Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

Am Ende der langen Nacht, die Dämmerung

„Zeit der Befreiung“: Sonderausstellung des Museums im Ballhaus über das Ende des Zweiten Weltkriegs in Imst und Westtirol

Tausend Jahre hätte das Dritte Reich überdauern sollen. Am Ende war es lediglich etwas mehr als ein Jahrzehnt, ehe die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten in Trümmern lag – und mit ihr weite Teile des Kontinents. Wie es dazu kommen konnte, zeichnete 2013 die Sonderausstellung „Nacht über Imst“ des Museums im Ballhaus am Beispiel einer Tiroler Kleinstadt nach. Unter dem Titel „Zeit der Befreiung“ wird diese Geschichte nun fortgeschrieben, beginnend mit den letzten Kriegstagen, hin zu den Jahren der alliierten Besatzung. Vergangene Woche wurde die neue Sonderausstellung eröffnet – der Situation entsprechend ohne großen Festakt, dafür aber mit spannenden Einblicken.
3. August 2020 | von Manuel Matt
Am Ende der langen Nacht, die Dämmerung
Gewährten einen Blick in die neue, noch bis 7. November zu besichtigende Sonderausstellung im Ballhaus-Museum: Stadtchronist Franz Treffner, Bürgermeister und Kulturreferent Stefan Weirather, Museumsleiterin Sabine Schuchter und Historiker Rainer Hofmann (v.l.)RS-Foto: Matt
Von Manuel Matt

Es ist eine Sache, den Feind mit Granaten und Gewehr zu bekämpfen. Als Besatzer aber Tür an Tür mit den Besiegten zu leben, den aufgestauten Hass zurücklassen, das ist eine ganz andere Geschichte. Dementsprechend wollten den 1945 von Bayern anrückenden Soldaten der US-Armee nicht überall sogleich die Herzen entgegenfliegen. Beispielsweise in der Stadt Imst, die sich – im Gegensatz etwa zum nahen Imsterberg – den GIs kampflos öffnete. „Die Gefühlslage war damals tatsächlich sehr ambivalent in der Bevölkerung. Manche fühlten sich befreit, andere aber besiegt“, erzählt der Imster Historiker Rainer Hofmann, der gemeinsam mit Museumsleiterin Sabine Schuchter und Stadtchronist Franz Treffner die 2020-Sonderausstellung „Zeit der Befreiung“ im Imster Ballhaus-Museum realisierte.

ZUCKERBROT & PEITSCHE. Die Demütigung mag ein Grund für die anfängliche Reserviertheit gewesen sein, die sofort begonnene Entnazifizierung ein anderer. Schließlich war die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) auch im angeschlossenen Österreich allgegenwärtig, während Vorläuferorganisationen wie die Hitlerjugend jeden Bereich der Gesellschaft unterwanderte. Eine Mitgliedschaft versprach so gewisse Vorteile im Berufs- und Privatleben. „Etwa zehn bis zwölf Prozent der Imster Bevölkerung sind in die NSDAP eingetreten. Das ist nicht wenig – aber auch nicht mehr als anderswo“, weiß Hofmann, der das Misstrauen an einer anderen, nicht zu unterschätzenden Problematik festmacht: Hunger, raubte die Wehrmacht auf ihrem Rückzug doch Vieh und Lebensmittel. „Die Militärregierung schaffte Nahrung heran, sicherte die Versorgung“, erklärt Schuchter – und damit die Akzeptanz der Bevölkerung.

SEE YA LATER & BONJOUR. Trotz einer Besatzung, die nicht Ausbeutung, sondern Wiederaufbau zum Ziel hatte: So richtig sind den Imstern die US-Amerikaner nie ans Herz gewachsen. „Oftmals wurden sie von der Bevölkerung als kulturlos angesehen“, sagt Treffner. Wenig hilfreich für das Einstürzen der Mauern in den Köpfen war dann auch freilich die Angst vor dem Fremden – und der für viele Imster fremde Anblick eines Afroamerikaners. Abgelöst als Besatzungsmacht in Tirol und Vorarlberg wurden die US-Amerikaner schließlich am 10 Juli 1945. „Die auf sie folgenden Franzosen waren dann schon deutlich beliebter“, verrät der Stadtchronist schmunzelnd, dessen Vater einst zwischen Franzosen und Stadtgemeinde ob seiner Sprachkenntnisse vermittelte. Die Franzosen förderten das Wiederauferstehen des öffentlichen Lebens mit all seinen Zerstreuungen – und zeigten sich interessiert an örtlichem Gepflogenheit und Traditionen, wie dem Schemenlaufen. In dieser Hinsicht zierten sich die Imster anfänglich, so Treffner, ließen sie sich doch selbst von den Nationalsozialisten nicht zur Fåsnåcht zwingen, während ihre Freunde und Verwandten im Weltkrieg kämpften, töteten und starben. Erst 1949 machten Roller und Schaller wieder ihr Gangl, auch unter den Augen des französischen Generals Antoine Bethouart, der sich später in der Heimat wohl lieber daran erinnerte als an die Imster Verabschiedung am Ende der Besatzungszeit. „Das war schon etwas seltsam – auch wegen dem Übersetzer, der nicht so recht Französisch konnte“, erinnert sich Treffner.

SCHADE IM VERMASS. Raum gibt die Sonderausstellung aber auch den weniger amüsanten Seiten von Krieg und Besatzung. Dokumente, Fotos und Filme (ein Großteil davon aus dem US-Nationalarchiv und nie zuvor gesehen im Oberland) zeigen das letzte fanatische Aufbäumen, die zerstörten Dörfer und Höfe, die eingefallenen Gesichter der kapitulierenden Kindersoldaten und Alten des Volkssturms, die einfach nur so froh sind, mit dem bloßen Leben davongekommen zu sein – und auf der anderen Seite die US-Soldaten, die ihre schrecklichen Erfahrungen aus jahrelangen Kampfhandlungen in der Alpen-Idylle zu vergessen versuchen. Es ist diese Not und dieser Schmerz von Befreiern und Befreiten, die am Ende der NS-Herrschaft stehen – und „daran muss man sich erinnern, denn vor Fanatismus ist man nie gefeit“, sagt der anwesende Imster Bürgermeister und Kulturreferent Stefan Weirather, der Hofmann, Treffner, ganz besonders aber Schuchter für die Idee dankt. Ihm gibt Hofmann noch einen Wunsch mit auf den Weg: Das Nachdenken über den Umgang mit der Jakob-Kopp-Straße, benannt nach  dem Imster Mundartdichter, der zwar nie NSDAP-Mitglied gewesen ist, in seinen Versen allerdings offen zum Mord an den Juden und zum sinnlosen Sterben im Volkssturm aufruft. „Ich trage es in den Gemeinderat“, verspricht der Bürgermeister.
Am Ende der langen Nacht, die Dämmerung
Der Imster Stadtplatz: Wo früher Soldaten der Wehrmacht und SS im Stechschritt vorbeimarschiert waren, feierte eine Parade der 44. US-Infanteriedivision am 9. Mai 1945 den „V-E-Day“, der das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa markiert. Foto: Louis Weintraub/ NARA
Am Ende der langen Nacht, die Dämmerung
Je suis Schaller: Der französische General Marie Émile Antoine Bethouart (l.) beim Imster Schemenlaufen im Jahr 1949 Foto: Archiv der Stadtgemeinde Imst

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben