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„Es sind das die ersten Musterprozesse“

Corona-Management im Oberland: Amtshaftungsklagen des VSV – Sammelklage in Vorbereitung – „Runder Tisch“ angeregt

Mittlerweile beschäftigen sich einige Justizbehörden mit dem Corona-Management im Oberland. Vergangene Woche wurden z.B. vom Verbraucherschutzverein vier Amtshaftungsklagen eingebracht.
28. September 2020 | von Daniel Haueis
„Es sind das die ersten Musterprozesse“
Ischgl am 12. März. Fast drei Viertel der 6000 Menschen, die dem VSV in Zusammenhang mit Corona ihre Fälle geschildert haben, waren dort. Foto: zeitungsfoto.at
Von Daniel Haueis

Der Verbraucherschutzverein VSV von Dr. Peter Kolba hat die Daten und Schilderungen von 6170 Menschen aus 45 Staaten gesammelt, die großteils im Bezirk Landeck von „Corona“ betroffen waren: 73% waren im Februar/März in Ischgl, 1,8% im restlichen Paznaun, 10,5% in St. Anton, 4,2% in Sölden und 3,4% im Zillertal. 80% von ihnen waren mit dem Coronavirus infiziert, 109 mussten stationär behandelt werden, 42 auf der Intensivstation, 32 sind verstorben. „Die Tiroler Behörden haben – wider besseres Wissen und getrieben durch die Tourismusindustrie – Touristen zu spät gewarnt, Lokale zu spät geschlossen und die Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton zu spät verhängt“, fasst der Blogger und Journalist Dr. Sebastian Reinfeldt seine Recherchen, auf deren Basis der VSV agiert, zusammen. Der Verbraucherschutzverein hat bereits am 24. März eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingebracht, rund 1000 der von Corona Betroffenen haben sich als Privatbeteiligte angeschlossen. Eine zweite Strafanzeige ging an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien und wurde nach Tirol abgetreten.

FÄLLE. Der VSV hat nun zudem Klagen beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebracht, konkret eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich in vier Fällen. Und er arbeitet an einer Sammelklage. Der geltend gemachte Schadenersatz beläuft sich auf 12.000 bis 100.000 Euro (Todesfall). Ein Fall betrifft einen österreichischen Journalisten, der sich nach einem Ski-Ausflug nach Ischgl (ohne Besuch von Après-Ski-Bars) angeblich bei der Abreise im Bus infiziert hat und nach Wochen auf der Intensivstation verstorben ist. Ein Skitourist aus Deutschland hatte nach dem Aufenthalt in Ischgl lange Zeit mit Lungenentzündung auf der Intensivstation gelegen und müsse mit Folgeschäden rechnen. Eine Klage betrifft einen Handelsvertreter für Skimode, der am 12. März nur seine Geschäftspartner im Paznaun besucht habe, in keiner Gondel und keiner Après-Ski-Bar gewesen, ohne Übernachtung wieder nach Deutschland gefahren und dennoch schwer an Covid-19 erkrankt sei.

SAMMELKLAGE? „Es sind das die ersten Musterprozesse rund um schwere Fehler der lokalen Behörden in Tirol und der verantwortlichen Politiker auf Bundesebene beim Pandemie-Management in den Tiroler Skigebieten in den Monaten Februar und März 2020“, sagt Kolba über die vier Amtshaftungsklagen. Touristen hätten den Aufenthalt im Oberland teilweise mit wochenlanger Heimquarantäne, schweren Symptomen und Todesangst, Wochen auf der Intensivstation oder gar dem Leben bezahlt. Die Bundesregierung und insbesondere Gesundheitsminister Anschober hätten laut VSV erkennen müssen, wie in Tirol schwerste Fehler gemacht worden seien und hätten durch Weisungen oder Erlässe eingreifen sollen. Und Bundeskanzler Kurz habe das Abreisemanagement am 13. März im Paznaun ins Chaos gestürzt, als er nachmittags Maßnahmen der Verordnung verkündet habe, die noch nicht in Kraft war. Der Obmann des Verbraucherschutzvereins konzentriert sich nun „darauf, in Musterprozessen in Wien – und damit abseits von Tiroler Netzwerken – die Verantwortung festzumachen und Schadenersatz für Opfer durchzusetzen.“ Es gibt Deckungszusagen von in- und ausländischen Rechtsschutzversicherungen, weiß Kolba. Da in vielen Fällen keine Rechtsschutzversicherung besteht, strebt Kolba eine oder mehrere Sammelklagen nach österreichischem Recht an – der VSV ist mit einigen Prozessfinanzierern in Kontakt.

RUNDER TISCH. Bei den Musterprozessen werde es im Frühjahr 2021 erste mündliche Verhandlungen geben. Mit erstinstanzlichen Urteilen sei je nach Verfahrensverlauf in ein bis zwei Jahren zu rechnen. Bei Sammelklagen vergehen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis ein Urteil vorliege, beklagt Kolba. „Wir haben daher heute einen offenen Brief an Bundeskanzler Kurz gerichtet und einen „Runden Tisch“ für eine raschere Lösung vorgeschlagen. Das wäre im Interesse der Geschädigten, aber doch wohl auch im Interesse des Tourismus in Öster-reich, der dadurch unter die Ereignisse einen Schlussstrich ziehen könnte.“ Kolba möchte bei diesem Runden Tisch Entschädigungszusagen erhalten.
 
„Es sind das die ersten Musterprozesse“
Peter Kolba: Ein Journalist habe sich bei der Abreise aus Ischgl im Bus infiziert und ist nach Wochen auf der Intensivstation verstorben. Foto: vki

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