Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Berggeschichte Tour 10 Des einsamen Königs letzter Traum

Eine Wanderung von Vils über die Salober Alm zum Falkenstein

„Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Vor allem in den Bergen. Die RUNDSCHAU war nun wieder für ihre Leser unterwegs – und traf dabei auf alte Grenzen, Traum-Schlösser und eine Tragödie um einen Pfarrer.
3. August 2020 | von von Jürgen Gerrmann
Ein schmaler, aber wunderschöner Pfad markiert auf dem Zirmgrat auch die Grenze zwischen Österreich und Deutschland.    RS-Foto: Gerrmann
von Jürgen Gerrmann

Es muss nicht immer das Hochgebirge sein. Auch in gemäßigteren Höhen kann man im Außerfern viele schöne Wanderungen unternehmen. Und auch geschichtsträchtige. Ein tolles Beispiel ist die heutige Tour von Vils über den Zirmgrat zum Falkenstein. Schon 60 Höhenmeter über dem Talgrund vermag man dabei in die Welt des Mittelalters einzutauchen. Die Burgruine Vils ist zwar auch vom Tal aus gut zu erkennen, aber von ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung für Zeitgenossen jenseits der Grenzen der kleinen (und – noch – einzigen) Stadt im Außerfern doch eher unbekannt. Vor ziemlich genau 800 Jahren wurde die Burg Vilsegg erbaut, und auch wenn nach dem Erdbeben von 1939 nicht mehr so viel steht wie zuvor, halten Experten die Anlage doch für eines der wichtigsten Beispiele staufischer Baukunst in Tirol. Einst residierten dort die Freiherren von Hohenegg, deren eigentlicher Stammsitz bei Ebratshofen im Westallgäu lag. Sie hatten Vilsegg vom Stift Kempten als Lehen erhalten und verteidigten die Burg auch, als Graf Meinhard II. von Tirol danach greifen wollte, erfolgreich (bei der nahen Höhlenburg Schloss Loch bei Pinswang gelang ihnen dies nicht).

PPFARREI UND OCHSE BLIEBEN. Obwohl die am Ende beiden Geschlechter der Hohenegger  schon Jahrhunderte ausgestorben sind (das eine 1594, das andere 1671), so haben sie in Vils doch deutliche Spuren hinterlassen – durch die von ihnen gegründete Pfarrei und auch durch den Ochsen im Stadtwappen, der auf sie zurückgeht.
„Saluber“ – das bedeutet wiederum im Lateinischen „gesund, stark, heilsam, schön“. Und wer sich fragt, woher denn der aufs erste Hinhören fremde Namen der Alm stammt, die man nach einer guten Stunde erreicht, der findet hier eine mögliche (und höchst wahrscheinliche) Antwort. Auf 1150 Metern Höhe erwartet einen auf jeden Fall ein wunderschöner Platz, der mit seinem herrlichen Ausblick auf den Aggenstein und das Füssener Jöchl (oder nur ein paar Meter entfernt auf den Alatsee) und mit der Gastfreundschaft des Teams um Älpler Markus Müller das Herz erfreut und damit ganz gewiss auch der Gesundheit guttut. Übrigens: Wer es ab hier nur gemütlich angehen lassen möchte, der kann auch einfach den Rundweg zum Vierseenblick machen, dort außer dem Alat-  noch Forggen-, Hopfen-  und Weißensee zu seinen Füßen liegen haben und danach wieder auf dem Hinweg oder über die Variante Alatsee zurück nach Vils.

