Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Ich hätte schon längst nach Hause kommen können“

26 Landecker aus der ehemaligen Heil- & Pflegeanstalt Hall wurden Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie

Maria Pfeifer aus Mathon wurde nur 54 Jahre alt – sie wurde 1941 Opfer des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms. Im Landeskrankenhaus Hall wird nun u.a. ihrer und weiterer 25 Landecker gedacht.
12. Oktober 2020 | von Daniel Haueis
„Ich hätte schon längst nach Hause kommen können“<br />
Der Gedenkort in Hall wurde vor Kurzem eröffnet. Foto: Gerhard Berger
Von Daniel Haueis

Maria Siegele, am 3. Juni 1886 in Mathon geboren, wurde im Alter von 54 Jahren in Schloss Hartheim in Oberösterreich ermordet. Sie war das älteste von neun Geschwistern; ihre Mutter starb, als sie noch keine 14 Jahre alt war. 1916 heiratete sie den Bauern Johann Pfeifer und bewirtschaftete mit ihm einen Hof in Mathon. Sieben Kinder brachte Maria Pfeifer in den kommenden neun Jahren zur Welt. Die Lage der Familie verschlechterte sich sehr, als der Ehemann bzw. Vater 1930 verstarb. Unterstützung gab es von keiner Seite, was sehr belastend war. Bei der Witwe zeigten sich Symptome einer Überlastung, daher wurde sie im August 1934 an die Psychia-trische Klinik in Innsbruck gebracht und nach knapp einem Monat in die Heil- und Pflegeanstalt Hall verlegt, wie in ihrer Biografie auf www.gedenkort-hall.at nachzulesen ist. Vom Arzt nach einem Wunsch gefragt, antwortete Maria Pfeifer: „Ja, jetzt möchte ich halt eine Erholung haben, weil ich durch die vielen Aufregungen sehr schwach bin …“ Sie musste etwas mehr als vier Monate in der Anstalt bleiben, obwohl sie bereits früher wieder nach Hause wollte: „Bitte Kinder, was ist, warum holt man mich nicht? Ich hätte schon längst nach Hause kommen können“, schrieb sie. Knapp drei Jahre später wurde in Mathon Feuer gelegt, Dorfbewohner bezichtigten Pfeifer zu Unrecht der Brandstiftung. Diese Anschuldigungen machten sie „furchtbar rebellisch“, was letztlich zu ihrer neuerlichen Einweisung am 24. November 1937 führte, wie die Nachforschungen ergeben haben. „Das war sehr dramatisch. Sie wollte gar nicht nach Hall“, weiß Carlheinz Canal von Zeitzeugen: „Sie haben sie müssen mit Gewalt ins Auto tun“, sagt Maria Pfeifers Enkel über die schlimme Situation. Und sie durfte die Haller Anstalt nicht mehr verlassen: Der Bürgermeister hielt eine Entlassung nur bei völliger Heilung für möglich, die der Anstaltsdirektor nicht bestätigen konnte. Er betonte aber, dass die Patientin harmlos sei und unter großem Heimweh leide: „Sie trägt ständig eine sehr große Sehnsucht nach der Familie zur Schau und behauptet, die Trennung von den Angehörigen ‚grabe ihr das Herz ab‘.“ Als sich im Juli 1939 die älteste Tochter beim Anstaltsleiter für eine Entlassung einsetzte, wurde dies wieder von der Zustimmung der Gemeinde abhängig gemacht. Da Maria Pfeifer weiter in Hall bleiben musste, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Gemeinde dagegen aussprach. Am 20. März 1941 wurde Maria Pfeifer mit weiteren 91 Patienten abgeholt und in der Tötungsanstalt Hartheim ermordet. Maria Pfeifer war eine von 26 Landeckern, die von der Heil- und Pflegeanstalt Hall abtransportiert und getötet wurden.

GEDENKORT HALL. Dass das Schicksal Maria Pfeifers nicht im Dunkeln bleibt, ist den tirol kliniken zu verdanken, die einen Gedenkort im nunmehrigen Landeskrankenhaus Hall geschaffen haben. Und dem aus dem Ober-gricht stammenden Historiker Oliver Seifert und Carlheinz Canal, einem Enkel Maria Pfeifers. Der Gedenk- und Informationsort erinnert an die 360 Opfer der NS-Euthanasie aus Hall – auch im Internet: www.gedenkort-hall.at. Oliver Seifert hat mit der Projektgruppe seit 2016 an der Umsetzung gearbeitet. „Am meisten berührt hat mich die Arbeit an den Lebensgeschichten der 360 ermordeten Menschen, weil dabei die Einzigartigkeit eines jeden Opfers zum Vorschein kam. Hinter den Zahlen und Opfern wurden auf einmal die einzelnen Menschen mit ihrem individuellen Schicksal sichtbar und greifbar“, sagt Seifert, der sich bereits 2013 Maria Pfeifer gewidmet hat (Florian Schwanninger/Irene Zauner-Leitner (Hg.), Lebensspuren. Biografische Skizzen von Opfern der NS-Tötungsanstalt Hartheim, Innsbruck-Wien-Bozen 2013, S. 15–22.). Und Carlheinz Canal hat zur Erinnerung beigetragen: Er ist der Projektgruppe bei der Erstellung der Biografie seiner Großmutter zur Hand gegangen. Denn Maria Pfeifers wurde bislang nicht gedacht: „Es gibt gar nichts“, sagt Canal. In Ried z.B. haben die Barmherzigen Schwestern im Eingangsbereich des Pflegeheims Santa Katharina eine Gedenktafel, die an die Opfer der NS-Euthanasie aus dem Versorgungshaus Ried erinnert, angebracht. 2010 wurde sie enthüllt – die Namen von mehr als 20 Opfern werden genannt. Und in Pians wurde 2006 eine Sannabrücke nach dem NS-Euthanasieopfer Erich Lederle benannt und dort eine Gedenktafel angebracht – auch er wurde in Hartheim ermordet.

