Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

Wie Fremde zu Nachbarn wurden

30. April 2019 | von Manuel Matt
Ehrengäste und Säulen der Ausstellung, die ihre Erinnerungen preisgaben – im Bild mit Sabine Schuchter (5.v.r.) und Kirsten Mayr (3.v.r.): Siegfried Köll, Yusuf, Cafer und Sadik Ekici, Marija Egger, Josip Bacinger, Nevin Genc und Melek Tezcan (v.l.) RS-Foto: Matt
Holten mithilfe vieler helfender Hände bisher wenig Beachtetes vor den historischen Vorhang: Julian Ascher, Kirsten Mayr, Sabine Moschen und Sabine Schuchter (v.l.) RS-Foto: Matt
Meisterhaft in ihrer Begleitung der Ausstellung und seit vielen Jahren ein Teil von Imst: Edo und Dina Krilic RS-Foto: Matt

„Zimmer mit Arbeit“: Geschichte der Arbeitsmigration in Imst und Umgebung findet Einzug im städtischen Gedächtnis


Sie verließen ihre Heimat, um ihrer Familie zu helfen, eine bessere Zukunft zu finden oder schlicht aus dem Wunsch heraus, etwas zu erleben – und eine Vielzahl der damaligen Gastarbeiter sind in den 60er und 70er Jahren auch in Imst gelandet. An Sprachkurse, an Integration dachte zu diesen Zeiten niemand, dennoch sind viele dieser dringend benötigten Arbeitskräfte letztendlich geblieben. Diesem bisher wenig beachteten Teil der Geschichte widmet das Imster Museum im Ballhaus in Zusammenarbeit mit dem Integrationsbüro die Ausstellung „Zimmer mit Arbeit“, die seit vergangenen Freitagabend der Öffentlichkeit zugänglich ist.


Von Manuel Matt


Wir haben gerufen und sie sind gekommen, die Gastarbeiter. Nicht nur in Imst wurden sie dringend gebraucht, damals in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Öster-reich, das als Komplize des nationalsozialistischen Regimes einst seinen Namen verlor, hatte sich schließlich aus der Asche erhoben, der Wirtschaftsmotor erwachte brummend zum Leben und verlangte nach Arbeitskräften, die jedoch hierzulande nur mehr schwer zu finden waren. So wurden sie im Ausland angeworben, die Gastarbeiter, vor allem in der Türkei, im damaligen Jugoslawien, aber auch in Tunesien.



Kein Haus, kein Licht

In Imst und seiner Umgebung waren es die Textilindustrie, das metallverarbeitende Gewerbe, die Bauwirtschaft und auch das Gastgewerbe, die händeringend nach Fach- und Hilfskräften suchten. Doch mit dem Anwerben der Gastarbeiter alleine war es freilich noch nicht getan, sie mussten zunächst hier ankommen. Dafür hatten die Betriebe selbst finanzielle Sorge zu tragen. „Kein Haus, kein Licht – was mach’ ich denn hier?“, erinnert sich Marija Egger (geborene Vajdic) aus Kroatien über ihre Ankunft als angeheuerte Arbeitskraft am Bahnhof Imst-Pitztal. Sie ist eine der vielen, die damals hier in Imst ankamen, deren Geschichte so lange undokumentiert geblieben ist und nun erzählt wird – in Fotos und auf Videoaufnahmen, in Zahlen und Worten, anhand von Objekten, Erinnerungen und Erzählungen.




Holten mithilfe vieler helfender Hände bisher wenig Beachtetes vor den historischen Vorhang: Julian Ascher, Kirsten Mayr, Sabine Moschen und Sabine Schuchter (v.l.) RS-Foto: Matt

