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„Zukunft steht in den Sternen“

Gramaiser Bürgermeister hört auf – tut es ihm der Gemeinderat nach?

„Die einwohnermäßig kleinste Gemeinde Österreichs“ – als solches ist Gramais weithin bekannt, und mit diesem Superlativ fühlt man sich (bis hin zur Tourismuswerbung) durchaus wohl. Doch dieses Prädikat könnte auf dem Spiel stehen – dann nämlich, wenn niemand mehr Gemeinderat oder Bürgermeister werden möchte.
22. März 2021 | von Jürgen Gerrmann
„Zukunft steht in den Sternen“
Gramais ist im Winter auch ein Langlaufparadies. Die Loipe führt hinaus zum Talschluss. Aber, wie es nach der Gemeinderatswahl in einem Jahr im und mit dem Dorf weitergehen soll – dazu verliert sich im Moment noch die Spur.
Von Jürgen Gerrmann.
Noch ist dieser Extremfall ganz weit weg, doch ganz ausgeschlossen ist der Super-Gau für die Gemeinde, deren Geschichte bis ins Jahr 1370 zurück-reicht, nicht. Aber ein Novum ist die jetzige Situation, in der der Bürgermeister seinen Abschied angekündigt hat und nicht sicher ist, ob überhaupt wieder jemand Gemeinderat werden möchte,  ebenfalls nicht. „Das war bei mir auch schon so“, sagt Altbürgermeister Werner Friedle, dessen zweites Buch über Gramais vor Kurzem erschienen ist, zur RUNDSCHAU, zu deren Team er als freier Mitarbeiter auch gehört. Vor nunmehr 23 Jahren war das. Keine Liste wurde aufgestellt, auch der damalige Lehrer Friedle wollte nicht mehr Bürgermeister sein: „18 Jahre hatte ich das gemacht, ich war einfach amtsmüde.“ Als am 20. Februar 1998 um 17 Uhr die Bewerbungsfrist endete, war fünf Minuten zuvor die Nachricht gekommen, dass Gemeindevorstand Friedrich Fasser (der Vater des jetzigen Bürgermeisters) gestorben war. Da trat die Tatsache in den Hintergrund, dass sich niemand mehr um ein Mandat für ein Amt an der Spitze der Gemeinde hatte bewerben wollen. „Sogar eine alte Frau ist zu mir gekommen und hat mich bekniet, dass ich doch bitte weitermachen solle“, erinnert sich Friedle. Für zwei Jahre ließ er sich dann tatsächlich überreden.

Amtsverwalter kam.
Der „solidarische Rücktritt des Gemeinderates“ (so Friedle in seinem Buch) erfolgte letztlich am 31. März 2000. Wie es die Tiroler Gemeindeordnung verlangt, übernahm zunächst ein Amtsverwalter von der Bezirkshauptmannschaft Reutte die Amtsgeschäfte: Hubert Köck. Vor der auf 9. Juli 2000 angesetzten Neuwahl erlebte Gramais sogar eine wahre basisdemokratische Renaissance: Gleich zwei Listen und zwei Bürgermeisterkandidaten traten gegeneinander an! Und bei 46 Wahlberechtigten setzte sich der Jäger Michael Fasser (nach „viel Wahlkampf und -krampf“, wie es Friedle heute bezeichnet) mit 23 zu 22 Stimmen gegen den Hauptschullehrer Bernhard Wasle durch. Es sollte das (bislang) letzte Mal sein, dass die Gramaiser die Qual der Wahl hatten. „Der Michael hat meinen Rekord gebrochen“, schmunzelt Friedle. Und das, obwohl der das gar nicht im Sinn hatte. Schon 2016 wollte er nämlich aufhören, mit einer Listenaufstellung wurde es auch nichts, und so blieb (entsprechend der Gemeindeordnung) der alte Gemeinderat im Amt – und mit ihm der Bürgermeister.

Die Rechtslage.
Nun aber soll für Michael Fasser endgültig Schluss sein, wie auch dessen amtierender Vize Roland Scheidle der RUNDSCHAU bestätigt. Und wie soll es dann weitergehen? Die Rechtslage erklärte uns Christine Salcher, die Leiterin der Abteilung Gemeinden des Landes so: Trete niemand zur Wahl an, blieben alle im Amt – einschließlich des Bürgermeisters. Träten dann alle zurück, müsse man den Gemeinderat förmlich auflösen und wie vor 21 Jahren einen Amtsverwalter einsetzen, der dann Neuwahlen einleite. Und wenn dann in Sachen Kandidaten weiterhin Fehlanzeige herrschte? Die Antwort der Beamtin zeigt, dass es sich in diesem Fall um eine rechtschaffen heikle Angelegenheit handelte: „Dann muss man schauen, was passiert.“ Im Klartext: Dann muss sich das Land politisch mit der Situation auseinandersetzen. Ob die Sache politisch letztlich tatsächlich so heiß gegessen wird, wie sie theoretisch gekocht wird, „steht noch in den Sternen“, wie Vize-Bürgermeister Roland „Rolli“ Scheidle der RUNDSCHAU zu Protokoll gibt. Dass Michael Fasser aufhöre, stehe zwar definitiv fest: „Der hat schließlich mehr als 20 Dienstjahre auf dem Buckel.“ Was das restliche Gremium anbelangt, kann oder will der Wirt der „Alpenrose“ indes keine Prophezeiung abgeben: „Schau mr amål, wie es weiter geht. Bis zum Herbst wissen wir mehr, zurzeit ist noch alles Spekulation.“  Zwei Herzen scheinen derweil in Werner Friedles Brust zu schlagen: Er bekennt zwar – schon vor langer Zeit für eine Großgemeinde Lechtal, in der man zumindest alle Seitentäler hätte zusammenfassen können, gewesen zu sein – „darüber wurde aber leider nie eine ernsthafte Debatte geführt“. Aber wenn man etwa zu Häselgehr geschlagen werde, „dann kriegen wir wohl nicht mal einen Vertreter im Gemeinderat durch“. Und wer regle dann zum Beispiel solche Dinge wie die Schneeräumung in Winter?
Auch wenn Gramais’ Zukunft noch in den Sternen steht: Ein heißes Eisen ist sie offenbar jetzt schon. Knapp ein Jahr vor der Wahl im nächsten Februar. Denn die könnte zugleich das Aus für „die kleinste Gemeinde Öster-reichs“ einläuten.

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