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„Man könnte noch viel tun“

Lech-Symposium endete mit Exkursion zu Brennpunkten der öffentlichen Debatte

Der „letzte Wilde“ der Nordalpen hat mehr Platz, um sich auszutoben, die Hochwassergefahr im Bezirk Reutte sich massiv verringert, so manche bedrohte Tier- und Pflanzenart zumindest eine Atempause bekommen – die beiden LIFE Lech-Projekte wurden beim Internationalen Symposium vor zwei Wochen im VZ Breitenwang von Experten hoch gelobt. Doch trotz Gesamtinvestitionen von rund 14 Millionen Euro (die Mehrheit davon aus der EU-Kasse) waren nicht alle Außerferner von jedem Projekt begeistert.
4. Oktober 2021 | von Jürgen Gerrmann/Christine Schneider
Der wiedergeborene Wildfluss Lech ist sein Lebenswerk: Wolfgang Klien, der langjährige Leiter des Bau Bezirksamtes Reutte (links), erklärt den Teilnehmern der Exkursion beim internationalen Lech-Symposium, was dabei für Natur- und Hochwasserschutz erreicht wurde.    RS-Foto: Gerrmann
Von Christine Schneider und Jürgen Gerrmann.
Die Organisatoren des Symposiums (über das die RUNDSCHAU in den vergangenen Ausgabe ausführlich berichtete) und dessen wissenschaftlicher Leiter Leopold Füreder vom Institut der Ökologie der Universität Innsbruck packten indes den Stier bei den Hörnern und führten die Fachleute aus dem In- und Ausland zum Abschluss der Tagung zu zwei Brennpunkten des Protestes: An den Forchacher Baggersee und die neue Hängebrücke in der Nähe dieses Ortes. Auf der Fußgängerbrücke beim Weißenbacher Schwimmbad und kurz darauf bei der Abzweigung eines idyllischen Uferpfades wurden freilich erst einmal heftig die Kameras gezückt und Richtung Johannesbrücke gerichtet. „So stellen wir uns das Leitbild einer natürlichen Entwicklung eines Wildflusses vor“, hatte nämlich Reinhard Lentner von der Umweltschutzabteilung des Landes Tirols dort geschwärmt: Der Strom könne ohne Fesseln den Schotter hin- und herschieben, Weiden kämen auf und besiedelten die Kiesbänke, „und dann kommt das nächste Hochwasser und gräbt alles wieder um“.

AM FORCHACHER BAGGERSEE.
Wolfgang Klien, der langjährige Leiter des Baubezirksamts Reutte, war ebenfalls stolz auf das, was in den vergangenen Jahren für die Natur erreicht worden war – auch durch den wieder zum Leben erweckten Koppenbach, der schon früher existierte, aber nach der Anlage des Forchacher Baggersees von der Bildfläche verschwunden war. „Jetzt ist er ein ideales Laichhabitat für die Äsche“, strahlte Leopold Füreder. Dieser Fisch sei früher sehr häufig gewesen, aber mittlerweile zur Seltenheit avanciert. An der Nahrung im Hauptfluss mangle es ihm zwar nicht, aber mit dessen Dynamik komme er eben nur schwer zurecht. In dem neuen Kleingewässer gehe es hingegen gemütlicher zu und das tue der Äsche gut,  ebenso wie der dort reichlich vorhandene Sauerstoff. Lentner wiederum war begeistert, dass es in diesem Flussabschnitt gelungen sei, für den Schotter eine unmittelbare Verbindung vom Hochgebirge über den Bergwald hinab zum Wildfluss zu erhalten. Und das gelte nicht nur für die Steine, sondern auch für die Hirsche, die hier auf ihren Streifzügen keine Straße in Richtung Auwald überqueren müssten. Ja, und dann stand man fast unvermittelt vor dem ersten Stein des Anstosses, dem Forchacher Baggersee, für dessen Erhalt  sich vor zwei Jahren eine Bürgerinitiative mit durchaus starker Resonanz eingesetzt hatte und der bis jetzt noch „überlebt“ hat (für wie lange noch, können indes auch die Expertten nicht sagen). Wolfgang Klien und den anderen Verantwortlichen hatte damals durchaus heftiger Gegenwind ins Gesicht geblasen. Aber er, Füreder und Lentner sind nach wie vor überzeugt, das Richtige getan zu haben. „Dem Fluss Raum zu geben“,  hält letzterer wie eh und je für den richtigen Weg. Ziel des Naturschutzes sei es, möglichst viele Buhnen, die dereinst gebaut worden seien, um die Ufer zu schützen, weg zu bekommen. Dem Baggersee wolle man dabei nicht aktiv ans Leder, sondern nur die Schutzbauten entfernen und dann die Entwicklung dem Fluss überlassen.

