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„Bildung statt Aufbewahrung“

Die Grünen fordern eine Offensive in der Elementarpädagogik für Tirol

Es ist zwar nicht das große heiße Thema, das allen spürbar unter den Nägeln brennt, aber für die Zukunft dennoch von herausragender Bedeutung: Eine gute Bildung öffnet einem einerseits viele Türen, und auf der anderen Seite sind gut ausgebildete Bürger eine wesentliche Basis für den Wohlstand eines Landes und einer Gesellschaft. Und die Tiroler Grünen finden: „Bildung darf nicht erst in der Schule beginnen.“
24. August 2021 | von Von Jürgen Gerrmann
„Bildung statt Aufbewahrung“
Die Elementarpädagogik darf nicht weiter ein Stiefkind der Bildung bleiben – das fordern die Landtagsabgeordnete Stephanie Jicha sowie die Bezirkssprecherin und gelernte Sozialpädagogin  Regina Karlen und der stellvertretende Landesausschussdeligierte Martin Rauter (v.l.).        RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann


Der Pinswanger Martin Rauter hatte dazu eine Mitgliederinitiative gestartet – ein Instrument bei den Grünen, in dessen Rahmen jeder ein Thema vorschlagen kann, das ihm besonders am Herzen liegt. Über deren Resultat berichtete er nun gemeinsam mit Bezirkssprecherin Regina Karlen und der Landtagsabgeordneten Stephanie Jicha, die dieses Thema im Parlament bearbeitet, bei einem Gespräch mit der RUNDSCHAU beim Christlbäck in Reutte. Die Kommission, die sich mit dem Thema Bildung befasste, war laut Stephanie Jicha sehr breit angelegt: Von der Kindergärtnerin bis zum Uni-Professor habe die Palette gereicht, und natürlich hätten auch Eltern ihre Erfahrungen mit eingebracht. Bei intensiven Gesprächen habe man sich dabei vor allem auf die Elementarpädagogik fokussiert und dabei drei Handlungsfelder herauskristallisiert.

KIND IM MITTELPUNKT. 
Im ersten Komplex wolle man das Kind wieder in den Mittelpunkt rücken, nachdem während der Pandemie der Fokus doch auf die Eltern gerichtet gewesen sei. Dazu gehöre, dass der Platz in einer Betreuungseinrichtung nicht mehr an die Berufstätigkeit der Eltern gekoppelt sein dürfe: „Und mir wäre auch ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr wichtig.“ Denn die Erfahrung zeige: „Dort, wo eine solche Pflicht besteht, gibt es auch Plätze.“ Das sei auch innerhalb der Landeskompetenz machbar. Die Grünen wollten auch einen Rechtsanspruch des Kindes selbst (also nicht der Eltern) auf „Bildung einer elementarpädagogischen Einrichtung ab dem ersten Lebensjahr“ etablieren. Das freilich werde angesichts des Koalitionspartners ÖVP sehr schwer: „Der Gemeindeverband Tirol ist nicht gerade begeistert davon.“ Vermutlich auch nicht von der Forderung, dass (finanzielle) Konsequenzen drohen sollten, wenn die Kommunen ihrem Versorgungsauftrag nicht nachkämen. Als eher negativ betrachtet Jicha es auch, dass Kindergärten und Krippen innerhalb der Landesregierung nicht beim Bildungsressort angesiedelt seien, sondern im Bereich Gesellschaft und Arbeit. Dies zu ändern gehört zum zweiten Handlungsfeld, das die kleinere Regierungspartei ausgemacht hat. Diese Einrichtungen müssten als Bildungsinstitutionen etabliert werden. Martin Rauter plädierte beim dritten Handlungsfeld engagiert für eine höhere Attraktivität der Berufe, die sich um die Jüngsten kümmerten: „Die Besten gehören in die Elementarbildung.“ Dazu müsse die „Ressourcenpyramide“ quasi umgekehrt werden. Die in diesem Sektor Tätigen bräuchten auch mehr Assistenz: „Niemand darf da allein gelassen werden, und zwar völlig unabhängig von der Gruppengröße.“ Auch um eine Gehaltsanpassung und die volle Bezahlung aller geleisteten Stunden inklusive Vor- und Nachbereitung sowie Fortbildungen komme man nicht mehr herum: „Das ist ja in vielen anderen Berufen eh die Regel.“ Ab einer bestimmten Anzahl von Kindern müsse in den Betreuungseinrichtungen eine hauptamtliche Leitung etabliert werden. Und schließlich gelte es auch, auf regionale Unterschiede Rücksicht zu nehmen: „Kleine Kindergärten dürfen bei der Finanzierung nicht durch den Rost fallen.“

ENORMER AUFHOLBEDARF. 
Für Stephanie Jicha ist übrigens die Infrastruktur auf diesem Sektor im Außerfern noch stark verbesserungswürdig. Im Bezirk Reutte gebe es zum Beispiel nur neun Kinderkrippen: „Das sind eher wenig. Und nur zwei davon werden von Gemeinden betrieben, der Rest ist privat.“ In Lechaschau besuchten 59 Kinder den Kindergarten, eine Krippe suche man vergeblich. In Breitenwang hingegen seien 43 in der (privaten) Krippe und 164 im Kindergarten. Zudem weise die Statistik durchschnittlich 55,5 Schließtage pro Jahr aus – bei nur 25 Urlaubstagen in diesem Beruf. In den Krippen im Außerfern besäßen nur 34 Prozent des Personals eine qualifizierte Ausbildung, im Kindergarten mit 47 Prozent auch nur knapp die Hälfte: „Überall dort gibt es einen enormen Aufholbedarf.“ Für Regina Karlen ist die Konsequenz daher klar: „Wir müssen weg von ,ein bissle spielen' hin zu einer Bildungseinrichtung. Kindergärten und Krippen sind mehr als nur ein Aufbewahrungsort.“ Für die enorme Verantwortung auf diesem Sektor seien die Arbeitsplätze dort auch viel zu schlecht bezahlt: „Und das ist nur deshalb so, weil dort so viele Frauen arbeiten. In den Krippen zum Beispiel 98,6 Prozent.“ In den Budgetverhandlungen will man all dies mit zum zentralen Thema machen, kündigt Jicha an: „Ab nächstem Jahr soll für jedes geborene Kind auch ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. Jeder Euro, den man in ein Kind investiert, kommt später dreifach zurück.“

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