Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Mehr Kinderbetreuungsplätze und eine Bahnverbindung ins Inntal braucht das Außerfern!

Die RUNDSCHAU im Gespräch mit Bezirkssprecherin Regina Karlen

Regina Karlen ist verheiratet, Mutter von vier erwachsenen Kindern und mehrfache Oma. Sie arbeitet als Sozialpädagogin bei der Lebenshilfe Reutte in der Mobilen Begleitung und setzt sich ehrenamtlich für Menschen auf der Flucht ein. Sie ist Mitglied der Bürgermusikkapelle Reutte, singt und tanzt gerne und pflegt gemeinsam mit ihrem Mann den erstmals bepflanzten Kartoffelacker und die Laufenten. Seit einigen Jahren ist sie Bezirkssprecherin der Grünen.
9. August 2021 | von Johannes Pirchner
Mehr Kinderbetreuungsplätze und eine Bahnverbindung ins Inntal braucht das Außerfern!
Regina Karlen. Foto: RS-Archiv
Von Johannes Pirchner.
RUNDSCHAU: Seit zwei Wochen gelten auf der B179 wegen des hohen Verkehrsaufkommens wieder Abfahrverbote für Urlauber. Die Grünen setzen beim Verkehrsthema auf eine Tunnelvariante. Wie genau sieht diese aus und soll es auf der B179 bis zu dieser irgendwelche baulichen Änderungen geben?
Regina Karlen: Auf der B179 hat es im Rahmen der Fernpassstrategie einige Maßnahmen gegeben, um den Verkehr flüssiger zu machen, die Dosierampel und kleinere straßenbauliche Maßnahmen sind Beispiele dazu. Die Abfahrverbote von der Umfahrung, die wir mit Hilfe einer Demonstration erwirkt haben, entlasten den Großraum Reutte vom Wochenendstau. Große straßenbauliche Maßnahmen sollten nicht getätigt werden, da wir die begründete Angst haben, dass mit diesen auch das Verbot für große LKW abseits des Ziel- und Quellverkehrs fallen würde. Wir Grünen sind deshalb der Meinung, dass ein Bahntunnel ins Inntal die beste Lösung wäre und nur dadurch eine wirkliche Entlas-tung der angespannten Verkehrssituation herbeigeführt werden kann. Hierbei ist entweder die Strecke Ehrwald-Silz bzw. Ehrwald-Ötztal-Bahnhof angedacht. Bei der Trassenfindung ist für uns Grüne ganz wichtig, dass auch die Ehrwalder Bevölkerung miteinbezogen wird. Die Fahrzeit zum Innsbrucker HBF würde von Reutte dann nur mehr eine Stunde und vierzehn Minuten betragen! Mit einer regelmäßigen Taktung und dem günstigen Öffi-Ticket würde das für viele Außerferner und Außerfernerinnen eine immense Erleichterung bedeuten. Egal, ob jemand am Samstag in IBK mit Wohnort Reutte berufsbegleitend studieren oder eine Veranstaltung besuchen will. Auch Jobchancen würden sich wechselseitig vom Außerfern und dem Innsbrucker Raum erschließen. Pendeln mit dem Zug hat eine ganz andere Qualität, weil die Fahrzeit zum Entspannen, Plaudern, Lesen oder Arbeiten am PC genutzt werden kann – es wäre einfach eine gewonnene Lebenszeit. Auch im Tourismus könnten mit der neu geschaffenen Strecke viele Gäste von einer Anreise mit dem Zug überzeugt werden. In vielen Ortschaften gibt es schon Shuttlebetriebe vom Bahnhof in die Beherbergungsbetriebe. Und wer wirklich auf das Auto angewiesen ist, müsste sich dann nicht mit einer permanenten Überlastung der Strecke plagen. Niemand will jemandem das Auto verbieten, das Auto ist für manche Wege praktisch und sinnvoll! Auch ich nehme das Auto, wenn es regnet oder wenn ich einen schweren Wocheneinkauf nachhause bringen muss. Privat und beruflich bevorzuge ich im Talkessel aber das Fahrrad. 