EIN NEUER ANSATZPUNKT.
Einen interessanten Aspekt brachte da Andreas von Heßberg von der Uni Bayreuth ins Spiel. Er ist Störungsökologe und damit Repräsentant einer noch eher jungen Fachdisziplin, für die es in Österreich, der Schweiz und Deutschland jeweils nur einen Lehrstuhl gibt. Deren Ansatzpunkt? „In einer dynamischen Landschaft wie dem Lech müssen die Arten angepasst reagieren, was ständige Veränderungen bedeutet. Wir müssen weg vom Schutz einzelner Arten oder Lebensräume – es gilt, die Dynamiken zu schützen, die in der Natur inhärent sind.“ Dann nämlich könnten alle, ob klein oder groß, (über)leben. Das Denken habe sich hier in den vergangenen Jahren geändert: „Weg vom Arten- und Landschaftsschutz hin zum Schutz von Prozessen.“ Am Lech seien Wasser, Geröllgeschiebe und Totholz die dynamischen Hauptfaktoren. Praktiker und die Wissenschaft müssten nun herausfinden, was die ideale Größe für Schutzabschnitte seien. Prinzipiell herrscht da aus Sicht von Wolfgang Klien alles andere als ein Mangel: „Man könnte noch viel tun, Maßnahmen hätten wir genug.“ Zum Beispiel, noch weitere Verbauungen zu entfernen. Und Lentner merkt an: „Wir haben im Moment höchstens ein Drittel von dem erreicht, wo wir eigentlich hinkönnten.“

AN DER NEUEN HÄNGEBRÜCKE.
Füreder wiederum bedauert im Gespräch mit der RUNDSCHAU an der neuen Forchacher Hängebrücke, dass es nicht gelungen sei, die Sinnhaftigkeit (und auch Notwendigkeit) dieser Maßnahme einer breiten Öffentlichkeit deutlich zu machen. Das „Systemverständnis“ sei da halt ein anderes. Aus wissenschaftlicher Sicht seien „Flüsse in ihrer natürlichen Ausprägung“ der Idealzustand. Und wie beschreibt der Professor für Gewässerökologie den? „Ein breites Tal, wo der Fluss von der einen zur anderen Seite pendelt, weil sich das Geschiebe auch auf einer breiten Fläche verzweigen kann.“ Wer Renaturierung wolle, müsse in diese Richtung gehen, die auch eine EU-Richtlinie vorgebe. Die Situation an der alten Hängebrücke sei indes keineswegs natürlich gewesen, sondern Resultat einer künstlichen Verengung, bei der man an der Mitte der jetzigen Brücke eine Mauer errichtet und das Gelände Richtung jetzigem Sportplatz verfüllt und aufgeforstet habe. Deswegen habe man sich bei den Überlegungen zur Erneuerung der Hängebrücke dafür entschieden, „dem Fluss wieder das zurückzugeben, was er braucht.“ Erfreulicher Nebeneffekt: Die Hochwassergefahr sinke spürbar, jedes mittlere Ereignis dieser Art könne problemlos verkraftet werden. Das meint übrigens auch Wolfgang Klien, dessen Lebenswerk der wiedergeborene Wildfluss Lech zweifelsohne ist: „Dass bei den Life-Projekten der Hochwasserschutz und der Naturschutz eine Symbiose miteinander eingegangen sind, ist einfach fantastisch“, strahlt er bei der vom SV Forchach servierten Abschlussjause.
Das zweite Life-Projekt ist übrigens noch nicht ganz beendet. Man hat sparsam gewirtschaftet und noch Mittel übrig. Die sollen dann für den Auwald am Pflacher Vogelschutzturm eingesetzt werden.

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