EINE URNE STATT DER MUTTER KAM ZURÜCK. Im Nationalsozialismus wurden psychisch kranke Menschen ermordet, auch durch Mangelernährung u.ä. getötet – bezeichnet wurde dies als Euthanasie. Mit Kriegsbeginn 1939 startete die Aktion T4 (benannt nach der Adresse der zuständigen Stelle in der Tiergartenstraße 4 in Berlin). Betroffen war eben auch der Bezirk und sogar ein kleiner Ort wie Mathon. Maria Pfeifers Angehörigen wurde nach der Deportation nach Hartheim mitgeteilt, dass die Mutter „gut hier angekommen“ sei. Wenige Tage später, mit 1. April 1941, teilte man der Familie mit, dass die Patientin am selben Tag „infolge einer Grippe und nachfolgender Lungenentzündung“ gestorben sei. Trauer und Bestürzung waren riesengroß. Carlheinz Canal ist davon überzeugt, dass der Familie damals bewusst war, dass es sich um Mord handelte: Seine Mutter habe später nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Nazis Maria Pfeifer umgebracht hätten. Die Mitteilung über den Tod war für die Kinder jedenfalls ein schwerer Schock – sie hatten einen Umgang mit ihrer kranken Mutter gefunden und wären bereit gewesen, sie nach Hause zu holen. Stattdessen musste eines der Kinder die Urne vom Postauto abholen, um sie zur Aufbahrung im Heimathaus zu tragen.


Ermordete Landecker
Unter den 360 Opfern der NS-Euthanasie aus der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Hall in Tirol befinden sich neben Maria Pfeifer aus Ischgl weitere 25 Landecker. Ihre Biografien werden nicht auf https://www.gedenk-ort-hall.at veröffentlicht, sie können aber auf dem Terminal im Gedenkort Hall gelesen werden.

Herta Buchmair
Geboren am 05.10.1924 in Landeck, Heimatgemeinde: Landeck, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Aloisia Egger
Geboren am 18.09.1890 in Zams, Heimatgemeinde: Landeck, am 29.05.1941 deportiert nach Hartheim

Hermann Freiseisen
Geboren am 11.11.1901 in Dornbirn, Heimatgemeinde: Pettneu, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Alois Greil
Geboren am 01.07.1889 in Pfunds, Heimatgemeinde: Pfunds, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Anna Hangl
Geboren am 12.12.1891 in St. Johann i.T., Heimatgemeinde: Pfunds, am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Maria Kammerlander
Geboren am 08.05.1896 in Fiss, Heimatgemeinde: Fiss, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Maria Kuppelwieser
Geboren am 22.04.1894 in Nauders, Heimatgemeinde: Nauders, am 29.05.1941 deportiert nach Hartheim

Hermann Ladner
Geboren am 12.11.1901 in See, Heimatgemeinde: Kappl, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Erich Lederle
Geboren am 23.10.1909 in Jerzens, Heimatgemeinde: Pians, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Juliana Maass
Geboren am 05.08.1910 in Innsbruck, Heimatgemeinde: Ried i.O., am 29.05.1941 deportiert nach Hartheim

Andreas Mark
Geboren am 28.12.1901 in Serfaus, Heimatgemeinde: Serfaus, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Theresia Moritz
Geboren am 31.08.1883 in Nauders, Heimatgemeinde: Nauders, am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Ludovika Moser
Geboren am 05.06.1904 in See, Heimatgemeinde: See, am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Paulina Nigg
Geboren am 06.04.1900 in Strengen, Heimatgemeinde: Grins, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Anton Noggler
Geboren am 24.02.1910 in Serfaus, Heimatgemeinde: Serfaus, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Josef Patsch
Geboren am 03.01.1894 in Vaduz, Heimatgemeinde: Pfunds, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Maria Pfeifer
Geboren am 03.06.1886 in Mathon, Heimatgemeinde: Ischgl, am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Maria Raass
Geboren am 22.05.1904 in Fließ, Heimatgemeinde: Fließ, am 29.05.1941 deportiert nach Hartheim

Peter Regensburger
Geboren am 30.09.1893 in Nauders, Heimatgemeinde: Nauders, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Wilhelm Rundl
Geboren am 24.07.1887 in Schönwies, Heimatgemeinde: Schönwies, am 29.05.1941 deportiert nach Hartheim

Gottlieb Stocker
Geboren am 16.02.1903 in Ladis, Heimatgemeinde: Ladis, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Josefa Strolz
Geboren am 19.06.1901 in St. Jakob a. A., Heimatgemeinde: St. Jakob, am 29.05.1941 deportiert nach Hartheim

Nothburga Thöni
Geboren am 31.08.1877 in Sölden, Heimatgemeinde: Spiss, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim

Paulina Tschiderer
Geboren am 02.07.1874 in Grins, Heimatgemeinde: Grins, am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Marianna Walser
Geboren am 12.08.1877 in Hochgallmigg, Heimatgemeinde: Fließ, am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Emma Wille
Geboren am 18.01.1924 in Prutz, Heimatgemeinde: Prutz, am 10.12.1940 deportiert nach Hartheim
„Ich hätte schon längst nach Hause kommen können“<br />
Das Sterbebild Maria Pfeifers Quelle: Carlheinz Canal
„Ich hätte schon längst nach Hause kommen können“<br />
Das Hochzeitspaar Maria und Johann Pfeifer Foto: Franz Jörg

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