RS: Ein geplantes Logistikzentrum in Reutte, das direkt an das Kreckelmoos in Breitenwang grenzt, erhitzte die Gemüter. In Reutte und Breitenwang waren diese Flächen damals als Gewerbegebiete gewidmet, Reutte blieb beim Gewerbegebiet, in Breitenwang ist es seit 1990 Baugebiet. Die Befürworter eines Zentrums sagen, durch dieses Zentrum würde Transit reduziert werden können. Wie ist Ihre Meinung hierzu?
Regina Karlen: Zum einen ist es ganz wichtig, hierbei Sachlichkeit walten zu lassen. Natürlich macht es Sinn, Gewerbebetriebe und somit auch das Logistikzentrum an der Umfahrung und nicht im Ortsgebiet zu bauen. Ein grundsätzlicher Fehler war aber damals die Planung der Streckenführung der B179 mitten durch ein Feuchtgebiet. Zwar wurden damals Froschzäune und Untertunnelungen für die Amphibienwanderung errichtet, mit der zunehmenden Verbauung haben diese Tiere aber keine Chance mehr, was wir Grüne sehr bedauern. Auch bedauern wir, dass dem denkmalgeschützten ehemaligen Krankenhaus Kreckelmoos nicht der ausreichende Schutz und die Wertschätzung zukommen, die eines der ältesten Gebäude des Außerferns verdient hätte. Mir tun auch die Menschen leid, die sich mit ihren Einfamilienhäusern sicherlich einen Lebenstraum erfüllt haben und nun mit der Ansiedlung von unterschiedlichstem Gewerbe konfrontiert sind, mehr Verkehr und Lärm ausgesetzt sein werden. Deshalb muss man sich für die Zukunft nicht nur mit der örtlichen, sondern auch mit der überörtlichen Raumordnung auseinandersetzen. Das Kirchturmdenken der Gemeinden sollte endlich überwunden und nicht nur die Einnahmen aus der Kommunalsteuer im Mittelpunkt stehen. Raumplanung und Flächenwidmung sind zwei der wichtigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben jedes Gemeinderates und der Bürgermeister und Bürgermeis-terinnen. Waren früher der wirtschaftliche Profit und natürlich das Schaffen von Arbeitsplätzen die wichtigsten Entscheidungsgrundlagen, so muss heute die überbordende Flächenversiegelung und der Erhalt von Grünflächen unbedingt eine stärkere Gewichtung erhalten. Im Großraum Kreckelmoos sind in der Vergangenheit leider Fehler passiert, die unumkehrbar sind.

RS: EWR-Vorstand Christoph Hilz hat die Energiestrategie für den Bezirk Reutte vorgelegt. Bis 2050 soll das Außerfern klimaneutral werden. Um diese Ziele zu erreichen, werden die bestehenden Kraftwerke nicht ausreichen. Es wird einen verstärkten Kraftwerkbau am Lech brauchen, möglicherweise Windkraftwerke und Grünfläche als Photovoltaikfläche. Wie werden sich die Außerferner Grünen in dieser Frage positionieren, wenn Naturschutz gegen Klimainteressen auf Konfrontation stehen?
Regina Karlen: Naturschutz und Klimainteressen müssen Hand in Hand gehen. Der Lech genießt mit dem Natura 2000 Gebiet einen hohen Schutzstandard, weil er einer der absolut letzten frei fließenden Flüsse ist. Wir Grüne unterstützen Sanierungsarbeiten an den bestehenden Kraftwerksbauten, die meis-tens auch eine Steigerung der E-nergiegewinnung mit sich bringen. Wir sind davon überzeugt, dass es in Zukunft einen Mix an Energiegewinnung, aber gleichzeitig auch Einsparungen wird geben müssen. Wenn wir ins benachbarte Allgäu schauen, dann sehen wir, welchen Photovoltaikboom eine gute Förderung ausmacht. Momentan gibt es auch bei uns diese Fördergelder, was noch fehlt, sind die Tarife für die Einspeisung von Sonnenstrom. Leider können wir beim EWR kaum innovative Ideen finden, die den Ausbau der Photovoltaik beflügeln. Dabei könnten durchaus große Dachflächen, aber auch Fassaden vom heimischen Energieanbieter gemietet und Strom verkauft werden. Privatpersonen, die keine güns-tige Dachfläche haben oder Menschen, die ihre Wohnungen mieten, könnten ihren Sonnenstrom vom EWR beziehen. So wie das Wasser gratis talwärts rinnt und die Sonne gratis scheint, könnten sich diese „Sonnenkraftwerke“ amortisieren und zu einem Geschäftsmodel werden. Stromüberschuss könnte zur Herstellung von Wasserstoff oder zum Hochpumpen des Wassers in die Speicherseen genützt werden. Windkraftanlagen werden bei uns wohl keine Rolle spielen, weil sich ausreichende Windgeschwindigkeiten nur auf den Berggraten ergeben. Bevor von PV-Anlagen auf der grünen Wiese geredet wird, muss zuerst bereits versiegelte Fläche wie z. B. Parkplätze, Lärmschutzwände an Autobahnen und Ähnliches genutzt werden. 
Jede und jeder kann sich persönliche Einsparmöglichkeiten im Sinne einer Generationengerechtigkeit überlegen. Zum Wohle unserer Kinder und Enkel werden wir gemeinsam unseren schier unersättlichen Hunger nach Energie, Mobilität und Ressourcenverbrauch überdenken müssen. 

