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Großer Andrang auf Beratungsstellen

In Krisensituationen – wie der Corona-Pandemie – brechen oft auch alte Wunden wieder auf

Wir erleben gerade den zweiten Lockdown, der uns allen viel abverlangt. Immer mehr treten jetzt auch psychische Probleme auf, die die Betroffenen schwer belasten. „BASIS“ ist hier eine wichtige Anlaufstelle, an die sich Ratsuchende wenden können. Evelyn Mages ist Geschäftsführerin und Beraterin von „BASIS“ in Reutte. Die RUNDSCHAU hat mit ihr gesprochen.
16. November 2020 | von Sabine Schretter
Großer Andrang auf Beratungsstellen
Claudia Henn-Meßmer – Beratung (Bildungswissenschaftlerin, Lebens- und Sozialberaterin), Gabriele Schick – Beratung (Psychotherapeutin, Lebens- und Sozialberaterin), und Evelyn Mages – Geschäftsführung und Beratung (Lebens-, Paar- und Familienberaterin), Hemma Meßner – Beratung(Juristin, Lebens-, Paar und Familienberaterin) (v.l.). Neu im Team und nicht im Bild: Livia Buchegger – Beratung (Psychologin, systemische Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision). Foto: BASIS
Von Sabine Schretter.
Als die Coronapandemie im März Tirol und damit dann auch den Bezirk Reutte erfasste, wurden die Beratungen bei „BASIS“ sofort auf telefonische Beratung umgestellt. Auf laufende Beratungen hatte das keine besondere Auswirkung, das Angebot wurde gern angenommen. Bei neuen Beratungen sei hingegen eher ein Rückgang zu bemerken gewesen, berichtet Evelyn Mages dazu. „Wenn es sehr schwerwiegende Probleme waren, die einen raschen Handlungsbedarf erforderten, wurde die telefonische Beratung natürlich schon in Anspruch genommen. Zusätzlich zum Telefonat machten wir Beratungen auch über Zoom. Der wirklich große Andrang kam dann zeitversetzt im Mai“, führt sie weiter aus. Mit den Lockerungen der strengen Maßnahmen ging es auch bei „BASIS“ so richtig los, das zog sich bis über den Sommer – ein Zeitraum, in dem es in anderen Jahren eher ruhiger war.

Systemrelevant.
Während der Coronakrise sind es vor allem Frauen, die einer Mehrfachbelastung ausgesetzt sind. Sie müssen Haushalt, Beruf, Homeoffice, Familien- und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen. „Frauen sind in diesen Zeiten voll ausgelastet und haben kaum Zeit, auch auf sich zu schauen. Zwar bringen sich auch Männer mehr ein und unterstützen, dennoch bleibt die Hauptlast an den Frauen hängen“, erklärt die „BASIS“-Beraterin. Ist dann die Krise fürs Erste bewältigt und zeigt sich eine Entspannung, haben Frauen Zeit, sich mehr um sich zu kümmern. Dann werden Probleme bewusst und sichtbar. Hilfe bei einer Beratungsstelle wird also eher nach einer Krise, weniger während der Akutphase gesucht. „Wenn sich natürlich ein sehr massiver Konflikt auftut, suchen Frauen sofort Rat. Die Tendenz ist aber eher die, erst in der Entspannung Unterstützung in Anspruch zu nehmen“, stellt Evelyn Mages klar.
Eines hat sich jetzt im zweiten, derzeit noch leichteren Lockdown geändert. Beratungsstellen gelten jetzt als systemrelevant. Jetzt dürfen neben telefonischen auch persönliche Beratungen angeboten und durchgeführt werden. „Wenn eine Beratung nach 20 Uhr stattfindet bzw. länger als bis 20 Uhr dauert, stellen wir eine Bestätigung aus. Wir müssen uns dann nicht an die Ausgangssperre halten“, heißt es von „BASIS“. Selbstverständlich werden alle vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen – Plexiglasscheibe, Mund-Nasenschutz, Abstandshaltung, Handhygiene – eingehalten. „Wir ersuchen alle Ratsuchenden um eine telefonische Terminvereinbarung. So können wir ein Aufeinandertreffen im Wartebereich verhindern und Begegnungen vermeiden.“

