Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Maria vom guten Rat

Die Kapelle von Schönau im Lechtal trägt einen eher seltenen Namen

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s nach Schönau.
14. Feber 2022 | von Jürgen Gerrmann
Christus an der Geißelsäule in der Kapelle von Schönau ist der berühmten Skulptur in der Wieskirche von Steingaden nachempfunden. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Man verlasse sich nie zu sehr auf Wikipedia! Oft stimmen die Angaben in dem Online-Lexikon zwar, aber eben nicht immer. Diese Erfahrung kann (oder besser gesagt: muss) man zum Beispiel machen, wenn man als Zeitungsmann die Außerferner Kapellen besuchen möchte, um diese Serie zu schreiben. Schaut man sich zuvor in dieser „freien Enzyklopädie“ die „Liste der denkmalgeschützten Objekte in Bach (Tirol)“ an, so stößt man in der vierten Position von oben auf eine „Wegkapelle Maria La Salette“, die direkt an der Lechtalstraße stehen soll. „Interessantes Thema“, denkt man sich da, denn eine Kapelle im Lechtal mit Bezug zu einem Wallfahrtsort in den französischen Alpen – darüber ließe sich ja sicher einiges erzählen.

NUR ACHT KIRCHEN DIESES NAMENS.
Doch zwischen Stockach und Schönau schweift der Blick ins Leere, man zweifelt an sich selbst, denn von einer Kapelle ist weit und breit nichts zu sehen. Erst später erfahre ich, dass sie schon vor einiger Zeit Straßenbaumaßnahmen weichen musste und bei Stockach an den Waldrand versetzt worden sei. Aber macht ja nichts! Schönau ist ganz in der Nähe, und dort wartet auch ein höchst lohnenswertes Ziel: die Ortskapelle Maria vom guten Rat. Sie ist leider verschlossen, aber Mesner Walter Frey ist sehr hilfsbereit und schließt mir auf. Und ich merke: Diese Kapelle kann einen vom ersten Moment an begeistern – so viele Eindrücke warten da auf einen! Schon der Name ist (auch wenn die Hinterhornbacher Kirche auch diesen Namen trägt) relativ selten. Die Liste (Vorsicht: Quelle Wikipedia!) weist in Österreich gerade acht Gotteshäuser dieses Namens auf – fünf davon in Tirol. Der Schwerpunkt liegt (genaue Zahl hin oder her) eindeutig in Italien. Und hier ergibt sich sogar eine Verbindung zum Lechtal: Die „Urkirche“ von Maria vom guten Rat, ein Heiligtum, das im Mittelalter besonders vom Augustiner-Eremitenorden in Ehren gehalten und gepflegt wurde, befindet sich nämlich in Genazzano in der italienischen Provinz Latium in der Nähe von Rom. In Olevano Romano, gerade mal zehn Kilometer davon entfernt, verbrachte der aus Elbigenalp stammende Maler Joseph Anton Koch die letzten 24 Jahre seines Lebens und malte dort auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts intensiv die „Campagna Romana“ genannte Landschaft dort.