RS: Welche umwelt- bzw. klimapolitischen Maßnahmen würde unser Bezirk am stärksten benötigen?
Regina Karlen: Einen Ausbau des Radwegenetzes mit durchgehenden Verbindungen zwischen den Gemeinden, damit nicht nur das sportliche oder touristische Radvergnügen stattfinden kann, sondern auch private und berufliche Wege sicher mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können. 
In vielen Bezirken gibt es bereits gut funktionierende Carsharing-Modelle, so könnten vielleicht Zweitautos durch ein geteiltes Auto ersetzt werden.
Der öffentliche Verkehr mit Bus und Bahn könnte besser ausgebaut werden, dazu benö-tigt es aber den Willen der Bürgermeister – aber auch der Bevölkerung, die das Angebot nutzen müsste.
Auch bei Flächenversiegelung müssen wir nachhaltiger werden. Boden ist wertvoll und wir müssen mit diesem sorgsam umgehen. Bei den Starkregen in den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass die Lechaufweitungen wichtig und richtig waren. Dies ist effektiver Hochwasserschutz!

RS: Der Wolf entdeckt Tirol neu. Wie soll man auf ihn reagieren?
Regina Karlen: Der Wolf hat einen sehr hohen Schutzstatus vonseiten der EU. Es ist sicher nicht fair, mit einfachen Lösungen, wie dem Abschuss von Wölfen, zu polarisieren, wenn dies rechtlich gar nicht möglich ist. Es wird ein Umdenken brauchen. In der Schweiz setzt man seit vielen Jahren auf Zäune, eine Behirtung und eigens ausgebildete Hirtenhunde. Der Ausbau der Herdenschutzmaßnahmen benötigt natürlich Zeit und Geld. Es gibt seitens des Landes und auch der EU Förderungen dazu und eine gute Entschädigung für Wolfangriffe, aber natürlich ersetzt dieses nicht das Leid der Landwirte über die verlorenen Tiere.
RS: Die Außerferner Initiative „Hoffnung für Flüchtlinge“, die sie auch stark mitgestaltet haben, setzt sich für die Aufnahme von Flüchtlingsfamilien und Kindern ein. Die Mahnwachen sind seit einem Jahr im Außerfern Thema. Wie geht es weiter mit der Initiative?
Für uns ist es ganz wichtig zu betonen, dass diese Initiative überparteiisch ist. Jeden Samstag werden im Bezirk und in ganz Tirol in vielen Ortschaften Mahnwachen abgehalten, die auf die schreckliche Situation in den Flüchtlingslagern auf Lesbos hinweisen sollen. Gemeinsam mit dem Bischof fordern wir österreichweit die Aufnahme von 100 Familien. Diese könnten sofort aufgenommen werden, weil immer noch Mietobjekte für Flüchtlinge freistehen und bezahlt werden. Für viele Menschen ist die Vorstellung der bewusst abschreckenden Zustände in den Lagern kaum auszuhalten. Wie kann man Menschen im Winter in überschwemmten Zelten ohne Böden frieren lassen und im Sommer in eben diesen Zelten einer Temperatur um die 40 Grad aussetzen? Österreich und auch Tirol haben sich immer hilfsbereit und positiv vermittelnd gezeigt, dieses humanitäre Klima hat sich leider zum Nachteil für unseren Ruf in Europa und weltweit entwickelt. Die Initiative sammelt auch Geld, um vor Ort über persönlich bekannte Kontaktpersonen direkt zu helfen. Wir möchten gerne die gesammelten Unterschriften an unseren Landeshauptmann Günther Platter übergeben und hoffen, dass er durch seine Fürsprache bei den Parteiobersten im Bund ein mitmenschliches und hilfsbereites Agieren bewirken wird. 