Persönlich vor telefonisch.
Die Antwort auf die Frage, was mehr in Anspruch genommen wird, das persönliche Gespräch oder die Beratung am Telefon bzw. über Zoom, findet Evelyn Mages sehr schnell: „Gerade jetzt, während der Pandemie, scheint vielen das persönliche Gespräch sehr wichtig. Vor allem vielen junge Leute zeigen einen starken direkten Geprächsbedarf. Wenn man angehalten ist, Distanz einzuhalten und soziale Kontakte stark zu reduzieren, vermisst man Nähe. Wir können bei unseren Beratungen auch niemanden physisch in den Arm nehmen, aber wir können das ,metaphorisch’ tun. Das ist vielen Ratsuchenden sehr wichtig. Isolation ist generell ein sehr großes Thema. Viele haben Angst davor. Oft kommt dazu, dass man zu Hause am Telefon nicht ungestört und frei reden kann. Gerade dieses Sich-etwas-von-der-Seele-reden ist aber wichtig, darum wird das persönliche Gespräch gesucht.“

Flashbacks.
Noch etwas zeigt sich gerade jetzt häufig: Personen, die in der Vergangenheit Gewalterfahrungen machten, erleben jetzt oft Retraumatisierungen. Häufig brechen alte Wunden wieder auf, kommen alte Geschichten zum Vorschein. „Ich denke, das hängt damit zusammen, dass in einer Krise mit massiven Einschränkungen persönliche Spielräume enger werden. Enge produziert Reibungen, man stößt dadurch an seine Grenzen und erlebt sogenannte Flashbacks, also plötzliche Rückblenden in eine Bedrohungssituation“, erläutert Evelyn Mages diese Thematik. Es zeigt sich aber auch, dass man als Erkenntnis aus dem ersten Lockdown im Frühling gelernt hat, dazu Strategien entwickelt hat, wie man mit solchen Situationen besser umgehen kann. „Man sucht schon früher Hilfe, lässt es gar nicht mehr so weit kommen. Es gibt zwar kein Patentrezept, aber es hilft schon sehr, wenn man es schafft, eine schwierigen Prozess zu unterbrechen“, ergänzt Mages.


Angst und Isolation. 
Man hat es derzeit oft mit „neuen“ Konflikten zu tun. Die Beraterinnen bei „BASIS“ bermerken seit Ausbruch der Corona-Pandemie eine stärkere Überreiztheit bei den Menschen, auch mehr Aggression. Viele Ratsuchende leiden an Ängsten, oft auch Existenzängsten. Evelyn Mages sagt. „Ganz oft höre ich die Frage: ,Was tue ich, wenn ich meine Arbeit verliere, nicht mehr in meinen Beruf zurückkann’?“ Eine möglicherweise notwendige berufliche Umorientierung löst Ängste aus. Viele Konflikte enstehen rund um die Partnerschaft, die in der Krise bisher unbekannten Belas-tungen ausgesetzt ist. Schule und Homeschooling werden von Frauen als sehr große Herausforderung empfunden. „Sehr oft steht das Thema Isolation im Mittelpunkt. Angst vor dem Alleinsein trifft nicht nur ältere Menschen, auch viele jüngere, die oft wochenlang im Home-Office arbeiten, sind damit konfrontiert“, so Mages, die anfügt: „Bei uns im Außerfern kommen Anfragen auch aus den kleinsten Strukturen und aus allen sozialen Schichten und allen Bildungsschichten. Gerade für Personen, die einen weiteren Weg haben, sind die telefonische Beratung und die Beratung über Zoom ein sehr hilfreiches Angebot. Bei „BASIS“ ist man bemüht, bei Anfragen so schnell wie möglich einen Termin für ein Erstgespräch zu finden. Wenn notwendig, sind die Beraterinnen auch bei der Vermittelung an andere Einrichtungen bzw. einer Terminvereinbarung behilflich. Wenn die Kapazitäten knapp werden, kann es für das Zweitgespräch zu einer längeren Wartezeit (ca. zwei Wochen) kommen. „Wir verstehen uns auch als Informtationsdrehscheibe. Bei spezifischen Anfragen stellen wir den Kontakt zur damit befassten Stelle her“, sagt Evelyn Mages dazu.
Ihr persönlicher Tipp, um gut durch die Krise zu kommen: „Es gibt kein Patentrezept. Sehr wichtig ist es aber, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen, sie zu spüren und zuzulassen, auch zu kontrollieren. Den Tag strukturieren und nicht in Resignation und Gleichgültigkeit abgleiten. Sich was Gutes tun – rausgehen, ein Bad nehmen, eine Tasse Tee trinken usw... Wichtig ist, miteinander zu reden – ohne gegenseitige Schuldzuweisungen.

Kontakt.
„BASIS“ – Frauen- und Familienberatung Außerfern, Planseestraße 6, 6600 Reutte. Tel. 05672 72 604. E-Mail: office@basis-beratung.net. Website: www.basis-beratung.net
 

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