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„Hoffnungsvolle Fröhlichkeit“

Die Sebastiankapelle in Berg im Tannheimer Tal ist ein Zeugnis der Pestzeit

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s zur Sebastiankapelle in Berg bei Tannheim.
18. Jänner 2021 | von Jürgen Gerrmann
Ebenfalls den Menschen nah: die kleinen Sebastiansfigur trotzt allen Schmerzen. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Eigentlich hätte am Mittwoch hier eine heilige Messe gefeiert werden sollen, wie dies über Jahrhunderte an jedem 20. Januar der Fall gewesen war. Corona freilich unterbrach diese Tradition in der kleinen Kapelle in Berg im Tannheimer Tal. Und so werden heuer viele „Berger“ am Gedenktag des heiligen Sebastian, dem dieses Kirchlein geweiht ist, zuhause ein Gebet sprechen. Denn das Anliegen, das mit dem römischen Soldaten, der als Märtyrer sein Leben ließ, in Verbindung gebracht wird, ist auch im 21. Jahrhundert hochaktuell: Er wird bei Seuchen, Geschwüren, Infektionen, Wunden und Kinderkrankheiten angerufen, auch bei Aids bittet man ihn um Hilfe.

GEMEINSCHAFTSLEISTUNG.
Die Kapelle, die (nicht nur) Pfarrer Donatus Wagner für „die vielleicht schönste im Tannheimer Tal“ hält, erstrahlt seit gut zwei Jahren wieder in neuem Glanz – dank einer großartigen Gemeinschaftsleistung der Agrargemeinschaft der Fraktion Berg, die schon für sich allein ein beeindruckendes Glaubenszeugnis ist. 
Dass es in ihr vor Heiligen nur so wimmelt und Sebastian dort gleich dreimal vertreten ist (auf dem Altarbild, an der Decke und als berührende kleine Holzfigur), verwundert nicht, wenn man die Entstehungsgeschichte dieses kleinen Gotteshauses kennt: Erbaut wurde es nämlich in einer furchtbaren Zeit – 1635, als die Pest im Außerfern und ganz besonders im Tannheimer Tal wütete (deswegen wird Sebastian auf dem Deckengemälde auch noch vom zweiten großen Pestheiligen, Rochus, unterstützt).

EINE FURCHTBARE ZEIT.
Karlheinz Eberle hat auf seiner Internet-Seite verren.at eindrucksvoll einen Überblick über diese Zeit im Außerfern gegeben, die es einen auch heute noch eiskalt den Rücken hinunterlaufen lässt.
„Die „schwarzen Petetschen“ (wie die Krankheit wegen der pockenähnlichen Punkte auf der Haut, die sich später zu großen, tiefdunklen Flecken auswuchsen, oft genannt wurde) rafften die Menschen in dieser Zeit nur so dahin. Im Tannheimer Tal bedeuteten sie für mindestens zwei Drittel der Menschen den Tod (in Lumberg soll nur ein einziger Bewohner überlebt haben), die Toten lud man auf Dungwagen und karrte sie damit zum Pestfriedhof bei St. Leonhard in NeuKienzen.
Angesichts dessen überrascht, dass die Kapelle mit ihren reichen Stuckaturen (die für viele zu den schönsten des Außerferns zählen) und ihren vielen einfachen Malereien, die aber gerade deswegen von der bäuerlichen Frömmigkeit hier im „schönsten Hochtal der Alpen“ zeugen (so entbehren die Heiligen Drei Könige an der Empore jeglicher Pracht und sind eher Spiegelbilder einfacher Menschen), trotzdem eine hoffnungsvolle, ja zuweilen gar heitere Atmosphäre ausstrahlt.
Oder ist das gar nicht so verwunderlich? Schließlich zitiert Karlheinz Eberle auf verren.at auch die „Sammlung Österreichischer Gesetze und Ordnungen“ aus dem Jahre 1738 (als just der Zeit, in der die Fresken und Gemälde hauptsächlich entstanden). Darin wird als Mittel gegen die Pest empfohlen, „alle Gemüths-Beschwerden hintan zu setzen, hingegen aber eine trostreiche und hoffnungsvolle Fröhlichkeit zu pflegen“. Das ist in dieser Kapelle auf jeden Fall großartig gelungen. 

