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Allerheiligenbrauchtum in Zentralamerika

„Dios de los Muertos“ mit Hilda Liseth und Robert Rundl

„Wir schmücken unsere Häuser mit Totenschädeln, essen am Totensonntag Brot in Form von Knochen, wir amüsieren uns mit Liedern und Schwänken, aus denen der kalte Tod grinst. Für einen Pariser, New Yorker und Londoner sei der Tod ein Wort, das er vermeide, weil es die Lippen verbrenne. Der Mexikaner dagegen sucht, streichelt, foppt und feiert ihn, schläft mit ihm“, sagt Oktavio Paz. Natürlich habe auch der Mexikaner wie wir alle Angst vor dem Tod, doch verstecke und verheimliche er ihn nicht, sondern sehe ihm mit Verachtung und Ironie frei ins Gesicht. „Die Geringschätzung des Todes nähre der Mexikaner aus seiner Geringschätzung des Lebens.“ Und weiter: Der Kult des Todes sei, wenn er tiefgründig und vollkommen sei, auch ein Kult des Lebens, eine Kultur, die den Tod verleugne, verleugne auch das Leben.
25. Oktober 2021 | von Peter Bundschuh
Allerheiligenbrauchtum in Zentralamerika
Allerheiligenbrauch im Hochland von Guatemala: Gemäß dem Ritual reiten die jungen Männer noch schwerstens betrunken zu Ehren der Toten, bis sie aus dem Sattel fallen. RS-Foto: Bundschuh
Von Peter Bundschuh

Am 1. November ist der „Dia de los Muertos“ in Guatemala, es ist ein Tag, der zu den wichtigsten kulturellen und religiösen Festtagen des Landes zählt. Bei uns ist es ähnlich, in Guatemala wird das „Fest des Todes und des Lebens“ aber anders gefeiert. Schon auf dem Weg zu den Friedhöfen sind überall Marktstände aufgestellt, da kann man noch im Vorübergehen eine Jesus-Figur kaufen, bevor es auf den Friedhof geht. Dort sind die Gräber richtig „herausgeputzt“, nicht nur Blumenarrangements, sondern auch die leuchtenden Farben der frisch gestrichenen Grabsteine bestimmen das Bild. 

EIN PFERDERENNE ZU EHREN DER TOTEN. Der Ort, weit abgelegen im Guatemaltekischen Hochland heißt „Todos Santos“, ist also schon vom Namen für ein unglaubliches Allerheiligenfest der speziellen Art vorbestimmt. Dieses besteht in erster Linie in einer Art Pferderennen, oder besser einem Rennen über eine bestimmte Strecke von nur einigen hundert Metern hin und wieder zurück und das stundenlang wiederholt. An jedem „Zielpunkt“ trinken die Reiter eine Unmenge eines grauenhaften, dafür aber hochprozentigen Fusels, Sieger ist, wer als letzter aus dem Sattel fällt. Schwere Verletzungen sind vorprogrammiert, es kommt auch zu Todesfällen, die aber eher als für die Zukunft des Dorfes günstiges Omen angesehen werden – andere Länder, andere Sitten. Als „Gringo“ sollte man den Festplatz zu Zeiten verlassen, ehe die Stimmung kippt. Naja, kennt man ja vom einen oder anderen Zeltfest.

DIE TRADITION DER DRACHEN. Im Grunde geht es am Friedhof Santiago darum, durch das Steigenlassen gigantischer runder Drachen aus kunstfertig bemaltem Papier und Bambusstangen eine Verbindung zwischen Lebenden und Toten zu schaffen. Technisch gesehen ist der abschüssige Totenacker thermisch zum Drachenflug hervorragend geeignet. Die wirklich großen und schweren Teile werden mit Seilen und mehreren Männern in die Luft gebracht. Meistens funktioniert es, aber irgendeinmal stürzen die Dinger ab. Also Besucher, lauft schnell und vor allem in die Richtung, die von den Indigenas vorgegeben wird, im schlimmsten Fall seid Ihr aber eh schon am Friedhof.

FIAMBRE. Das klassische Allerheiligengericht wird von den (Groß)Familien traditionell direkt am Grab der dahingeschiedenen Lieben verzehrt. Je nach Zubereitung ist es für den Europäer manchmal etwas gewöhnungsbedürftig. Kurz gesagt: In den Familien gab und gibt es wohlhabendere und ärmere Ableger. Um den sozialen Frieden gegen Großtuerei und Neid zu schützen, werden alle (naja, so ziemlich alle) mitgebrachten Speisen gemischt. Zusammengefasst handelt es sich beim Fiambre um einen Salat aus mehr als 50 Zutaten wie Wurst, Fleisch, Käse, Gemüse, manchmal auch Sardinen und so halt. Softvarianten gibt es auch im Restaurant, aber da kann man gleich beim Schweizersalat bleiben.

LA CATRINA, ALEBRIJES UND HERAUSGEPUTZTE TOTENKÖPFE. Auch wenn es so anmutet, die „Dios de los Muertos“ sind in Mexiko keine Fiesta, sondern ein gemeinsames Fest der Lebenden und der Toten. Im Zentrum steht dabei der Totenaltar. Auf ihm sind in farbenprächtiger Aufmachung in erster Linie das Allerheiligenbrot (stollenartig), Bilder der Verstorbenen und ihre Lieblingsspeisen aufgebaut. „Aber ohne die ,Blume des Weges‘ können die Verstorbenen nicht zu ihren Altären finden“, erklärt das Lehrerehepaar Hilda Liseth und Robert Rundl, die aus Zentralamerika nach Wenns zurückgekehrt sind. Die Blütenpracht der bei uns ebenso beheimateten Tagetes, übrigens auch hier neben Studentenblume und Türkischer Nelke Totenblume genannt, ist überwältigend. Dass Totenköpfe in unterschiedlichen Größen auf den Altären Platz finden, erstaunt wenig. La Catrina, die Totenfiguren in unterschiedlichen, oft sehr anspruchsvoll gearbeiteten Ausformungen, und die Schutzgeister, Alebrijes in Darstellung von Phantasietieren, kennt man hierzulande weniger.
Allerheiligenbrauchtum in Zentralamerika
Die RUNDSCHAU bedankt sich bei Hilda Liseth und Robert Rundl für die Hilfe zur Verfassung des „Allerheiligen-Artikels“. RS-Foto: Bundschuh

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