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Im Sommer nach Italien, im Winter ins Ötztal?

25. Feber 2020 | von Nina Zacke
Im Sommer nach Italien, im Winter ins Ötztal?
Eine Detailuntersuchung zum Verkehr über den Fernpass soll Entscheidungshilfe dazu liefern, ob die heiß diskutierten Tunnels am Fernpass und am Tschirgant überhaupt etwas zur Behebung der Misere beitragen können: Hier interviewen Stefan Lieblinger und Martin Rinofner von der Firma Trafility einen Lkw-Fahrer, der mehrmals täglich zwischen den Bezirken Landeck und Imst unterwegs ist.RS-Foto: Gerrmann

Die Verkehrsbefragungen am Fernpass sind abgeschlossen: erste Tendenzen


Kommt der Tschirgant-Tunnel oder kommt er nicht? Zumindest offiziell ist das noch völlig offen. Die ASFINAG, die ihn ja bauen müsste, möchte zunächst einmal gesicherte Daten auf dem Tisch liegen haben. Am Dienstag vergangener Woche gab es daher eine intensive Winter-Verkehrsbefragung auf der B179 kurz hinter der Zählstelle am Fernsteinsee. Die RUNDSCHAU war dabei.

Von Jürgen Gerrmann

„Verkehrskontrolle“, denken da wohl im ersten Moment viele. Eine Polizistin und ein Polizist winken die Autofahrer nämlich hinaus auf die Parkplätze in Fahrtrichtung Nassereith beziehungsweise Reutte.
Doch potentielle Verkehrssünder können aufatmen: Ihnen widmet sich lediglich ein zwölfköpfiges Team der Grazer Firma Trafility mit Stefan Lieblinger an der Spitze. Und die sechs in jeder Fahrtrichtung interessieren sich nicht für die Führerscheine, die manche Lenker schon pflichtschuldigst gezückt haben. Sie wollen nur den Verkehrsströmen auf den Grund gehen.
Warum aber geschieht das ausgerechnet an einem Dienstag? „Für die Statistiker sind Dienstag, Mittwoch und Donnerstag die aussagekräftigsten Tage“, sagt Lieblinger. Montags und freitags seien viele Langfrist-Pendler auf dem Weg zur oder heim von der Arbeit. Das verfälsche ein Normalergebnis etwas.
„Befragung VU Tschirganttunnel“, steht ganz oben auf den Datenblättern, auf denen dann drei Ergebnisse Platz haben. Martin Rinofner, einer aus dem Interview-Team, den die RUNDSCHAU bei seiner Arbeit begleitet, muss dann noch rechts oben die Uhrzeit eintragen. Das Datum ist schon eingedruckt.
WAS ALLES GEFRAGT WIRD.

Der Titel des Datenblatts führt etwas in die Irre. Denn es geht vornehmlich nicht um die Frage, ob der Tschirganttunnel und eventuell auch der Fernpassscheiteltunnel gebaut werden sollen, unterstreicht Jana Mayr, die zuständige Projektleiterin bei der ASFINAG. Man will einfach mal verlässliche Daten über die Ist-Situation: „Wir erheben den Verkehr nun mal großräumig und halten nur den realen Zustand fest.“
Das Erste, das Martin Rinofner dann, nachdem er die Frauen und Männer am Steuer befragt hat, ob sie zum Mitmachen bereit sind, auf seinem Formular einträgt, ist eine Ziffer: Die 1 steht für einen Pkw (da zählen allerdings auch Wohnmobile und Lieferwagen bis 3,5 Tonnen dazu), die 2 für Lkw ohne Anhänger, zweiachsige Busse und große „Wohnmobilkisten“, die 3 für Lkw mit Anhänger, Sattelzüge und Busse mit mehr als drei Achsen, die 4 für Motorräder und die 5 für „Sonderfahrzeuge“. Was darunter zu verstehen ist? „Schneeräumer oder Baufahrzeuge“, erklärt der Interviewer. Während wir ihn begleiten, dominieren übrigens die Ziffern 1 bis 3 eindeutig.

DIE URSACHEN DER FAHRTEN.