Ein Kind der Vielen

Dafür verantwortlich ist die vergangenen Freitagabend eröffnete Ausstellung „Zimmer mit Arbeit“, die im Imster Museum im Ballhaus (MiB) die Geschichte der Arbeitsmigration der 60er und 70er Jahre erzählt. „Ein recht großes Projekt“, dessen Vorbereitungen sich über zwei Jahre erstreckte, erzählt MiB-Leiterin Sabine Schuchter, die gemeinsam mit Kirsten Mayr vom Imster Integrationsbüro die Ausstellung erdachte. Vervollständigt wird das Team durch Geschichte-Student Julian Ascher, der zur Eröffnung pointiert über historische Rahmenbedingungen referierte, und die Pädagogin Sabine Moschen, verantwortlich für Mitkonzeption und Begleitung der Stadtspaziergänge, die innerhalb des Rahmenprogramms an geschichtsträchtige Stätten der Arbeitsmigration in Imst führen werden. Ein Dankeschön galt zur Eröffnung unter anderem auch dem Imster Regionalmanagement, dem Zentrum für MigrantInnen in Tirol (ZeMit), beherzten Privatpersonen sowie Behörden von Arbeitsmarktservice bis Fremdenpolizei für das Teilen von Dokumenten und Erinnerungen. Die Arbeitsmigration ist ein Fragment der städtischen Geschichte, „gehört zu Imst und so auch ins Museum im Ballhaus“, betont Mayr – auch wenn dieser Teil der Vergangenheit lange Zeit landauf, landab als nicht sammelwürdig angesehen wurde, ergänzt Schuchter. Die Ausstellung sei der „Versuch, alte Filter abzulegen“, neu zu fokussieren, denn wer sammelt, bestimmt die Erinnerung, so die Museumsleiterin: „Es ist unsere Verantwortung, vor dem Vergessen zu bewahren!“




Meisterhaft in ihrer Begleitung der Ausstellung und seit vielen Jahren ein Teil von Imst: Edo und Dina Krilic RS-Foto: Matt

Was wir gesehen, Was wir getan und gespürt haben

Nach einführenden Worten von Bürgermeister Stefan Weirather und der Eröffnung durch Gemeinderätin Brigitte Flür gibt das Ballhaus-Museum nun bis Ende Oktober detailliert und ungeschönt Aufschluss über Einzelheiten und das große Ganze hinsichtlich der Arbeitsmigration in Imst. Schautafeln informieren über damalige Rahmenbedingungen, Statistiken halten Befürchtungen und Vorurteile der einheimischen Bevölkerung fest. Zeitungsartikel – unter anderem von Peter Leitner und Meinhard Eiter – berichten von Konflikten, dem Wiedererstarken des „Ausländer raus“-Denkens und von Imster Gemeinderatsbeschlüssen, die Menschen mit ausländischen Wurzeln bei Wohnungsvergaben an letzter Stelle reihen. Doch erzählen Zahlen und Zeitzeugnisse nur einen Teil der Geschichte. Herzstück sind die vielen Interviews damaliger Gastarbeiter, die der heimische Filmemacher Jakob Pfaundler eindrücklich für die Nachwelt festgehalten hat. In Endlosschleife lassen sie auf den Museumsfernsehern teilhaben am Heimweh, dem gemeinsamen Weinen zu den mitgebrachten Liedern des Balkans, der schweren Aneignung der fremden Sprache und der Erleichterung, dass zumindest der Hahn ganz gleich wie in der türkischen Heimat kräht. Bild für Bild werden die Menschen sichtbar, die Arbeit gesucht und ein neues Zuhause gefunden haben – denn wir haben gerufen und sie sind geblieben, die Gastarbeiter. Sie, ihre Familien und ihre Nachkommen wurden zu Nachbarn und Freunden, die auf der Straße grüßen, mit uns lachen, essen und trinken, Reichtum und Mühsal teilen. Auch dank ihrer Arbeit leben wir gemeinsam im friedlichen Wohlstand und sie haben ihn gewiss verdient, ihren Platz in der Geschichtsschreibung jener Stadt, deren Mütter und Väter auch einmal Fremde waren.


Die Ausstellung „Zimmer mit Arbeit“ ist bis 25. Oktober zu den Öffnungszeiten des Museums im Ballhaus zu besichtigen: An Dienstagen, Donnerstagen und Freitagen von 14 bis 18 Uhr, an Samstagen von 9 bis 12 Uhr.

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben