Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Die süß Küssende vom Frauenbrünnele

Das zärtliche Gnadenbild Maria Hilf hat eine unerwartete Wurzel

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s zur Kapelle am Frauenbrünnele.
31. Oktober 2021 | von Jürgen Gerrmann
Das Frauenbrünnele am Plansee. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Im MART (Museo die arte moderna e contemporeanea die Trento e Rovereto) im Trentino läuft zurzeit eine bemerkenswerte Ausstellung. Sie ist Alceo Dossena gewidmet, einem begnadeten Fälscher, quasi dem „Konrad Kujau Italiens“. So wie der gebürtige Sachse und spätere Schwabe sich nicht nur in „Hitlers Tagebücher“, sondern auch in alte Meister unterschiedlicher Kunstepochen hineinversetzen und sie perfekt zu imitieren vermochte, war der Bildhauer aus der Po-Ebene ein Genie darin, Skulpturen aus der Antike und der Renaissance nachzuempfinden. Die größten Museen der Welt (namentlich in den USA) und auch reiche Privatleute fielen darauf herein, und die Sache wäre wohl nie aufgeflogen, hätte er nicht dem amerikanischen Kunsthistoriker H.W. Parsons 1928 sein Atelier geöffnet und ihm die Eulenspiegelei offenbart. Fortan signierte er seine Werke korrekt mit seinem eigenen Namen – was ihm allerdings nicht zum Vorteil gereichte: Er starb neun Jahre später vergessen und verarmt.

EIN BELIEBTES MOTIV.
Die Schau vermittelt übrigens nicht nur einen Eindruck vom Können des Imitators, sondern auch davon, was bei seinen Kunden beliebt war. Besonders gut verkaufte sich nicht zuletzt die Madonna mit dem Kinde, das Maria Hilf-Motiv, dem ein ganzer großer Saal gewidmet ist.
Dessen Popularität beschränkt sich indes nicht nur auf Italien und die USA (mit ihrer großen italienischen Einwandererschaft) – auch in Österreich, Tirol und dem Außerfern bedeutet es nach wie vor den Menschen viel. Vor der Kapelle am Frauenbrünnele am Fuße des Tauerns parkt etwa fast immer ein Auto von Menschen, die hier im Gebet Verbindung zu Gott suchen – und dieses Kirchlein denn auch Maria Hilf gewidmet.
Das Gnadenbild der Muttergottes mit dem Kinde bildet quasi auch eine Verknüpfung zu Alceo Dossena: Es ist nämlich im Grunde ebenfalls kein Original, sondern eine im 18. Jahrhundert gefertigte Kopie (oder besser gesagt: Variation) des berühmten Originals von Lucas Cranach dem Älteren im Innsbrucker Dom. Und schon das ist interessant. Cranach gilt ja als „Maler der Reformation“, illustrierte viele Schriften Martin Luthers und porträtierte auch andere Reformatoren wie Friedrich Melanchthon, derer die evangelische Kirche am vergangenen Sonntag gedachte. Dennoch malte er das Gnadenbild Maria Hilf für den Glaubensmittelpunkt der Hauptstadt Tirols wohl zur exakt derselben Zeit, als sich der neue Glaube Bahn brach und heftige Wirren tobten.

WURZEL IM KREUZZUG.
Zärtlich herzt Maria auf all diesen Bildern ihren Sohn, wie eine liebevolle Mutter es wohl seit Anbeginn der Menschheit bis zum heutigen Tage tut. Wenn man es nicht weiß, so kann man sich im Grunde gar nicht vorstellen, dass das diesem Motiv zugrunde liegende Flehen eine höchst gewalttätige Wurzel hat: Ludwig IX., Frankreichs König, der 1297 heiliggesprochen werden sollte, verwendete die Anrufung „Maria hilf!“ nämlich bei seinem Kreuzzug gegen Ägypten 1249 erstmals neben dem von Papst Urban II. 1095 propagierten (und genauso fragwürdigen) „Deus vult – Gott will es!“. Der Habsburger Philipp II., der Mitte bis Ende des 16. Jahrhunderts Spanien und Portugal regierte, setzte noch eins drauf und ernannte Maria zur Generalissima (also Oberbefehlshaberin) in den Kolonialkriegen in Lateinamerika, wo ebenfalls diese flehende Bitte als Schlachtruf verwendet wurde. Papst Pius V. (der Piemonteser Antonio Michele Ghislieri, der, wie der Historiker Leopold Ranke schreibt, die protestantischen Waldenser „mit hemmungsloser Wut verfolgte“ und ein Massaker unter ihnen anrichtete) fügte den Ruf 1571 in die Lauretanische Litanei ein, da er die Muttergottes nach der Seeschlacht bei Lepanto als „Obsiegerin gegen die Türcken“ sah. Und der Kaiser Ferdinand II. nahm das Madonnenbild etwa 50 Jahre später auch in das Feldzeichen des kaiserlich-habsburgischen Heeres auf. Die Madonna (allerdings mit dem Schutzmantel) erwendete auch der polnische König Jan Sobieski als Zeichen beim Sieg der christlichen Truppen in der Schlacht am Kahlenberg, bei der am 12. September 1683 die Osmanen nach der Belagerung Wiens zurückgeschlagen wurden. Kurfürst Maximilian I. von Bayern hatte schon zuvor die Mariensäule in München bauen lassen – aus Dank dafür, dass die (protestantischen) schwedischen Truppen im Dreißigjährigen Krieg seine Hauptstadt nicht zu erobern vermochten. Und der Papst Pius VII. führte dann 1814 sogar das Fest Maria Hilfe der Christen (24. Mai) ein, weil er auf deren Wirken seine Befreiung aus napoleonischer Gefangenschaft zurückführte.

VERBINDUNG ZUR ORTHODOXIE.
Ein ähnliches Motiv und ein ähnliches Fest findet sich übrigens auch in der orthodoxen Kirche: Mariä Schutz und Fürbitte (am 14. Oktober unseres Kalenders) wurzelt ebenfalls in einer (abgebrochenen) Belagerung Konstantinopels durch muslimische Truppen Mitte des 9. Jahrhunderts. In der russisch-orthodoxen Kirche gilt es seit dem 12. Jahrhundert als eines der zwölf Hochfeste, auch in der Ukraine genießt es große Bedeutung.
Die dem Gnadenbild am Frauenbrünnele entsprechende Ikone trägt übrigens den Namen Glykophilusa – was griechisch ist und übersetzt „die Zärtliche“ oder die „süß Küssende“ bedeutet. So empfinden sie wohl heute alle, die heute an diesem Platz des Friedens vor ihm beten und Maria um Hilfe bitten. Und das ist gut so.

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