ZWEI BEINE, ZWEI LÄNDER. Wer aber genügend Zeit und Kondition hat, der sollte auf jeden Fall noch den Anstieg zum Zirmgrat auf sich nehmen. Erstens kommt es auf die zusätzlichen 150 Höhenmeter wahrlich nicht an, und zweitens warten dort vielerlei Eindrücke auf einen: Zum Beispiel, dass man über weite Strecken mit den einen Bein in Österreich und mit dem anderen in Deutschland unterwegs ist.
Wer sich für Geschichte interessiert, der wird begeistert davon sein, wie liebevoll die alten Grenzsteine restauriert wurden. Auf vielen ist die Jahreszahl 1773 und die entsprechende Grenzsteinnummer eingemeißelt. Aber was war in diesem Jahr? Nun, da verständigten sich das Hochstift Augsburg (zu dem damals Füssen gehörte) und Österreich (zu dem schon zu dieser Zeit Vils zählte – allerdings nicht zu Tirol!) nach einer gemeinsamen Begehung über den Grenzverlauf. Daher findet man auf der einen Seite das waagrechte Rot-Weiß-Rot Österreichs und auf der anderen das senkrecht geteilte Rot-Weiß des weltlichen Herrschaftsbereichs des Fürstbischofs von Augsburg. 1844 geschah dasselbe nochmals – diesmal waren indes Österreich und Baiern (damals noch mit i statt y) die Partner. Sie schlossen einen „Gränzberichtigungs-Vertrag“ über „die Landesgränze der gefürsteten Grafschaft Tirol und Vorarlberg einerseits und des Königreiches Baiern andererseits“. Und zwar „vom Scheibelberge an der Salzburger Gränze bis an den Bodensee“. Auf den 30. Jänner ist dieses Dokument datiert, und da ist buchstäblich jeder Stein penibel aufgeführt. Nummer 63 findet man zum Beispiel „dem Gebirsgrathe des Zirmberges nach auf dem letzten hohen Kopfe des Zirmgrathes en Falkenstein“. Ergänzung: „Dieser Kopf wird auch Mittagskopf genannt.“ Heute allerdings nicht mehr. Heute findet man einen Zwölfer- und Einerkopf, die später wohl so benannt wurden, weil dort für die Ortschaften Rossmoos und Wiedmar in der Nähe des Weißensees auf bayerischer Seite die Sonne am höchsten stand. Doch nicht nur wegen der geschichtlichen Reminiszenzen ist die Wanderung über den Grat (der zuweilen auch Falkensteinkamm genannt wird) einfach herrlich. Immer wieder wird man wegen der vielen abgestorbenen Bäume, die gleichwohl ein faszinierendes Landschaftsbild zaubern, an nordische Gefilde erinnert. Hetzen sollte man hier auf keinen Fall, sondern immer wieder innehalten und die Aussicht genießen.
„Einfach traumhaft“, denkt man immer wieder. Und damit ist man sich gewiss mit dem wohl nach wie vor beliebtesten Herrscher Bayerns einig: Nein, nicht Franz Josef Strauß. Sondern Ludwig II.

