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Kinderleicht ins Gespräch kommen

Die Inzinger Psychologin Michèle Liussi über ihr neues Buch und den richtigen Zeitpunkt für die Kinder-Erzählung

Wenn man seine Kinder beim Mittagessen danach fragt, wie es in der Schule war, erhalten viele Eltern meist nur ein „Cool“ oder „Gut“ als Antwort. Wie man mehr über den Schulalltag und die kindlichen Erlebnisse erfahren kann und mit den Kindern somit ins Gespräch kommt, weiß die Inzinger Psychologin, Familienberaterin und Autorin Michèle Liussi. Im Interview erzählt die Buchautorin, dass es vor allem auf das richtige Timing und den passenden Moment ankommt und gibt Eltern Tipps für eine gelingende Kommuniktion.
7. November 2023 | von Nina Zacke
Kinderleicht ins Gespräch kommen
Die Inzinger Psychologin und Mutter eines Sohnes, Michèle Liussi, weiß, dass man beispielsweise beim gemeinsamen Kochen oder Puzzlen mit den Kindern ins Gespräch kommen kann. Foto: Christina Gaio Photography
Von Nina Zacke

RUNDSCHAU: Du schreibst im Vorwort deines neuen Buches „Kinderleicht ins Gespräch kommen“, dass deine Mutter immer bestens über deinen Alltag und deine Erlebnisse informiert war, weil du sehr redselig warst. Davon können viele Eltern nur träumen. Denn als Antwort auf die Frage „Wie war es in der Schule?“ bekommen die meisten nur ein „Gut“ oder „Cool“. Wie kommt man ins Gespräch mit seinem Kind?
Michèle Liussi: Dafür gibt es mehrere Schlüssel: Hilfreich ist es, die kindliche Entwicklung im Auge zu haben. Was kann mein Kind schon ausdrücken und verstehen, welche gedanklichen Abläufe sind schon möglich? Das Timing macht einiges aus. Und ganz zentral ist die Haltung, die wir dem Kind gegenüber zum Ausdruck bringen: Sind wir interessiert an dem, was es sagt? Bewerten oder korrigieren wir schnell? Hat das Kind in der Regel bei Gesprächen unsere volle Aufmerksamkeit, oder sind wir häufig abgelenkt? Interesse, Offenheit und Aufmerksamkeit sind gesprächsförderlich, während Bewertung, Ungeduld und Ablenkung das Gespräch ins Stocken kommen lassen.

RS: Wenn das Kind vom Kindergarten oder der Schule nachhause kommt, ist es meist überladen von Gefühlen, hungrig und müde – keine idealen Bedingungen für eine Erzählung. Kommt es also auch auf den richtigen Zeitpunkt und die Rahmenbedingungen an, wann, wo und wie man das Gespräch mit dem Kind sucht?
Liussi: Absolut. Das ist natürlich von Kind zu Kind verschieden, und wir Eltern dürfen uns da auf die spannende Suche nach den für unser Kind passenden Zeitpunkten und Rahmenbedingungen machen. Dafür lohnt es sich aufmerksam zu sein: Redet mein Kind lieber in Bewegung, abends vor dem Einschlafen oder wenn wir gemeinsam einer Tätigkeit nachgehen, also zum Beispiel beim gemeinsamen Puzzeln oder Kochen? Wann macht mein Kind Gesprächsangebote, und wie sehen diese aus? Ist es ein „Spiel mit mir!“ oder ein „Du, Mama? Du Papa, war das bei dir auch so…?“ Und dann heißt es: Chancen ergreifen und das Kind die Erfahrung machen lassen: Mama und Papa hören zu, nehmen sich Zeit, bewerten nicht. Da kann ich mich öffnen.

