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Der Drache, der Stab und die Mathematik

Die Kapelle von Ehenbichl ist dem Heiligen Magnus geweiht

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht es nach Ehenbichl.
27. September 2021 | von Jürgen Gerrmann
Der Stab des ersten Abtes des Klosters in Füssen ist in der Magnuskapelle in Ehenbichl ein wichtiges "Erkennungszeichen" des Namensgebers. Dem Original wurde über Jahrhunderte hinweg eine große Wunderwirkung nachgesagt. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Wenn man auf die Skulptur auf dem Altar von Sankt Magnus in Ehenbichl schaut, dann fällt einem im ersten Moment auf, was nicht da ist: Der Drache fehlt. Denn der ist eigentlich der treue Begleiter des Heiligen, dessen Name die im Jahr 1635, als die Pest im Außerfern so furchtbar wütete, erbaute Kapelle heute trägt – in früheren Jahren war sie dem Heiligen Sebastian geweiht, den man bei der Bedrohung durch diese furchtbare Krankheit, oft anrief. Ihn findet man auch noch links am Altar aus dem Jahr 1690, den rechts auch noch sein  Mitstreiter beim Kampf gegen die Pest ziert: der Heilige Rochus.

„APOSTEL DES ALLGÄU“.
Den Lindwurm soll „Sankt Mang“, wie er oft auch genannt wird, übrigens bei Roßhaupten zur Strecke gebracht haben, bevor er auch noch die Berg- und Flussgeister in „Fauces“ zur Strecke brachte: Der lateinische Name bedeutet übrigens „Rachen, Schlund“. Auf den „Lechschlund“ führt die Stadt Füssen ihren Namen zurück. Dort soll der irisch-schottische Mönch, der aus St. Gallen über Bregenz und Oberschwaben ins Allgäu gekommen war, seine Zelle gegründet haben. Als „Apostel des Allgäu“ wird er denn auch oft tituliert. Und steht wie seine „Kollegen“ Columban und Gallus in dieser Region (einschließlich des Außerfern) hoch im Kurs.
Nicht zuletzt wegen der Schilderungen in seiner ersten Biografie, der Vita Sancti Magni, die ein anonymer Autor 895 verfasste. Also rund eineinhalb Jahrhunderte, nachdem der Heilige gewirkt hatte, der 772 das Zeitliche gesegnet haben soll. Ein Augenzeuge kann sein Biograph mithin nicht gewesen sein. Und so wird seine Version denn auch eher unter Legende und nicht als Tatsachenbericht einsortiert. Dorothea Walz zweifelte 1989 in ihrem Buch „Auf den Spuren der Meister“ sogar seine Herkunft aus der Ferne an: „Das einzig Sichere ist, dass er gelebt hat. Vermutlich war er ein einheimischer Einsiedler der Füssener Gegend, der irgendwann an einem 6. September wohl im 8. Jahrhundert gestorben ist.“ Eventuell sogar ein Außerferner? Stefan Vatter wiederum wollte ihm rund zwei Jahrzehnte später in seiner Arbeit seine iro-schottischen Wurzeln und seine Sendung aus der heutigen Schweiz nicht nehmen.

