Unterwegs auf dem Starkenberger Panoramaweg (4 und Schluss): Von Imsterberg nach Landeck
„Was? Schon die letzte Etappe?“: So mag mancher staunend seufzen, wenn er in Imsterberg die Wanderstiefel schnürt. Die vergangenen drei Teilstücke waren einfach zu schön. Doch keine Sorge: Auch das Finale des Starkenberger Panoramawegs ist voller Glanzlichter. Die RUNDSCHAU ist diese herrliche Route für ihre Leser abgewandert.
Von Jürgen Gerrmann
„Jetzt geht es erst mal ordentlich hoch“ – Eigentlich will man Hubert Heel, dem Wirt vom Gasthof „Venetrast“ in Imsterberg, gar nicht glauben. Erst gestern hat man sich doch von Imst hier hochgeschunden, Landeck, das Ziel, liegt ebenfalls im Tal – da müssen jetzt doch gemütlich zugehen.
Doch Hubert Heel kennt keine Gnade. Und behält recht: „Ihr müsst noch über den Buckel!“ Also heißt es: Höhenmeter sammeln! Rund 300 davon muss man sich nach oben schrauben, und der Vorteil ist, dass man immer wieder herrliche Ausblicke auf die Landschaft hat, in der die Dörfer von Imsterberg eingebettet sind.
Die Bauern von einem davon (Spadegg), mussten sich seit dem späten Mittelalter furchtbar schinden, um in den Genuss des ihnen 1535 zuerkannten Rechts auf die Holz- und Weidenutzung bis zum Risselbach auch wahrnehmen zu können. Zu einer Erleichterung verhalf ihnen erst 200 Jahre später der Obrist-Jägermeister Franz Anton Graf Khuen von Belasi: Er erlaubte ihnen, auf diesem engen Terrain eine „Sagschneidmühle“ zu errichten. Allerdings lag die sehr abgeschieden, eignete sich zwar sehr gut zum Antransport des Holzes – aber dann war es schon wieder vorbei damit. Die Bretter galt es, danach in Richtung Tal zu tragen.
Das war auch sehr gefährlich. Und verfolgte die Imsterberger Bauern wohl noch im Schlaf. Einer davon träumte zum Beispiel, dass ein Kollege, der einen Bart trug, dabei umkam. Die Folge: Alle Sägerarbeiter scherten sich den Bart ab, obwohl der damals in Mode war. Einen davon traf es trotzdem: Am 24. Mai 1870 kam der ledige Bauernsohn Josef Neurauter unter das „hohe Rad“ (vermutlich der Mühle), wie auf einer Tafel, die an ihn erinnert, zu lesen ist. Sein Schicksal berührt noch heute. Die Schlucht, in der er sein Leben ließ, ist übrigens heute die Bezirksgrenze zwischen Imst und Landeck.
Lohnender Abstecher.
Auch wenn die Sohlen noch so brennen, sollte man der Versuchung widerstehen, sich den Abstecher nach Obsaurs zu sparen. Denn dort steht zum einen der Römerturm, von dem wohl keiner so recht weiß, was er mit den Römern zu tun haben soll. In der offiziellen Denkmalliste des Landes Tirol wird der Bau auf jeden Fall als „Glockenturm“ tituliert. Irgendwie passender, denn drin hängt ja auch eine Glocke: Ein Barthlmä Köttelath hat sie laut Inschrift 1647 gegossen.
Geheimnisumwitterte Frauen im Kirchlein von Obsaurs: Ambett, Gwerbett und Wilbett – Salige oder Königstöchter?
Die eigentliche Sensation auf dieser Etappe ist das kleine Kirchlein etwas unterhalb, dessen erste Erwähnung aus dem Jahre 1451 stammt. Es ist dem Heiligen Vigilius von Trient geweiht.
Im Volksglauben spielten jedoch drei Frauen eine viel wichtigere Rolle: Ambett, Gwerbett und Willbett.
Um sie ranken sich buchstäblich viele Sagen.
Laut der Info-Tafel der Bergwacht-Einsatzstelle Venet handelte es sich dabei um drei bayerische Königstöchter. Im Internet findet man auf den Seiten tirolischtoll und sagen.at den Hinweis, dass diese drei „saligen Fräulein“ auch im hinteren Ötztal und am Mieminger Plateau verehrt werden.
Manche sehen dazu sogar einen Bezug nicht nur zur vorchristlichen, sondern auch zur vorrömischen Zeit: Die Räter hätten nämlich zumeist doch drei Göttinnen verehrt. Im heutigen Vorarlberg seien die Namen sogar in die Geografie eingegangen: Rätia, Valluga und Versettla seien deren Namen dort.
Die Legende, die in Obsaurs erzählt wird, geht derweil so: Die drei Bayerinnen seien vor einer großen Dürre hierher geflüchtet, hätten sich an der riesige Esche (unter der Wanderer auch heute noch Schatten suchen und finden können) niedergelassen und auch das Brünnele entdeckt, das gleich neben dem Baum sprudelt und selbst im strengsten Winter nie zufriert. Und jetzt im Sommer spendet es willkommene Kühlung. Seit dem Spätmittelalter strömten viele Menschen in das kleine Kirchlein, um Ambett, Gwerbett und Wilbett an deren einziger Verehrungsstätte in Nordtirol entweder um Kindersegen oder um Regen anzuflehen. Ihren Höhepunkt erreichte diese Verehrung im 17. Jahrhundert, und manche haben ihre Bitten sogar an die Wand geschrieben – „Graffiti“, die heute noch berühren.
