Von Jürgen Gerrmann.
Der „Vater des Lechtals“, als der Falger heute noch bekannt ist, brach als 28-Jähriger von der Isar, wo er an der Steuerkataster-Commission in München als Graveur beschäftigt war, an die Ilm auf. Der Grund: Er hatte in Bayerns Hauptstadt die kurz zuvor von seinem Freund Alois Senefelder erfundene Lithografie erlernt. Wer diese neue Technik des Steindrucks beherrschte, der war in jenen Jahren überaus gefragt. Der Elbigenalper hätte nicht nur nach Straßburg, Düsseldorf, Hamburg und London, sondern sogar zum Zaren nach St. Petersburg gekonnt, wie Christian Schneller, der aus Holzgau stammende Philologe, Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Aufsatz „Anton Falger und das Lechthal“ für die Zeitschrift des Innsbrucker Ferdinandeums festhielt. Dorthin hatte ihn der dortige Hofrat Schilling lotsen wollen. Aber der Lechtaler schüttelte den Kopf, obwohl ihm am Hof Alexanders I. „eine sichere kaiserliche Anstellung“ versprochen worden war, wie Schneller seinen Landsmann selbst zitiert. Freilich: „Es war mir aber da zu kalt.“
EIN STRAMMER WANDERER.
Im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (das Land Thüringen gab es damals noch gar nicht) war es offenkundig angenehmer, doch ließ er sich eine Hintertür offen und sich nur beurlauben. Man weiß ja nie. Auf jeden Fall war er gut zu Fuß. Hatte er schon 1816 die (heute mit dem Auto) 400 Kilometer von Wien nach München in einer einzigen Woche zu Fuß zurückgelegt, so ließ er sich für die ähnlich lange Strecke nach Weimar etwas länger Zeit. Nach zwölf Tagen kam er „vergnügt“, wie er selbst sagte, an seinem neuen Wirkungsort an. Ebenfalls per pedes. Chr. Schneller überlieferte sogar seine Route: München-Augsburg-Nürnberg-Bamberg-Coburg-Jena. Und das ist nicht mal der kürzeste Weg! Sein Gehalt dort war alles andere als schlecht: Die 600 Reichstaler, die er erhielt, entsprachen in jenen Jahren der Pension des Dichters Christoph Martin Wieland, der immerhin den Prinzen ausgebildet hatte. Eingeladen hatte ihn übrigens Obermedizinalrat Ludwig Friedrich von Froriep (einst Leibarzt des nicht gerade beliebten württembergischen Königs Friedrich I.). Aber nicht aus medizinischen Gründen. Dessen Schwiegervater Friedrich Justin Bertuch leitete nämlich das Landes-Industrie-Comptoir, den damals führenden deutschen karthografischen Verlag. Und dort bekam er den Auftrag, „die Lithografie neu zu schaffen und Ordnung zu halten“.
GROSSES ARBEITSPENSUM.
Falger hatte wohl eine Menge zu tun. Auch hier zitiert ihn Schneller selbst mit seinem „kunterbunten“ Arbeitsnachweis: „Der große und kleine historische Handatlas (ein großes Werk). Große Karten von Spanien und Italien. Kleine Karten von Asien, Europa und Afrikas. Ost- und West-Halbkugel. Hinrichtungen der alten Zeiten. Polybius’ Kriegsgeschichte. Horaz’ Schriften. Virgil. Gasbeleuchtung. Für das Gartenmagazin. Grosse Höhen- und Stromkarte. Modejournal. Ephemeriden. Geognostische Karte von Keferstein, besonderer Liebhaber davon war Goethe. Und so noch viele verschiedene Arbeiten zu machen.“ In Schnellers Urteil kann man da wohl einstimmen: „Unermüdlicher Fleiß!“ Apropos Goethe: Falger konnte sich wahrlich selbst auf die Schulter klopfen. Denn während der Geheimrat und Dichterfürst den heutzutage so hochverehrten Friedrich Hölderlin während eines Treffens bei dessen schwäbischen Landsmann Friedrich Schiller (um es mit Karl Valentin zu sagen) nicht einmal ignorierte, lobte er den Lechtaler Falger in einer Besprechung des damals berühmten Buches „Genera et species palmarum“, das sich mit den verschiedensten Palmenarten beschäftigte, sogar schriftlich.
WEIMARS WÄRME.
Petersburg war Falger zu kalt, in Weimar genoss er die menschliche Wärme: „Ich wurde gut empfangen und lebte vergnügt in Weimar; gute Leute, schöne Sprache und gut gebildet.“ Auch wenn es dort „mehrere Religionen und Gebräuche“ gebe, „so lebt man glücklich“. Lassen wir ihn weiter selbst erzählen: „Dort machten mir Andersgläubige keine Vorwürfe wegen unserer Religion – das thun nur dumme Menschen. Ein Katholik tadelte aber unsere Gebräuche und Ceremonien, aber Protestanten schwiegen.“ Sein „edler Prinzipal“ sei Freimaurer, „aber ein Muster an Wolthaten; aufrichtiges Geständnis, dass ich im Jahre 1821 dort unwol war, was er wusste. Und sagte mir unerwartet im Ernst, ich arbeite für ihn zu viel und bot mir an, dass ich eine Erholungsreise auf drei oder vier Wochen machen sollte und mein Gehalt, täglich drei Gulden, hätte ich ich erhalten – wer thut das?“
Nach zwei Jahren und vier Monaten war es indes vorbei. Sein Münchner Arbeitgeber rief ihn wieder zurück ins Land. Zurück ging’s wieder per pedes. Diesmal in sieben Tagen. Sein Gönner, der „edle Froriep“ schickte im später noch 200 Gulden Gratifikation nach. Und Falger sagte sich wieder: „Wer gibt das sonst?“ Mit im Gepäck hatte er sein Zeugnis, das ihm attestierte, „geschickt und fleißig“ gearbeitet zu und sich „übrigens auch durch sein gutes, gesittetes und bescheidenes Betragen die allgemeine Achtung erworben“ zu haben. Kein Wunder, dass ihm der Abschied schwerfiel: „Viele selige Tage habe ich hier verlebt. Noch Dank Weimar, ich vergesse Dich nie!“