DER GROßE TRÄUMER. Es ist ja schon eine Ironie der Geschichte: so einsam, so verbittert der Monarch zu Lebzeiten war, so unverstanden er sich vor allem von den eigenen Hofschranzen fühlte, so beliebt ist er heute. Unzählige teilen seine Leidenschaft für Träume, die sich bei jedem unterschiedlich ausprägt – bei ihm halt vornehmlich im Bauen. Und während ihm damals Verschwendungssucht vorgeworfen wurde,  kann der bayerische Staat heute mit seinen Schlössern nicht nur die Kosten decken, sondern sogar Gewinn machen. So ändern sich die Zeiten!
Der König  war erst ein Mittdreißiger, als er sich mit seiner letzten Lebensphase beschäftigte. Offenkundig wollte er der Welt entfliehen – allerdings nicht in einem Kloster, sondern in einem eigenen Refugium, das für ihn vermutlich Sterbe-, auf jeden Fall aber Begräbnisplatz werden sollte (ein Mausoleum war vorgesehen). Was diesen Sehnsuchtsort anbelangt, so wollte er den buchstäblich auf dem Werk eines Tirolers aufbauen: Der schon im Zusammenhang mit Burg Vilsegg erwähnte Graf Meinhard II. wollte nämlich seinen Machtanspruch auf das Füssener Land auch baulich im wahrsten Sinne des Wortes untermauern: Er ließ 1270 Burg Falkenstein errichten. Es war auch ein architektonisches Statement: 400 Meter über dem Tal zeigte es weithin sichtbar, wer die Umgebung beherrschen wollte. Allerdings verlor der Herr Graf schnell die Lust daran. Das Ziel war nicht erreicht, das Gemäuer nutzte ihm nichts, es war zu teuer, daher verpfändete er die Burg an den damaligen Ausburger Bischof Wolfhard von Roth. Drei Jahre vor seinem Tod hatte sich Ludwig entschieden, hier auf 1277 Metern Höhe seinen Lebensabend verbringen zu wollen. Die ersten Entwürfe zeichnete (wie beim nahen Neuschwanstein) ein Bayreuther Bühnenbildmaler: Christian Jank ließ sich von seiner Fantasie derart hinreißen, dass demgegenüber das heute weltbekannte Märchenschloss fast wie eine armselige Hütte ausgesehen hätte. Die Sache scheiterte schon allein am Platz: Meinhard musste sechs Jahrhunderte zuvor mit 15 Metern Länge und 8,5 Metern Breite auskommen. Da ließ sich ein solches Raumprogramm nie und nimmer unterbringen. Der nächstfolgende Entwurf des Architekten Georg von Dollmann erboste den „Kini“: Der wollte ihn doch glatt in einer Art englischem Herrenhaus unterbringen! Und Variante 3 des Oberbaurats Max Schultze verhinderten dann Abdankung und Tod Ludwigs.
Direkt unterhalb der heutigen Ruine befindet sich ein spirituell interessanter Ort: 1858 erschien (so der päpstlich anerkannte Glaube) der 14-jährigen Bernadette Soubirous  die Mutter Gottes. Das ergriff später auch den Pfrontener Pfarrer Josef Anton Stach so, dass er „bestimmte“, unterm Falkenstein eine Mariengrotte zu errichten. Sein großer Tag wurde allerdings auch zu seinem letzten: Als die von ihm bestellte Marienstatue des München lebenden Bildhauers Theodor Haf (einem gebürtigen Pfrontener) am 3. September 1889 eintraf, stürzte er am Aggenstein genau gegenüber ab. Und war tot.
Auch auf dem Rückweg nach Vils gibt es noch viel zu entdecken: das angeblich keltische Baumhoroskop an der Vils, die industriegeschichtlich hochinteressante Hammerschmiede oder das romantische Annakirchlein gleich nebenan. Und zu einer Wanderung  gehört eigentlich untrennbar auch eine zünftige Schlusseinkehr dazu.
DIE SACHE MIT MAURA. Und die kann man in Vils in einem Traditionsgasthaus genießen: dem „Schwarzen Adler“, dessen Geschichte  bis in Jahr 1711 zurück reicht: Damals wurde das „Fürstl-Haus“ ein  Wirtshaus mit eigener Brauerei. Allerdings an einem anderen Standort. 1816 verlegte Maura Gebhardin, die den Chirurgen Stadelmayer geehelicht hatte, den „Adler“ auf das Terrain ihres Krautgartens am unteren Stadttor. Daher rührt der immer noch gebräuchliche Hausname „Maura“. Dort steht der „Schwarze Adler“ heute noch. Und bietet nach wie vor typisch Tiroler Gastlichkeit.

STRECKEN-STENOGRAMM. Start: Parkplatz am Sportplatz Vils, Ziel: wie Start oder Bahnhof Pfronten-Steinach, Länge: gut 10 Kilometer bis zum Bahnhof Steinach, fünf mehr bis Vils, Dauer: gut 5 Stunden bis Steinach, 1,5 mehr hinunter nach Vils, Höhenunterschied: 800 Meter bergauf, 740 Meter bergab, Tipp: Wer den „Hatsch“ entlang der Vils nicht  auf sich nehmen will, kann die Bahnverbindung Pfronten-Steinach nutzen (letzte Fahrt Richtung Vils/Reutte zurzeit: 20.31 Uhr).

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