Ein Tiroler in Preussen.
Die Figuren am Altar stammen übrigens auch von einem außergewöhnlichen Mann: Johann Schnegg. Der wurde im Imsterberger Ortsteil Ried geboren und war ein solch begnadeter Bildhauer, dass der „alte Fritz“ (oder ehrfurchtsamer: Friedrich der Große) ihn an seinen Hof in Berlin berief. Wer das Neue Palais in Potsdam besucht, der sieht im Grottensaal eine vom Tiroler Bua geschaffene Brunnengruppe. Und die Balustrade des berühmten Schlosses Sanssoucci bereicherte er mit den Skulpturen von zwölf unartigen Kindern. Ganz glücklich wurde er indes im flachen Preußen nicht: Als seine Frau starb, flüchtete er wieder in seine Heimat in den Bergen – sein Vermögen hatte er in hohlen Skulpturen versteckt.
All dies lässt spüren: Für Obsaurs sollte man sich schon ein bissle Zeit nehmen. Und vieles von dem, was man gesehen und erlebt hat, klingt sicher noch auf den nächsten Kilometern, wenn es fast nur eben dahin geht, nach.
Messerspitze im Auge.
Kurze Zeit später wartet dann wieder Tiroler Volksglaube auf einen: Vor rund 350 Jahren hatte sich der Sohn eines Hans Lechleitner eine Messerspitze ins Auge gestochen – und wurde wunderbar geheilt. Der Vater ließ zum Dank ein Maria-Hilf-Bild im Stil von Lukas Cranach malen und 1673 eine kleine Kapelle bauen. Viele waren überzeugt, dort ebenfalls Hilfe in ihren Nöten gefunden zu haben und spendeten, sodass das kleine Gotteshaus erweitert und dann 1717 zu einem weiteren barocken Kleinod werden konnte.
Dank des Gasthofes daneben ist dieses Kirchlein heute nicht nur Ziel von (nach wie vor stattfindenden) Wallfahrten, sondern auch von vielen Spaziergängern, Wanderern und Radlern.
Gesperrter Höhepunkt.
All ihnen bleibt freilich im Moment der geschichtliche Höhepunkt dieses Weges versperrt: Die Kronburg, die so herrlich über dem Inntal thront, ist im Moment in einem eher bedauerlichen Zustand, der Zahn der Zeit hat eben kräftig an dem alten Gemäuer genagt, sodass aus Sicherheitsgründen eine Sperre des Burghügels verhängt werden musste.
In weit besserem Zustand als die Kronburg befindet sich da der (offizielle) Endpunkt des Starkenberger Panoramaweges: Vielleicht liegt es daran, das Schloss Landeck als Burg zwar etwa ein Jahrhundert älter ist, aber im Grunde stets in öffentlicher Nutzung stand: Über 500 Jahre als Gerichtssitz, danach als Kaserne und nach einem „zeitgemäßem Umbau“ vor rund 50 Jahren als Bezirksmuseum mit einem beeindruckenden Ausstellungsprogramm.
Die Urchristen vom Inntal.
Der offizielle Schlusspunkt des Starkenberger Panoramaweges: Schloss Landeck. Man kann die herrliche Tour allerdings auch umgekehrt laufen (markiert ist sie in beide Richtungen). Dann endet sie am Fernpass.
Wie gesagt: Hier ist der Weg eigentlich zu Ende. Aber päpstlicher als der (Wander-)Papst sollte man ja ohnehin nie sein. In die Stadt hinunter muss man ja eh, und schon nach wenigen Metern stößt man dann doch nochmal auf ein „Muss“: die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, deren Geschichte bis ins Urchristentum zurückreicht. Offensichtlich trafen sich da schon ziemlich viele aus der Siedlung an der Via Claudia Augusta, die dem damals jungen Glauben huldigten. Das lässt sich aus den Ausgrabungen schließen: Auf der Priesterbank hatten fünf bis sieben Geistliche Platz, sodass man sogar ein Kloster in der Nähe vermutet.
Doch auch für Mittelalter-Fans ist die Stadtpfarrkirche hochinteressant: Unter dem Bauschutt der 70er-Jahre entdeckten die Archäologen erst vor sechs Jahren ein Skelett. Ihm fehlte zwar das komplette linke Bein, aber dafür hatte es Eisensporen und ein 1,25 Meter großes Schwert neben sich. Deswegen vermutet man, dass es sich um Oswald von Schrofenstein, den Stifter der Pfarrkirche in ihrer heutigen Form handelt.
Und vielleicht setzt sich ja der eine oder die andere vor den seiner Erinnerung gewidmetem wunderbaren spätgotischen Schrofensteinaltar (er zeigt ihn zusammen mit seiner Frau Praxedis, einer Tochter des Ritters, Sängers, Dichters und Politikers Oswald von Wolkenstein), genießt die Stille und taucht in die Dankbarkeit für all die Wunder und das Schöne in Natur, Kultur, Geologie, Geschichte, Gastfreundschaft und Spiritualität ein, die man auf diesem Weg erleben kann.
Oft warten die Wunder fast vor der eigenen Haustür. Man muss sie nur erkennen. Der Starkenberger Panoramaweg hilft einem dabei.