RS: Oftmals tauchen auch direkt nach Kindergarten und Schule starke Emotionen der kleineren Kinder auf. Welchen Tipp kannst du Eltern in dieser Situation als Psychologin und Familienbegleiterin geben?
Liussi: Allem voran plädiere ich für Verständnis: die Zeit im Kindergarten/in der Schule ist eine Zeit der sozialen Anpassung, vieler verschiedener Eindrücke und der Kooperation mit Gleichaltrigen und anderen Bezugspersonen. Das ist anstrengend. Zurück bei den Eltern, wo sich das Kind emotional sicher fühlt, baut sich dieser Stress erstmal ab, als würde man die Luft aus einem stark aufgeblasenen Ballon lassen. Wenn es also im Alltag möglich ist, der Kindergarten/Schulzeit erstmal eine kurze Phase der Ruhe folgen zu lassen, in der erstmal keine Erwartungen und Kooperation vom Kind verlangt wird, kann das diese Situation entspannen.

RS: Meistens erzählen die Kinder dann, wenn es Zeit ist ins Bett zu gehen. Wie gelingt es, die Kommunikationslust der Kleinen auf den Tag zu verlegen?
Liussi: Nun, zum einen kann man überlegen, ob es das braucht, oder ob ich die Abendroutine nicht ein wenig früher starten lassen könnte, damit dieser Austausch am Abend Platz finden kann, ohne die Schlafenszeit durcheinander zu bringen. Wenn das Erzählen am Abend kein Ende findet, kann man versuchen das etwas einzufangen, in dem man etwa sagt: „Jetzt erzählt jeder drei Sachen und dann ist Schlafenszeit.“ Alternativ, wenn es vom Abend in den Tag verlagert werden soll, stellt sich die Frage, was macht die Situation am Abend so einladend, und wie transportiere ich das in den Tag? Ein Kuschel-Ruhe-Pause am Nachmittag vielleicht?
RS: Inwiefern unterscheidet sich die Kommunikation mit Kindern von der mit Erwachsenen?
Liussi: Die Fähigkeiten unserer Kinder befinden sich in der Entwicklung, das heißt, wir können mit ihnen nicht sprechen wie mit einem anderen Erwachsenen. Wir müssen verstehen, dass es Dinge gibt, die sie noch nicht verstehen. Sarkasmus ist so etwas, was in unseren Sprachgebrauch eingezogen ist, Kinder aber eher verwirrt. Sie erleben ihre Gefühle meist noch viel unmittelbarer und intensiver als wir, langatmige Erklärungen und Rationalisierungen dringen daher nicht durch. Dafür haben sie feinere Antennen für nonverbale Signale, was bei der Begleitung von Gefühlsstürmen („Trotzanfällen“) hilfreich sein kann.  In der Kommunikation mit Kindern dürfen Eltern auf eine klare und verständliche Sprache mit ausdrucksstarker Mimik setzen.

RS: Die verbale Mauer löst bei Eltern oftmals Frustration aus. Gibt es einen psychologischen oder spielerischen Tipp, den du Eltern als Brücke zu den Gefühlen, Gedanken und auch Sorgen ihrer Kinder, geben kannst?
Liussi: Leider macht es uns der Alltag als Eltern, gefangen zwischen Beruf und Familie, wirklich nicht leicht, wir haben 1000 To-Dos im Kopf. Unsere Kinder (noch) nicht. Einer Einladung von ihnen in ihre Welt, ins Hier und Jetzt, zu folgen, kann sich daher sehr schwierig anfühlen, lohnt sich aber auf jeden Fall. Denn die Brücke zu unseren Kindern und ins Gespräch mit ihnen ist das Spiel – das Verkleiden, das Rollenspiel, das gemeinsame Bauen, das Vorlesen und Geschichten-Erzählen. Vielleicht einmal eine Stunde Außenweltpause machen und zur Spieleinladung des Kindes einfach Ja sagen, offen für das, was passiert.
Kinderleicht ins Gespräch kommen
Im Buch „Kinderleicht ins Gespräch kommen“ finden Eltern hilfreiche Tipps und Anregungen. Foto: Humboldt

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