Von Dr. Stefan Dietrich
„Damit können wir die lokalen schriftlichen und mündlichen Überlieferungen auch naturwissenschaftlich unterstützen. Mit diesem Befund halte ich es für erwiesen, dass es tatsächlich die Pest war, der 1634/35 so viele Menschen zum Opfer gefallen sind, und nicht etwa Typhus oder Fleckfieber“, erläutert der Archäologe Harald Stadler vom Institut für Archäologie der Universität Innsbruck. Er hat im Herbst 2018 eine Probegrabung geleitet, die von Florian Messner und Nicole Mölk durchgeführt und vom Heimatbund Hörtenberg-Telfs mitfinanziert wurde. Der Nachweis des berüchtigten Bakteriums „Yersinia pestis“ gelang in einem Labor des Instituts für Mumienforschung (EURAC) in Bozen unter der Leitung des Anthropologen Albert Zink. Der Erreger löst die Beulen- und Lungenpest aus, die von Ratten und Flöhen übertragen wird und Menschen innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen tötet.
FORSCHUNGSPROJEKT ZUM THEMA „PEST“. „Wir haben nicht das Bakterium selbst gefunden, das ist nämlich längst abgestorben, sondern seine Erbinformation, die DNA“, unterstreicht Frank Maixner, der die Laboranalysen zusammen mit Lena Granehaell vornahm. Nach dem Erfolg der Voruntersuchungen hoffen die Wissenschaftler, jetzt ein großes grenz- und fachübergreifendes Forschungsprojekts zum Thema „Pest“ in Nord- und Südtirol starten zu können. Identifiziert wurde der Hinweis auf den Todeskeim interessanterweise in einem Zahn. Albert Zink: „In den stark durchbluteten Zahnhälsen ist die Chance groß, auf DNA-Reste von Bakterien zu stoßen.“ Bei der Sondierung in St. Moritzen wurden unter anderem zwei fast vollständige Skelette geborgen, die wahrscheinlich von einer erwachsenen Frau und einem Mädchen stammen. Genaueres könnten anthropologische Untersuchungen ergeben.
ÖFFENTLICHE ORDNUNG FUNKTIONIERTE KAUM NOCH. Schriftliche Quellen berichten von wahren Horrorszenarien, die während der großen Pest in Telfs herrschten. Der damalige Pfarrer schreibt etwa in einem Brief an den Bischof, dass die öffentliche Ordnung nahezu zusammengebrochen sei und die kirchlichen und staatlichen Autoritäten von der Bevölkerung kaum mehr beachtet würden. Nur mit Mühe war es gelungen, Ersatz für vier Totengräber zu finden, die nacheinander an der Seuche gestorben waren. Trotzdem wurden die Toten, soweit bei der Ausgrabung zu erkennen war, in St. Moritzen nicht einfach in eine Grube geworfen, sondern noch ordnungsgemäß bestattet. Auch einige kleiner Funde wie Rosenkranzperlen, Münzen, ein kleines Metallkreuz, geschmiedete Nägel und Keramikscherben kamen in den Gräbern und im Umfeld ans Licht.
GELÖBNIS „SEBASTIANI-PROZESSION“. Die Erinnerung an diese größte Katastrophe in der Geschichte des Ortes ist in Telfs heute noch präsent, etwa in Sagenerzählungen und in der 1634 gelobten „Sebastiani-Prozession“, die noch immer alljährlich gehalten wird. Den Sinn seiner Forschungen sieht der Archäologe Harald Stadler vor allem im Anknüpfungspunkt zur Gegenwart: „Die Erkenntnisse, die wir über historische Seuchen gewinnen, helfen uns, Epidemien der Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen.“ Ein grenzüberschreitendes Forschungsprojekt, bei dem Fundstätten in Nord- und Südtirol einbezogen werden sollen, ist bereits konzipiert, wartet aber noch auf „grünes Licht“ vom Südtiroler Forschungsfonds. „Nachdem die Vorarbeiten so vielversprechend waren, sehe ich dafür gute Chancen“, meint Stadler. Und was geschieht mit den bereits geborgenen und eventuell noch auszugrabenden Skeletten? Stadler: „Nach dem Abschluss des Projekts werden die Gebeine selbstverständlich in würdiger Form an Ort und Stelle neu bestattet!“
Dieses Kreuz erinnert an die Pest, die vor rund 400 Jahren wütete und etwa 200 Telfer dahinraffte. Foto: Stefan Dietrich
Archäologe Harald Stadler mit einem Skelett aus der Pestzeit. Foto: Stefan Dietrich
Spurensuche – jedes noch so kleine Fundstück wird genau untersucht. Foto: Stefan Dietrich