EIN MYTHOS.
Geheimnisumwittert ist der gute Magnus also. Aber so etwas ist ja oft der Popularität mehr zu- als abträglich. Und so ist Magnus im Allgäu und im Außerfern zum Mythos avanciert. Schon die oben erwähnte erste Biografie war tief in der Mystik verhaftet und schon im formalen Aufbau regelrecht durchkomponiert. Mathematiker vermögen heute noch ihre helle Freude daran zu haben: Die Vita Sancti Magni hatte nämlich genau 28 Kapitel. Für uns heute mag das nicht weiter erwähnenswert sein, im Mittelalter aber durchaus. Die 28 galt da nämlich als „vollkommene Zahl“. Warum? Wenn man all ihre Teiler addiert, kommt die Zahl wieder selbst heraus  - hier also 1,2,4,7 und 14.
Diese Perfektion besitzt zuvor nur die 6 – und danach erst wieder die 496. 25 dieser 28 Abschnitte widmeten sich übrigens dem irdischen Leben Magnus'. Und auf die Quadratzahl kommt man, wenn man die Quadratzahlen 16 und 9 addiert. 16 Kapitel der Viota befassen sich daher mit der Jugend und Ausbildung des „irischen Prinzen“, die restlichen neun mit seinem Wirken als „vollkommener Meister“.
Unstrittig war Magnus Benediktiner, und daher wird er natürlich auch in diesem Orden besonders verehrt. Aber er scheint auch den einfachen Menschen im Alpenraum nahe gewesen zu sein, rief man ihn doch als Nothelfer gegen Mäuse-, Raupen- und Engerlingplagen an.
Dass der Drache in Ehenbichl nur auf einem Gemälde an der Seitenwand auftaucht, am Hauptaltar aber der  Stab des (ersten) Abtes von St. Mang in Füssen dominiert, dürfte vielleicht auch damit zu erklären sein. Denn ihm wurden bei der gerade für Bauern wichtigen Schädlingsbekämpfung eine große Wunderkraft zugesprochen – nicht zuletzt in der Zeit, als die Ehenbichler Kapelle erbaut wurde.
Die Zeremonie leitete dabei gemeinhin der Kustos (also der Hüter der Kirchenschätze) vom Füssener Kloster. Der ritt zu dem Ort, wo man ihn um Hilfe gebeten hatte, ließ sich durch die Flur führen, steckte den Magnusstab an vier Stellen in den Boden, sang den Beginn des Evangeliums, verlas den Exorzismus und segnete die Flur. Etwa einen halben Tag dauerte das. Acht Jahre nach dem Bau der Ehenbichler Kapelle schwärmte ein Füssener Pater von riesigen Erfolgen, die man damit sogar in Südtirol erzielt hatte: „Wo des Heiligen Stab unter Anrufung des frommen Abtes“ (das war damals Martin Stempfle) „hinkam, blieben die Trauben sieben Jahre vom Schimmel verschont, und wo man ihn unter Gebeten segnend über die Felder trug, mussten alle Schädlinge weichen.“ Im Zeitalter der Aufklärung wurde dies freilich als kompletter Mumpitz abgetan, nach der Säkularisation 1804 vom bayerischen Staat verboten und Magnus Abtsstab sogar beschlagnahmt. 1822 gab man ihn indes wieder zurück, und noch heute trägt man ihm am Dienstag nach Pfingsten und am Magnustag (dem 6. September) durch die Stadt. Der Volksmund sagt zu diesem Gedenktag übrigens auch „Abfrasstag“, weil Magnus das Abfressen der Früchte der Felder verhindern sollte.
Der Drache gesellte sich übrigens als Attribut erst spät zum guten Magnus. Erst in der Gegenreformation  rückte er ins Zentrum – als Symbol für Heiden und Häretiker, unter die natürlich auch die Mitglieder der noch jungen evangelischen Kirche einsortiert wurden. Dass die entstand, hängt ja ganz eng mit dem Ablasshandel zusammen, der Martin Luther im späten Mittelalter so erboste. Und auch in dieser Richtung hat die Ehenbichler Kapelle etwas Besonderes zu bieten: Ein Ablasskreuz hängt dort noch heute an der Wand. Um die Tage im Fegefeuer zu verkürzen, muss(te) man dort indes nichts bezahlen, es reicht(e) zu beten. „Jedes beliebige Gebet vor dem Kreuze“ verringerte die Strafe im Jenseits um 100 Tage, „wer drei Vaterunser, Ave Maria und Ehre sei Gott dem Vater et cetera zu Ehren des dreistündigen Todeskampfes Christi betet“, der sollte gar mit fünf Jahren weniger davon kommen, und wer diese Übung jeden Monat „wenigstens dreimal verrichtet, gewinnt im Monat Dezember an einem beliebigen Tage unter den gewohnten Bedingungen“ gar einen Nachlass von zehn Jahren.
Wieviel Ehenbichler im Lauf der Jahrhunderte wohl hofften, dadurch ihre Sündenstrafen zu verkürzen?        

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