BERÜHMTES GNADENBILD.
Die Kapelle in Schönau ist freilich wesentlich älter: Sie wurde bereits 1732 geweiht. Ihre Namensgebung hat daher nichts mit dem Lechtaler Künstler zu tun, man war vielmehr vermutlich von der Geschichte angetan, die sich um das Gnadenbild rankt: Das soll gleich zwei Mal von Engeln vor den Muslimen in Sicherheit gebracht worden sein – 1260 von Jerusalem nach Shkodra in Albanien und am 25. April 1467 dann (als man sich auch dort vor den Osmanen fürchtete) nach Latium, wo denn auch sofort eine Wallfahrt einsetzte, die von vielen Päpsten aus den verschiedensten Epochen gefördert wurde: Als Erster pilgerte Urban VIII. dorthin (im Jahre 1630), es folgten Pius IX. (1864), Johannes XXIII. (1959) und auch der große Marienverehrer Johannes Paul II. (1993). Auch Leo XIII., der in der Nähe geboren worden war und zu Kochs Lebzeiten unter seinem eigentlichen Namen Vincenzo Pecci die Priesterweihe empfangen hatte, fühlte sich dem Heiligtum schon aufgrund seiner Biographie besonders nah: Drei Monate vor seinem Tod, im stolzen Alter von 93 Jahren, pilgerte er noch zu der Kirche, die er im Jahr davor hatte ausschmücken lassen, und erhob sie zur Basilika minor. Das war 1903, im selben Jahr hatte er schon die Anrufung „Du Mutter des guten Rates“ in die Lauretanische Litanei einfügen lassen. Sie steht auch heute so im „Gotteslob“. Das herrliche Altarbild, das nur einige Jahre jünger ist als die Kapelle, zeigt indes nicht, wie man aufgrund des Namens des Gotteshauses sicher zunächst einmal vermutet, eine barocke Variation des mittelalterlichen Gnadenbilds, sondern die von Fröhlichkeit geprägte und vielen Engeln begleitete Aufnahme Marias in den Himmel. Joseph Anton Schuler, ein Maler aus Elbigenalp, hat dies so wunderschön umgesetzt, dass man sich wundert, dass er es nur zu lokaler Bedeutung brachte. Bei dem Holzbildhauer, der Marienfigur links des Chorbogens und ihres Pendants Josef auf der anderen Seite (das dabei einmal der weltliche Vater das Chris-tuskind halten darf, kommt gar nicht so häufig vor) geschaffen hat, war das etwas anders – der Imster Joseph Georg Witwer genoss in der Region, die man heute „Oberland“ nennt, durchaus ein guten Ruf. Im Außerfern engagierte man ihn unter anderem für die Pfarrkirchen in Elmen und Lermoos, auf der anderen Seite der Berge finden sich Werke von ihm in den Gotteshäusern von St. Leonhard im Pitztal, Flirsch, Dormitz bei Nassereith und Galtür.

DER LEIDENDE ERLÖSER.
Beeindruckend ist auch die Skulptur mit der Darstellung von Christus an der Geißelsäule auf der rechten Seitenwand. Das Motiv taucht in der Bibel gar nicht auf, wurde aber dennoch seit dem Mittelalter immer weiter verbreitet. In seinen „Meditationen über das Leben Christi“ schrieb (so vermutet die Forschung) der Franziskaner Johannes de Caulibus aus San Gimignano in der Toskana dies: „Dann zogen sich die Ältesten zurück und ließen ihn in einen Kerker bringen, der unter der Erde lag, und dessen Reste heute noch sichtbar sind. Dort wurde er an eine Steinsäule gebunden, von der heute noch ein Stumpf steht, wie ich von einem Mitbruder erfuhr, der ihn sah. Trotzdem ließ man zur größeren Sicherheit einige Bewaffnete zurück, welche ihn die ganze Nacht noch vollends mit Spottreden und Verwünschungen quälten. So beschimpften sie ihn, bald der eine, bald der andere, die ganze Nacht durch Worte und Taten. So stand er aufrecht an die Säule gebunden bis am Morgen.“ Eine berühmte künstlerische Umsetzung dieser Geschichte findet sich in der Wieskirche bei Steingaden, wo Walter Frey und seine Ehefrau Hildegard im Februar vor exakt 50 Jahren vor den Traualtar traten. Dort wurde sie sogar zum Ursprung einer Wallfahrt (und letztlich der ganzen herrlichen Kirche, die nach dem Plänen von Dominikus Zimmermann kurz nach der Kapelle von Schönau errichtet wurde): Die Bäuerin Maria Lory wollte am 14. Juni 1738 Tränen in den Augen des Erlösers gesehen haben. Dies rührte viele Gläubige derart, dass sie bis heute dorthin pilgern. Der „Wiesheiland“ wird übrigens auf 1730 datiert (steht also auch in enger zeitlicher Verbindung zur Kapelle in Schönau): Der Prämonstratenser-Chorherr Magnus Straub und sein Kloster-Bruder Lukas Schwaiger setzten das Leiden des Erlösers freilich in ihrer Skulptur, die für die Karfreitagsprozession bestimmt war, derart realitätsnah um, dass die Gläubigen erschraken und die Figur erst einmal auf dem Dachboden eines Gasthofes landete. Noch vielen anderen sehenswerten Dingen begegnet man in der Schönauer Kapelle. Außergewöhnlich ist auch der „Reliquienstein“ unter der Altarbibel, in dem sich Überreste der – indes relativ unbekannten – Heiligen Severianus und Victoria befinden sollen. Übrigens: Auch in Reutte stößt man auf ein Stück der Schönauer Kapelle – im Museum im Grünen Haus werden die aus dem Jahr 1746 stammenden Kreuzwegstationen aufbewahrt und gewürdigt.

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