RS: Die Grünen stehen auch für eine starke Frauen, Sozial u. Familienpolitik. Welche sozialpolitischen Maßnahmen braucht das Außerfern?
Regina Karlen: Ganz dringend braucht es einen besseren Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen ab dem zweiten Lebensjahr und die Verlängerung der Betreuungszeiten, damit Mütter ihren Berufen nachgehen können und am Ende ihrer Erwerbstätigkeit nicht in Altersarmut geraten. Auch setzen wir uns dafür ein, dass Mütter und Väter sich die Karenzzeit aufteilen. Dies wäre nicht nur zum Wohl der Kinder, Mütter und Väter, sondern würde unser gesellschaftliches Miteinander revolutionieren und gerechter machen. Leistbarer Wohnraum für Jungfamilien – aber auch im Allgemeinen – ist ein ganz großes Thema im Bezirk. Bei einer Umwidmung von Freiland in Bauland in den Gemeinden sollte dringend die Vertragsraumordnung umgesetzt werden, die besagt, dass ein großer Teil der gewonnenen Wohnfläche verpflichtend für soziales, leistbares Wohnen verwendet wird! Auch das Modell eines Generationenwohnens halte ich für zukunftsfähig, weil ein gutes Miteinander mit guter Aufgabenverteilung und Unterstützung im Wohnblock gefördert wird. Die „Leihoma“ im Haus kann in dieser Hausgemeinschaft die Kinder betreuen und als Gegenzug bringt man dieser die Einkäufe mit oder begleitet sie zum Arzt. Auch Freizeitwohnsitze sind ein Problem. Jungfamilien können sich den Wohnraum nicht mehr leisten und bei der Erhebung der Freizeitwohnsitze, die eine fairere Verteilung der Kommunalkosten bewirken würde, wird nicht so genau hingeschaut. Es gibt auch jetzt noch Gemeinden, die Freizeitwohnsitze in Neubauten widmen, nur weil die gesetzlich maximale Quote von 8% noch nicht erreicht ist. Das ist für mich unverständlich. Hier muss sowohl auf die Einheimischen wie auf den wichtigsten Wirtschaftszweig Tirols, nämlich den Tourismus ,Rücksicht genommen werden. Gäste, die Wohnungen, Chalets und Häuser nur zu Freizeitzwecken erwerben, sind für die Tourismuswirtschaft verloren und treiben die Preise in die Höhe.

RS: Wird es 2022 bei den Gemeinderatswahlen wieder Grüne-Listen im Bezirk geben?
Regina Karlen: In Breitenwang wird es auf jeden Fall eine Grüne Liste geben. In Ehrwald wird an einer Liste mit Grüner Beteiligung gearbeitet. In Reutte hört unsere Listenführerin auf, aber auch hier sind wir guter Hoffnung, wieder eine starke Liste aufzustellen. Uns ist besonders wichtig, Frauen und Männer aller Altersklassen in die Gemeindepolitik zu bringen, denn ein Gemeindeparlament sollte möglichst die Bevölkerung abbilden. 
Wir Grüne halten deshalb Zukunftsräume mit viel Gesprächsmöglichkeiten in Ehrwald am 13. August von 16 bis 19 Uhr am Kirchplatz und in Reutte am 14. August von 10 bis 13 Uhr in der Nähe des Bauernladens ab. Unsere Landtagsabgeordneten und wir Bezirksgrüne werden vor Ort sein, um mit Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen und mögliche Kandidaten für die Gemeinden zu motivieren! Herzliche Einladung zu viel Austausch und einem Eis bei hoffentlich sommerlichen Temperaturen.

RS: Vielen Dank für das Gespräch!
 

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