Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Idyllische Almen, wohltuendes Wasser

Auf dem Ötztaler Urweg von Niederthai nach Längenfeld

Urlaub daheim: Auch das kann faszinierend sein. Zum Beispiel, wenn man sich eine vermeintlich vertraute Landschaft buchstäblich Schritt für Schritt neu erschließt. Ein tolles Beispiel dafür ist der Ötztaler Urweg: In knapp zwei Wochen geht es da vom Inntal in die majestätische Welt der Berge – und wieder zurück.
24. August 2020 | von Jürgen Germann
Idylle pur findet man auf der Alm beim Wiesle mit ihrer wunderschönen alten Kapelle. RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
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Von Jürgen Germann

Die RUNDSCHAU ist für ihre Leser die dritte Etappe abgewandert – ein Musterbeispiel dafür, dass es auch auf halber Höhe immer wieder viel Schönes zu entdecken gibt. Los geht es in Niederthai, das mit dem Kleinbus (Abfahrt um 9 Uhr an der Haltestelle Umhausen Feuerwehr) sehr gut zu erreichen ist.Vor 899 Jahren wurde das idyllisch gelegene Dörflein zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Damals hieß es „Nidirtaige“ und es gab sogenannte „Schwaighöfe“. Mit diesem Begriff können heute vermutlich nicht mehr allzu viele etwas anfangen. Er wurzelt im mittelhochdeutschen Begriff „Sweige“ für eine Sennerei, einen Viehhof, aber auch eine Viehherde. Ein Schwaighof funktionierte so: Der Grundherr stellte die Herden zur Verfügung und erhielt dafür eine Art „Miete“ in Form von Naturalien. Die Höfe oberhalb des Stuibenfalls am Horlachbach scheinen prosperiert zu haben: Immerhin betrug ihre jährliche Lieferpflicht an das ja nicht gerade nah gelegene Kloster Ottobeuren laut Urkunde „nongentos caseros“ (900 Käse).

SEHENSWERTE KIRCHLEIN. Wer den ersten Bus nimmt, der hat auch noch genügend Zeit, einen Blick auf und in das dem heiligen Antonius von Padua geweihte Kirchlein zu werfen, das 1682 erbaut wurde und ins Kunstkataster des Landes Tirol aufgenommen wurde. Erwähnenswert sind da nicht zuletzt die Fresken aus dem Jahre 1944, die verschiedene Heilige zeigen. Geschaffen hat sie ein einheimischer Künstler: Franz Xaver Pizzinini. Der Name lässt schon erahnen: Seine Familie (Südtiroler Bauern) stammte ursprünglich von jenseits des Alpenhauptkamms und zog dann nach Innsbruck. Sein Studium der Malerei und Kirchenrestauration in München und Wien führte ihn vor knapp 100 Jahren übrigens auch mit dem großen Tiroler Künstler Max Weiler zusammen. Die erste Strecke kann man in aller Gemütlichkeit angehen, die Steigung hinauf zum Mauslasattel ist eher sanft und führt vorbei an einem idyllischen See, der allerdings zu verlanden droht, zur Wiesle-Alm. Auch hier stand dereinst übrigens ein Schwaighof und denen, sich für diesen Standort entschieden, muss man nicht zuletzt eins attestieren: Ein Gespür für wunderschöne Plätze hatten sie schon. Und so kann man quasi gar nicht anders, als hier an der beliebten Jausenstation die erste Rast einzulegen. Idylle pur ringsum – inklusive munter über das saftige Gras tollende Ziegen, die sich auch auf kleinen Felsen tummeln, während unter ihnen Schafe Schutz vor der Sonne suchen. Anrührend ist auch hier die kleine Kapelle. „Siehe das Herz, das die Menschen so sehr geliebt“, steht über dem Eingang und auch das Innere mit dem Marienaltar und Heiligenbildern den Holzwänden zeugt von der tiefen Volksfrömmigkeit in dieser Region. Ein Bild zieht besonders die Blicke auf sich. Es zeigt den Priester Josef Freinademetz, der 1852 in dem Fünf-Häuser-Weiler Oies im Südtiroler Abteital geboren wurde. Seine Bestimmung sollte er indes nicht in den heimatlichen Bergen finden, sondern im fernen China. 1881 brach er als erster Missionar der Steyler Mission dorthin auf, um in der Provinz Shantung, die damals unter zwölf Millionen Einwohnern gerade mal 158 Christen zählte, zu wirken. In der für Menschen aus dem Westen gefährlichen Zeit des Boxeraufstandes (1900) lehnte er es ab, sich auf sicheres Terrain zu begeben. Acht Jahre später erkrankte er an Typhus und starb schließlich an dieser Krankheit. Seine chinesischen Glaubensbrüder begruben Sheng Fu Ruose (so wurde er in der Landessprache genannt) unter der zwölften Kreuzwegstation (Jesus stirbt am Kreuz), das Grab des hoch verehrten Priesters wurde zum Wallfahrtsort, Papst Johannes Paul II. sprach ihn 2003 heilig und erst vor zwei Jahren wurde in China gar ein Musicalfilm über den einstigen Tiroler Bergbauernbub gedreht. Sein Wahlspruch ist heute noch aktuell – und wegweisend: „Die einzige Sprache, die jeder versteht, ist die Liebe.“