DIE LEGENDE. 
Das Leben des Namensgebers war freilich, wenn man den Legenden glaubt, nicht gerade von übergroßer Fröhlichkeit geprägt. Wobei das Ökumenische Heiligenlexikon darauf verweist, dass seine Geschichte eher an einen epischen Roman erinnert und historisch nur sehr dürftig belegt ist. Manche vermuten, man habe verschiedene römische Märtyrergeschichten zu einer einzigen verwoben und die dann dem Sebas-tian zugeschrieben.
Dessen (griechischer) Name bedeutet „zum Kaiser gehörig“ - und führt damit direkt zur Legende um Sebastian. Der soll nämlich Ende des 3. Jahrhunderts als Hauptmann zur Prätorianergarde des Kaisers Diokletian in Rom gehört haben – einem erbitterten Feind der Christen, der sie ausrotten wollte, weil sie der Einheit von Staat und Rom widersprachen und statt dessen bekannten: „Christus ist der Herr!“
Der Soldat (die einen meinen, er sei in Mailand geboren, die anderen sagen in Narbonne in Südfrankreich) sei heimlich verhafteten Glaubensbrüdern im Gefängnis beigestanden – so zu Beispiel den „vier Gekrönten“ Claudius, Castorius, Nicostratus und Symphorianus, die sich in den Steinbrüchen Pannoniens (also dem heutigen Burgenland und Westungarns) geweigert hatten, eine Statue des Heilkunstgottes Aesculap und das Bild des Sonnengottes Apollo zu meißeln. Zudem soll er Wunder gewirkt, für die Bestattung der Märtyrer gesorgt und (was vermutlich das Gravierendste war) römische Adlige zu seinem Glauben bekehrt haben. 
Die Sache flog auf, Diokletian ließ ihn (so die Legende) nackt an einen Baum binden und von numidischen Bogenschützen (also aus den heutigen Staaten Algerien und Tunesien) beschießen.
Rainer Maria Rilke, der große Poet, hat diese Szene im Winter 1905/06 (vielleicht am Sebastianstag?) so beschrieben: „Und die Pfeile kommen: jetzt und jetzt,/und als sprängen sie aus seinen Lenden,/eisern bebend mit den freien Enden./Doch er lächelt dunkel, unverletzt.“
Wie dem auch sei: Die Todeserklärung war verfrüht – die Irene, die Witwe des Märtyrers Castulus, pflegte ihn gesund.
Daher rührt wohl Sebastians Bedeutung als Pestheiliger. Denn man bezeichnete diese Seuche auch als „anfliegende Krankheit“ und vermutete ihre Ursache in geheimnisvollen unsichtbaren Pfeilen, die Dämonen auf die Menschen abschössen. Zum Schutz trug man „Sebastianspfeile“ bei sich. So nannte man seit dem Mittelalter in vielen Gegenden den ersten neuen Wein – und genoss ihn am 20. Januar.
Irenes Pflege bedeutete indes nicht die Rettung für Sebastian. Er begab sich nach seiner Genesung nämlich nicht ins Exil oder den Untergrund, sondern erkühnte sich, vor den Kaiser zu treten und ihm seine Grausamkeiten vorzuhalten. Dem passte das gar nicht, und so ließ Diokletian den aufmüpfigen Christen im Stadion des Kaiserpalastes zu Tode peitschen und seinen Leichnam in die Cloaca Maxima, den großen Abwasserkanal, werfen, aus dem ihn dann die Chris-tin Lucina herausfischte und in den Katakomben an der Via Appia, die heute Sebastians Namen tragen, bestatten ließ.
In zahllosen Orten Deutschlands, auf Sizilien und Spanien (28 allein in Andalusien) wird er als Schutzheiliger verehrt. Wegen der vielen Pfeile, die ihn trafen, blicken die Bürstenmacher zu ihm auf, wegen seines Endes in der Kloake soll er auch Brunnen beschützen. Zuständig ist er aber auch für die Sterbenden allgemein sowie die Bogen- und Armbrustschützen, die Schützengilden, die Soldaten, Kriegsinvaliden, Büchsenmacher, die Eisen- und Zinngießer, die Steinmetze, Gärtner, Waldarbeiter, Gerber, Töpfer und Leichenträger.
Zum Schluss noch ein Tipp angesichts des Wintereinbruchs der vergangenen Tage: „Hat Sebastian nach Kälte Verlangen, musst Du um Deinen Brennholzvorrat bangen“, weiß eine Bauernregel.
 

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