuz mit dem Martel für die damals 15-jährige Julie Tiefenbrunner, die 1945 durch eine Handgranate starb – elf Tage nach dem offiziellen Ende des Krieges. Beim Spielen.
Faszinierende Klamm.

Auf den letzten Kilometern dieses Teilstücks lässt einen noch ein faszinierendes Naturschauspiel staunen: die Salvesenklamm. Der „Hohe Übergang“ zählt gewiss zu den spektakulärsten Punkten des Starkenberger Panoramawegs. Und diese Szenerie hat offensichtlich schon die alten Römer beeindruckt.
Wer heute in Italien unterwegs ist, der sieht vor vielen Brücken ein Schild mit der Aufschrift „Torrente“, was „(Sturz)Bach“ bedeutet. Und dessen Ursprung „Torrens!“ entfuhr wohl auch den Truppen aus dem Süden, als sie zu diesem wilden Bach kamen. Daraus hat sich der Ortsname Tarrenz entwickelt.
Auf den Felsen in der Nähe der Salvesenklamm lassen sich übrigens auch die ersten Spuren der Starkenberger erahnen: Von den Burgen Alt-Starkenberg und Gebratsstein ist jedoch so gut wie nichts mehr übriggeblieben. Die alten Römer hätten wohl gesagt: „Sic transit gloria mundi.“ So vergeht der Ruhm der Welt. Auch der der Starkenberger.
Wie gut, dass da auch noch Dinge ihre Auferstehung feiern können. Mitte des 18. Jahrhunderts hatte der Tarrenzer Gemeinderat (sicher auch unter Einfluss der empörten Geistlichkeit) das Schemenlaufen als „unanständigen Missbrauch“ und „Ausschreitung“ eingestuft und „auf ewige Zeiten“ verboten. Erst 200 Jahre später raffte sich das Gemeindeparlament auf, sich darüber hinwegzusetzen. Seither dürfen die Hexen, die Alpler und auch die Ritter von Starkenberg wieder durch die Straßen toben und die Tarrenzer sind auch stolz auf die prächtigen Wagen, die in mühevoller Arbeit gemeinsam aufgebaut werden.
Und so schließt sich mit der Fasnacht im Gurgltal der Kreis vom Start zum Ziel dieses Abschnitts des Starkenberger Panoramawegs.
Info 2. Etappe.

Start: Postplatz Nassereith
Ziel: Rotanger Tarrenz
Länge: knapp 14 Kilometer
Wanderzeit: etwa vier Stunden
Höhenunterschied:
620 Meter bergauf, 570 Meter bergab
Anschluss an den Nahverkehr:
Postplatz Nassereith; Tarrenz Gemeinde
Einkehrmöglichkeiten:
Nassereith; Tarrenz
Weitere Infos unter:
www.starkenberger-panoramaweg.com

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