ALPINES TEILSTÜCK. So schwer es fällt: Irgendwann muss man ja dann doch wieder weiter und Abschied vom Wiesle nehmen. Und das nächste Teilstücke erinnert einen daran, dass der Ötztaler Urweg eben nicht nur ein kleiner Spaziergang ist, sondern hin und wieder durchaus alpinen Charakter hat. Eine Stunde lang geht es nämlich durchaus zackig hinauf zum Höhepunkt der Tour auf 1831 Metern – die Untere Hemerach Alm ist auch ein wunderschönes Fleckchen Erde. Wie von einem Maler komponiert, liegen die zum Teil Jahrhunderte alten Almhütten in die Landschaft eingebettet – und wer nicht schon ausgiebig auf der Wiesle-Alm gerastet hat, der wird der Versuchung kaum widerstehen, sich hier noch eine Weile ins Gras unter uralten Bäumen zu setzen und den Blick schweifen zu lassen. Das kann man sich übrigens ohne schlechtes Gewissen erlauben, denn diese Etappe des Urwegs ist nicht allzu lang. Auf die leichte Schulter nehmen sollte man sie dennoch nicht. Denn der Abstieg hinunter zur Ötztaler Ache ist durchaus anspruchsvoll und nicht ohne Grund auch mehrfach mit Seilen gesichert.  Und das letzte Stück des Abstiegs wurde vor Kurzem sogar verlegt, weil es schon gewaltig steil zugeht.

WO EINST DER FLACHS BLÜHTE. Hinunter ins Tal schauen sollte man daher nur, wenn man wahrlich sicheren Boden unter den Füßen hat. Dann erkennt man auch die Besonderheit der 22 Dörfer und Weiler, die die Gemeinde Längenfeld ausmachen: Dort weitet sich das Ötztal und das schuf schon bald bessere Bedingungen für die Landwirtschaft als anderswo. Und deswegen blühte dort schon seit dem 14. Jahrhundert nicht nur die Viehzucht, sondern auch der Flachsanbau. Die Bauern dort lieferten eine herausragende Qualität – und zwar weit über Tirol hinaus. Vor gut 200 Jahren war der Ötztaler Flachs sogar an der Hamburger Börse notiert. Erst im 20. Jahrhundert ging es mit dieser reichen landwirtschaftlichen Tradition zu Ende. Während man dann drunten im Tal dem Etappenziel der Ötztaler Ache entlang entgegenstrebt (nun ganz gemütlich), wird einem bewusst, dass Längenfelds größter Schatz von heute (wie es sich ja eigentlich gehört) unter der Erde schlummert. Und zwar 1800 Meter tief: Die Heilkraft des schwefelhaltigen Wassers erkannten die Einheimischen schon sehr früh.  Die wohltuende Wirkung des „Bauernbadls“ sprach sich schnell herum, auch wenn in alter Zeit von Komfort noch keine Rede sein konnte.

LOBLIED AUFS BAUERNBADL. 1830 nahm es ein Professor Karpe erstmals wissenschaftlich unter die Lupe. Und adelte es gewissermaßen: „Bei Längenfeld im Ötztal quillt ein mit schwefeligem Wasserstoffgas geschwängertes Wasser, welches wohl das reinste unter den bisher bekannten Quellen sein dürfte.“ Von einem eigentlichen Kurbetrieb kann man allerdings erst seit 1893 reden, als das vom Berliner Architekten Wilhelm Walter (er konzipierte auch die  Karlsruher Oberpostdirektion und das Haupttelegrafenamt in der deutschen Hauptstadt) geplante Kurbad eröffnen konnte. Allerdings hatte ein Entwässerungsprojekt im Ötztal rund 70 Jahre später fatale Folgen: Die Heilquelle versiegte. Das Kurbad wurde geschlossen und 1980 sogar abgerissen. Seit 2004 lebt die Badetradition in Längenfeld aber wieder: Der Aqua Dome ist daher auch ein idealer Ort, um diese Wanderung wohltuend und entspannend ausklingen zu lassen.

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