Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Kalt war es dort und kalt ist es hier“

Theatergruppe Oberhofen bringt Mitterers „Sibirien“ zur Aufführung, J-F. Heiß überzeugt als Altersheiminsasse

Fünf Besuche ins Pflegeheim darf der Theaterbesucher in der alten Feuerwehrhalle von Oberhofen absolvieren, und eindrücklich wird ihm dabei dank der hervorragenden Schauspielleistung von Darsteller Johannes-F. Heiß vor Augen geführt, zu welchen psychischen und physischen Misshandlungen Menschen, selbst die nahen Angehörigen, fähig sind. Das Stück ist noch am 31. August sowie am 2., 3., 4. und 6. September zu sehen.
29. August 2022 | von Agnes Dorn
„Kalt war es dort und kalt ist es hier“
Bei seinem Einzug glaubt der alte Mann (großartig: Johannes-F. Heiß) noch an seine baldige Heimkehr. Fotos: Agnes Dorn
Von Agnes Dorn

Sein Zimmer in seiner eigenen Wohnung wird benötigt, denn die Enkeltochter ist nun in einem Alter, in dem sie ihr eigenes Zimmer braucht. Also wird der immer alles besserwissende Großvater ins Altersheim abgeschoben. Dort kämpft er gegen seine lädierte Hüfte und gegen die Pfleger, die ihm Rehabilitation verweigern. Die Zustände seien wie in einem Lager in Sibirien, klagt der ehemalige Kriegsgefangene an und muss schließlich doch angesichts seines körperlichen Verfalls resignieren. Zuerst noch mit Krücken, dann mit Gehhilfe, schließlich im Bett, wird sein Widerstand gegen die Bevormundungen durch seine Familie und das Pflegepersonal immer leiser, bis er schließlich ganz verstummt.

Fünf Besuche. Johannes-F. Heiß brilliert in diesem Ein-Personen-Stück als Heiminsasse, der Anklage erhebt gegen die Entmündigung: Seine Wohnung hat man ihm weggenommen und seinen Hund, der ihm das Liebste war. Spritzen hat man ihm gegeben, damit er nicht randaliert, zu essen gibt man ihm Untragbares und schließlich entledigt man ihn aller Gehhilfen, um ihn die wenige Zeit, die ihm noch bleibt, endgültig ans Bett zu fesseln. Fünf Besuchen in seinem Heimzimmer darf der Theaterzuschauer beiwohnen, und Heiß als alter Mann vollzieht die Verwandlung des Heiminsassen mit erschreckender Intensität und Intimität: Der ewig nörgelnde Großvater muss schließlich erkennen, dass er seiner Situation und damit auch seinen Pflegern und seiner Familie rettungslos ausgeliefert ist und ihm Widerstand nichts mehr bringt.

Pflegenotstand. Dreimal besucht ihn seine Schwiegertochter und einmal sein Sohn und allein durch die Ansprache, die Heiß mit diesen, für die Zuschauer imaginären Besuchern hält, erfährt man einiges vom Charakter seiner Erben. Wie in Sibirien sei es hier: „Kalt war es dort und kalt ist es hier“, attestiert der alte Mann, und man kann ihm nur Recht geben. Dass schon lange ein Pflegekräftemangel herrscht und mit diesem unweigerlich ein Pflegemissstand einhergeht, war schon im Jahr der Uraufführung 1989 bekannt, und Mitterer greift eben diese katastrophale Situation auf. Ob er mit seinem Stück nun Anklage gegen alle Pflegeheime in Österreich erhebt oder „nur“ einen speziellen Fall des Pflegemissstands aufgreift, ist dabei fast irrelevant. Es ist eher die existenzialistische Sichtweise als die gesellschaftspolitische, die der Autor hier einnimmt.

Das einzige Leben. Bettlägrig auf den Tod warten – dass ihn dieses Schicksal ereilt, hätte der alte Mann beim ersten Besuch seiner Schwiegertochter im Altersheim wohl nicht geahnt und noch in den ersten Szenen prahlt er mit seinem Sparbuch, das ihm die Gunst der Oberschwester sichert. Doch seine Stimme wird leiser, und auch seine Forderungen werden immer bescheidener, bis ihn schließlich in der fünften und letzten Szene der Bundespräsident höchstpersönlich besucht, dem er zuvor einen Beschwerdebrief geschrieben hat. Ob dieser sich nun tatsächlich der Sorgen der Heimbewohner annimmt oder ob der alte Mann sich ihn nur in seinem Delirium vorstellt, erfährt der Zuschauer nicht. Doch klar ist eines, was Mitterer mit dieser letzten Szene vermitteln will: Es wäre höchste Pflicht, den Alten und Kranken unserer Gesellschaft jene Pflege und Fürsorge zukommen zu lassen, die wir uns für uns selber wünschen. Das Stück ist noch am 31. August sowie am 2., 3., 4. und 6. September in der alten Feuerwehrhalle Oberhofen zu sehen, Beginn ist jeweils um 20 Uhr, außer am Sonntag um 18 Uhr, wenn Autor Felix Mitterer selbst auf die Bühne zum Gespräch kommen wird.
 
„Kalt war es dort und kalt ist es hier“
Körperlich baut er schnell ab, bis er schließlich dauerhaft im Bett endet.

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