In der nächsten Rubrik wird das Nationalitätenkennzeichen notiert. Bei A oder D wird dann jeweils noch der österreichische Bezirk beziehungsweise der deutsche Landkreis hinzugefügt, um die Verkehrsströme noch besser analysieren zu können. Und die Befrager schreiben auch auf, wie viel Personen sich im Fahrzeug befinden.
Wichtig sind auch Start und Ziel der jeweiligen Fahrt. Und auch deren Anlass: Will jemand zu seiner Wohnung, zur Arbeit? Fährt er oder sie zum Einkaufen oder kommt er gerade vom Supermarkt? Handelt es sich um An- oder Abreise zu einem geschäftlichen Termin? Oder geht es zur Schule oder dem Ausbildungsplatz? Macht man einen Ausflug zu einer Freizeitaktivität? Oder möchte man zu seinem Urlaubsziel beziehungsweise von dort wieder nach Hause? Beim Güterverkehr wird dann noch eruiert, ob die Lastwagen beladen oder leer sind. Das ermöglicht es in der Endauswertung, die Verkehrsströme genauer aufzuschlüsseln.
Wie bei der Sommerbefragung am 10. September möchte man dann auch noch herausfinden, warum sich die Auto- oder Lkw-Fahrer gerade für die Fernpassroute (beziehungsweise für die Variante Seefeld, wo auch befragt wurde) entschieden hat. Bei Nassereith klar an der Spitze: „Weil es die einzige ist.“ Am zweithäufigsten hört Martin Rinofner indes: „Das Navi hat mich so geschickt, ich hab nicht groß nachgedacht.“ Und Stefan Lieblinger nennt die dritthäufigste Sommer-Antwort: „Weil es die schönste Strecke ist.“

12-STUNDEN-AKTION.

Von morgens um 7 bis abends um 7 ist das Trafility-Team auch an diesem Tag im Einsatz. Da kommt schon einiges an Daten zusammen. Zählen müssen die Interviewer übrigens nicht: Das geschieht ja in der Kurve nahe des Fernsteinsees ohnehin täglich automatisch.
Die Datenblätter vom Fernpass werden danach von den Experten des österreichweit tätigen Verkehrsplanungsbüros in Graz genau unter die Lupe genommen. Die erstellen Tabellen, werten die Erkenntnisse aus und schicken die Resultate dann an die ASFINAG. Die kann und muss dann entscheiden, wie es nun weitergeht: Lassen die Ergebnisse der Befragung vermuten, dass das Projekt Tschirganttunnel die von seinen Befürwortern prophezeite Entlastung für das Mieminger Plateau und das Gurgltal bringt? Oder sind die Auswirkungen eher gering? Kann die Röhre diesen Ansturm überhaupt bewältigen?
PROGNOSEN AUF DEM PRÜFSTAND.

Spannend ist für die ASFINAG dabei auch die Antwort auf die Frage, wie sich der Verkehr im Vergleich zu den früheren Prognosen im Zusammenhang mit den 2011 abgebrochenen Planungen für den Tschirganttunel tatsächlich entwickelt hat. Deren Zeithorizont war laut Jana Mayr auf 2025 angelegt. Sie selbst vermutet, dass die Blechlawine wesentlich größer geworden ist, als damals vorhergesagt. Aber nun muss erst mal verifiziert werden, ob das auch tatsächlich stimmt.
Viele (gerade im Außerfern, wo während der Hauptsaison kaum ein Durchkommen zwischen Vils und Biberwier ist) fragen sich indes, warum eigentlich nicht an einem Samstag die Verkehrsströme näher untersucht werden. Dagegen hätte wohl vermutlich die Polizei ihr Veto eingelegt. „Das hätte nur noch zusätzlichen Stau erzeugt und wäre nicht vermittelbar gewesen“, glaubt auch Jana Mayr.
Nun werden erst mal die Ergebnisse der Befragungen von Sommer und Winter verglichen. Die Diplom-Ingenieurin könnte sich schon vorstellen, dass da gewisse Unterschiede zutage treten: Der (im Fachdeutsch) „nicht öffentliche Verkehr“ habe in der warmen Jahreszeit wohl eher die Nord-Süd-Richtung (also Richtung Südtirol und Italien) dominiert, im Winter sei nach den ersten Eindrücken eher eine Tendenz in die großen Tiroler Skigebiete zu erkennen.
Und wie geht es jetzt weiter? Jana Mayr: „Wir hatten vor, die Untersuchung im Juni komplett abzuschließen und dann Ergebnisse mit verschiedenen Modellen vorlegen zu können. Die Auswertung des Sommers hat freilich viel länger gedauert, als wir das eigentlich gedacht hatten. Aber ich hoffe dennoch, das wir das termingerecht schaffen.“

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